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Pia Reiser

Filmflimmern

3. 12. 2016 - 08:09

Für das Gefühl, gegen die Coolness

Ein Gespräch mit Benjamin von Stuckrad-Barre über Sucht als Spießertum, wie man sich an Jahre im Rausch erinnert, warum Pharrells "Happy" Weltkulturerbe ist. Und wir klären außerdem die "Blur oder Oasis"-Frage. Fast.

Bücher auf FM4

Mit Benjamin von Stuckrad-Barre kann man Menschen zur Weißglut treiben, am öftesten und am einfachsten die, die nichts von ihm gelesen haben, aber mal auf Youtube einen Interview-Schnipsel gesehen haben und sich dann zu salomonischen Ja-eh-Urteilen wie und da war der total arrogant und ich find den irgendwie nicht so symphatisch aufschwingen. Ich hingegen war immer, tja, da kommen wir um das depperte Wort wohl nicht rum, Fan.

Als 1998 "Soloalbum" erscheint, beginnt es in meinem Kopf zu knistern, weil so hat zuvor niemand geschrieben. Ich will jetzt nicht wie Oma klingen, die vom Rauschen des Modems erzählt, aber wie Stuckrad-Barre das Fass aufmachte, das man dann "Popliteratur" nannte, war ein Champagnerkorkenknallen.

Es folgten Geschichten und Reportagen, das komplett irrwitzig arrogante Unterfangen namens "Tristesse Royale" und Stuckrad-Barres öffentlich dokumentierte Kokainsucht. Auf der 2001er Lesereise steh ich in der ausverkauften Muffathalle in München, Stuckrad-Barre liest unter anderem aus Helmut Bergers herrlich-wahnwitziger Autobiografie und in den kommenden Jahren war Stuckrad-Barre auf dem besten Weg selbst eine Berger-artige Figur zu werden. Geschätzt für ein Werk, das schon ein bisschen zurückliegt, aber für die meisten verbunden mit Ausrutschern, seltsamen TV-Auftritten.

Buchcover mit Stadt in der Nacht

KiWi

"Panikherz" ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. Große Leseempfehlung.

Doch Stuckrad-Barre reißt das Ruder rum. Und schreibt einen Wahnsinnsroman namens "Panikherz" über seine Kindheit, seine Zeit in der Musikbranche, den ersten Erfolg als Autor und den Absturz. Kokain, Essstörungen, Rausch und zwischendrin als irrlichtender roter Faden immer wieder Udo Lindenberg als Rettungsanker und Freund. In Los Angeles schließlich, wohin ihn Lindenberg mitnimmt, wird Stuckrad-Barre "Panikherz" fertig schreiben. Und zwischendrin James Franco, Courtney Love und Michael Maertens treffen.

Am 30.11. hat die "Panikherz"-Lesereise Benjamin von Stuckrad-Barre auch nach Wien geführt, bereits Mitte Oktober hab ich ihn zum Interview getroffen. Und vor Freude das Mikrophon gleich falsch eingestopselt. Es rauschte am Aufnahmegerät wie damals die Modems.

"Langsam bekommt man eine Ahnung davon, was Wiener meinen, wenn sie sagen, in Wien sei es nicht auszuhalten", schreibst du vor ein paar Jahren anlässlich eines Todestages von Falco. Wie war's denn diesmal auszuhalten in Wien?

Ich liebe ja Wien sehr doll, ich kann das aber gar nicht so genau begründen - bis eben auf Falco und Thomas Bernhard. Und David Schalko, alle drei gleich wichtig. Ich weiß nicht genau, was mit Wien und mir los ist, so gut kenn ich es gar nicht, aber ich behaupte immer, es ist meine Lieblingsstadt. Es erinnert mich auf eine Art an Hamburg, wo es ja aber gar nicht auszuhalten ist. Wien ist irgendwie Hamburg in Gut.

Du bist ein sehr genauer Beobachter und sehr guter Nachmacher davon, wie Menschen wann und wo welche Sprache benutzen, was ist denn der größte Unterschied zwischen dem Österreichischen und dem Deutschen?

Ich hab das "eh" wahnsinnig gern, da gibt es im Hochdeutschen kein Äquivalent dafür. Ich finde, es ist der - und jetzt wird's wirklich Fremdenverkehrsverein hier - sexieste Dialekt - aber diese drei Sachen, Wien, dieser Dialekt und auch FM4, die liegen mir am Herzen. Den Dialekt würd ich wahnsinnig gern beherrschen - es klingt auch immer so leicht angepisst, das deckt sich mit meiner Grundverfasstheit, deswegen kann ich da andocken.

Benjamin von Stuckrad-Barre

Olaf Heine

Benjamin von Stuckrad-Barre

Viele können sich ja schon nach Gläsern Wein nicht mehr an den vorhergehenden Abend erinnern, du lieferst in "Panikherz" u.a. auch die Chronologie von ganzen Jahren in verschiedenen Rauschzuständen ab, hast du dich denn tatsächlich so gut an alles erinnern können oder ist das einfach auch der Beruf des Schriftstellers, dass man auch einen Filmriss bebildern können muss?

Der eine Vorteil ist natürlich, dass in einer Sucht alles immer unmgefähr gleich ist, es verdichten sich dann Jahre zu einem einzigen Abend. Und das ganze lag so weit zurück, dass mich keine Erinnerungsdetails mehr belästigt haben. Ich konnte das erst aufschreiben, als ich Abstand dazu hatte, biografisch da nicht mehr drinsteckte. Dann kann man erfinderisch damit umgehen - und dann gibt es ja auch noch den Unterschied zwischen Wirklichkeit und Wahrheit. Ich war auch erst wirklich frei drüber zu schreiben, als ich alle Notizen vernichtet hab.

Hast du zur Erinnerungsankurbelung auch nochmal deine eigenen Bücher gelesen?

Nein, ich hab zum einen ein ganz gutes Gedächtnis und zwei Techniken, die ich sehr empfehlen kann. Das eine ist Musik: Ich hab mir eine Wiedergabeliste gemacht von der ersten Erinnerung an meine Kindheit bis in die Gegenwart, eine Liste, die in Liedern mir mein Leben erzählt, das waren so 420 Lieder etwa. Keine coole Liste, sondern wirklich welches Lied in meinem Leben eine Rolle gespielt hat. Zum Beispiel Bee Gees "You win again", da bin ich dann wieder 11 und auf dem Bremer Freimarkt und schieße eine Rose für ein Mädchen. Und die zweite Technik ist: In den "Douglas" gehen und an Parfums riechen, die man mal hatte. Jil Sander "Sun": Sommer 2002 Essgestörtenklinik, da bin ich sofort wieder da. Also eigentlich Madeleine für die Fußgängerzone.

2013 hast du ein Glossar der schlimmsten Politikerfloskeln veröffentlich, aber es gibt ja auch unzählige grausliche Kulturjournalismus-Floskeln. Ist "Drogenbeichte", das oft im Zusammenhang mit "Panikherz" fällt, nicht ein komplett dämliches Wort?

Ein doofes Wort, ja. Und auch Unsinn. Aber man schreibt ja nicht, damit andere drüber schreiben und man sich dazu wiederum verhält. Tatsächlich, wenn man mehrere Jahre an so einem Buch gesessen ist, dann will man, ganz blöd gesagt, dass alle das toll finden, dass alle hinterher sagen: "Bist ein guter Junge, warst nie besser und siehst spitze aus." Von wegen "konstruktive Kritik, damit kann ich gut umgehen". Kann ich gar nicht. Ich bin da ein bisschen wie ein Diktator, der noch nicht weiß, dass seine Zeit vorbei ist. Ganz enge Freunde bringen mir Kritiken, von denen sie mir versichern, dass ich die lesen könne, ohne traurig zu sein. Ich hab früher alles über mich gelesen und dann gemerkt, dass man da wahnsinnig dumm dabei wird und es auch nicht dabei hilft, nicht dauernd um sich selbst zu kreisen. Und ich bin so wahnsinng anfällig für Meinungen von außen, weil ich mich selbst so furchtbar finde. Ich bin ja auch psychisch einfach nicht in der Lage bei Facebook oder Twitter mitzumachen, das stress mich. Mir reicht das schon, die paar Leute, die man so tagsüber trifft.

In "Panikherz" hast du auch kurzerhand ein Jean-Paul-Zitat umgedreht, aus "das größte Paradies auf Erden ist die Erinnerung, aus dem man nicht vertrieben werden kann" wird bei dir: "Die Erinnerung ist die einzige Hölle, aus der es kein Entrinnen gibt." Du schreibst auch: "Ich selbst kannte mich einfach zu gut, um mich zu mögen." Wie unangenehm oder peinsam ist es denn, die eigene Geschichte aufzuschreiben, wenn man den, der man da war, damals nicht mochte?

Man hat ja keine Wahl, man ist ja trotzdem weiterhin mit sich zusammen, sozusagen. Wenn man das so theoretisch belastet, ist man schnell im Kitsch, das macht mir aber nix. Ich glaube ganz fest, dass Kunst, die etwas bedeutet, vom Schmerz handeln muss. Literatur, Filme Musik, die mich berühren, da ist immer zumindest ein Echo des Schmerzes drin. Das Lied "Happy" zum Beispiel von Pharrell, das berührt mich so wahnsinnig und macht mich wahnsinnig traurig. Es ist so Weltkulturerbe. Ob das von Pharrell beabsichtig war, ist vollkommen wurscht, ich höre darin eine irre Traurigkeit. Und genau da muss man hin, auch auf Kitsch-Gefahr hin, in den Schmerz, sonst ist es Thriller oder Storytelling oder so Zeug, das mich gar nicht interessiert.

Jedes Buch, auf dem der "Spiegel-Bestseller"-Sticker klebt, wird früher oder später verfilmt - Hat schon jemand angefragt wegen der Filmrechte von "Panikherz"?

Ja... und da kann man sagen, viel Glück, ne. (lacht)

Ein interessanter Gedanke, der in Interviews mit dir immer wieder auftaucht, ist, dass Drogen ja überhaupt nicht zur Rebellion taugen, sondern im Gegenteil zur Verspießerung führen ...

Drogen taugen schon zur Rebellion, aber Sucht ist Verspießerung, also Spießigkeit definiert sich so, dass alles immer gleich sein muss und man wird total nervös bei einer kleinen Abweichung. Und so hab ich die Drogensucht erlebt und auch bei Freunden, die auch Junkies waren, gesehen. Zwar sind die äußeren Rahmendaten irgendwie wild, also man steht kopfüber in einem Keller in der Slowakei, wird aber unausstehlich, wenn man die 3 Gramm Wasauchimmer, die man halt täglich braucht, nicht bekommt. Alles muss gleich sein. Sucht ist ja das Gegenteil von Freiheit - und das ist Spießertum.

1999 erschien ein Buch namens "Tristesse Royale", das Gesprächsprotokoll über Pop, Politik und Tabubruch mit dir, Christian Kracht, Joachim Bessing. Wie oft klingelt das Telefon, weil ein Verlag euch nochmal gemeinsam ins Adlon setzen und mitschreiben will?

Ach, da ruft niemand an. Kracht und ich sind auch wahnsinnig schlecht telefonisch zu erreichen. Lustigerweise wohnen wir jetzt beide in Los Angeles. Ich bin letztes Jahr am Sunset Boulevard gegangen und plötzlich ruft jemand "Stucki" und da steht plötzlich Kracht vor mir.

Sagst du "Kracht" zu ihm?

Ja, er sagt Stucki, ich sag Krachti. Also "Tristesse Royale" ist ein seltsames Buch. Wenn ich gewusst hätte, wieviel Schläge ich dafür einstecken würde, hätte ich da auch niemals mitgemacht. Wir sind zwei bis drei Tage im Berliner Hotel Adlon gesessen, waren komplett betrunken und bis unters Dach voll mit Kokain, haben das Band mitlaufen lassen, da war aber nur Gelalle drauf. Bessing hat dann hinterher irgendwas aufgeschrieben dazu. Und wir haben dafür alle 1.000 Mark gekriegt. Was echt nicht viel Geld ist dafür, wenn man sich anschaut, welche Schäden das angerichtet hat. Hinterher musste ich mir immer wieder anhören, ich sei doch das Arschloch aus dem Adlon mit den fünf Hitlerjungen. Das hätt ich wahnsinnig gerne nicht gemacht. Zum zehnten Jubiläum haben wir mal kurz überlegt, das wieder zu machen, sind dann aber zu dem Schluss gekommen, dass wir ja nicht die Eagles sind. Der Effekt, den "Tristesse Royale" hatte, war lästig. Weil ich mich auch in all den Beschreibungen nicht wiedegefunden hab und damals nicht verstanden hab, dass ich die nicht zur Deckungsgleichheit mit mir bringen muss.

Eine Frage, die man sich Ende der 90er Jahre gern auf Parties gestellt hat und auf die "Panikherz" auch eine Antwort liefert, stelle ich dir jetzt trotzdem: Oasis oder Blur?

Grade in diesen Tagen total schwierig zu beantworten. "Soloalbum" war ja ein Buch über Oasis, hatte aber ein Blur-Cover. Bei "Panikherz" dachte ich dann so als Coda, gegen Ende, als sich der Held für das Gefühl und gegen die Coolness entscheidet, das passiert bei einem Blur-Konzert in der Hollywood-Bowl. Kurz davor erlebt er eine ziemliche Enttäuschung bei einem Noel-Gallagher-Konzert, weniger über Noel Gallagher als über sich selbst und übers Älterwerden. Da gewinnen sozusagen Blur. Aber eigentlich ist es eine Unsinnsfrage, ist genau wie Beatles oder Stones, wobei das ist ja eine super leichte Frage, weil ...

Beatles ...

Ja, also natürlich nicht die Rolling Stones.