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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

30. 11. 2016 - 17:04

Studierst du noch oder lebst du schon?

Hinter dem wenig lustigen Titel verbirgt sich ein sehr lustiger Comic über den mühsamen Alltag in der Welt der Wissenschaft zwischen Geldsorgen, prekären Jobs und bürokratischen Hürden: über das Schreiben einer Dissertation.

Albrecht Knaus Verlag

Vielleicht war es das Ergebnis des Prokrastinierens in einem ihrer Nebenjobs oder einfach die Verzweiflung über das ganze Drumherum, das sie vom eigentlichen Schreiben der Doktorarbeit abgehalten hat. Jedenfalls hat die Französin Tipaine Rivière irgendwann den Alltag einer Dissertantin illustriert und auf "Le bureau 14 de la Sorbonne" gebloggt.

Studierst du ...

Jeanne Dargan, die Protagonistin im Comic, ist eine Junglehrerin, der ihre verhaltensauffälligen Schüler massiv auf die Nerven gehen. Lieber möchte sie selbst weiterstudieren - sie träumt davon zu promovieren. Groß daher ihre Euphorie, als sie einen Doktorandenplatz für Literaturwissenschaft an der Uni bekommt. In drei Jahren, auf den Tag genau, will sie mit ihrer Doktorarbeit fertig sein, verspricht sie ihrem Freund.

Die phlegmatische Sekretärin an der Uni versucht sie noch zu bremsen: ob sie sich wirklich sicher sei, immerhin würden sechzig Prozent der Doktoranden ihre Promotion abbrechen. Und bevor man da jetzt mit dem Papierkram anfängt, soll sie sich das bitte überlegen.
Da gibt's nichts zu überlegen – jetzt will Jeanne erst recht.
Euphorisch findet sie einen Doktorvater, dem sie und ihre Arbeit ("Das labyrinthische Motiv in der Türhüterparabel in Kafkas Prozess") herzlich egal ist.

oder ...

Studierst du noch oder lebst du schon?

Sie verbringt Stunden in der Bibliothek.
Allerdings nicht für ihre Doktorarbeit, sondern für ihren prekären Job. Weil sie kein Stipendium hat, lehrt sie an der Uni – für einen Hungerlohn. Für diese lächerlichen vier Stunden bereitet sie sich aber fast 50 Stunden vor.
Sie findet einen anderen Job an der Uni – ausgerechnet neben der superphlegmatischen Sekretärin.

Egal. Jeanne lässt sich nicht anstecken. Sie erstellt neue Zeitpläne – taktet den Tag streng von 7 bis 23 Uhr durch.
Am Wochenende recherchieren und zwei Stunden Schwimmen muss drin sein. Das sollte sich alles ausgehen – schließlich will sie es allen zeigen. Vor allem ihrer Familie, die versteht weder das Thema ihrer Arbeit, noch, warum sie so lange dafür braucht und schon gar nicht, was sie danach damit machen will.

lebst du ...

Da wäre noch die Beziehung. Im ersten Jahr zieht sie mit ihrem Freund zusammen und erklärt ihm noch, dass sich zwei von drei Doktoranden während der Doktorarbeit von ihrem Partner trennen würden, wenn die beiden zusammenleben.

noch?

Zurück zur Doktorarbeit: zum x-ten Mal ändert sie die Gliederung und muss dann natürlich auch diverse Teile neu schreiben. Oder sie liest den ganzen Schopenhauer und muss erst wieder alles neu strukturieren. Tipaine Rivière hat das sehr schön und schlau gezeichnet - wie ein Fantasieschloss, mit vielen Türmchen und windschiefen Verbindungen und Falltüren und immer wieder droht dieses Schloss in sich zusammenzubrechen.

So ernst und trocken das Thema ist - so witzig und treffend ist diese Graphic Novel.
Frau Dr. Tipaine Rivière, vergessen Sie Ihren Titel, danke für den Comic!