Erstellt am: 30. 11. 2016 - 15:12 Uhr
The daily Blumenau. Wednesday Edition, 30-11-16.
#medienpolitik
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die bisherige Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
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Der heutige Appell ist ein eher zufällig entstandenes Nebenprodukt meines Gastauftritts beim vorigen Dienstag abgehaltenen interdisziplinären Medientag der Universität Innsbruck zum Thema "Medien und Glaubwürdigkeit": Zwischen "Lügenpresse", Kampagnen-Journalismus und Aufklärung. Mit Dank an alle Beteiligten, vor allem an Ulrike Pfeiffenberger, Sandra Mauler, Barbara Laner, Knut Hickethier und Georg Laich.
Ich weiß, es ist hart.
Wir haben uns schon so gut drin eingerichtet.
Vor allem dann, wenn wir das kritisieren, was uns (im deutschsprachigen Raum) vom erfindungsreichen US-Amerikaner rübergewuchtet wurde, an neuen Interaktivität bedingenden und Kommunikationsstrukturen in ihren Grundfesten erschütternden Plattformen. Weil der Verbal-Gag mit den "asozialen Medien" aber auch so treffend ist, wenn wir die gewinnorientierte Ausrichtung und die perfid im globalen Markt versteckte Intransparenz dieser Projekte/Produkte angreifen.
Trotzdem: es gibt keine "Sozialen Medien".
Das ist eine glatte Fehlübersetzung, ein kulturelles Missverständnis unseres Sprachraums; das wir natürlich problemlos weitertragen können, postfaktisches Zeitalter und so. Zu einem echten Verständnis von "Social Media" wird das Einbetonieren einer falschen Zuschreibung aber nichts beitragen.
Und, jetzt einmal ehrlich: asoziale Medien, das ist demnächst auch nur noch so wenig lustig wie Schlepptop oder Zum Bleistift, die Quotenhits der Verbal-Gourmands unseres Kulturkreises. Oder der Un-Gag des Gesichtsbuchs, dieser unbewusste aber umso verzweifeltere Hilfeschrei der angesichts kultureller Differenzen jäh Überforderten.
Es ist auch niemandem wirklich zum Vorwurf zu machen.
Als der Begriff "Social Media" aufkam, wurde er ohne große Überlegung in patenter Logik übertragen; auch weil die Hoffnung, die die in Sozialstaaten lebenden deutschsprachigen Menschen in die neuen Netzwerke setzten eine entsprechende war: Kommunikation von unten würde klassische Werte wie Zusammenhalt und implizit auch die soziale Gerechtigkeit fördern, Partizipation die Bürgerfähigkeit fördern.
Das Problem ist aber folgendes: sozial heißt eigentlich nichts anderes als "gesellschaftlich" wird aber letztlich zuvorderst als "gemeinnützig, hilfsbereit, barmherzig" bedeutet. Übersetzt man es ins Englische, bekommt man "social" und "caring".
Stutzig macht der Gegentest. Das englische Wort "social" bedeutet nämlich neben "sozial" und "gesellschaftlich" auch "gesellig". Sein Verständnis-Schwerpunkt liegt also deutlich jenseits der Vorstellung der gemeinnützigen Hilfe, als die "sozial" in unseren Köpfen verankert ist.
Im Englischsprachigen, vor allem in den USA steht "social" vorrangig für die andere Facette des gesellschaftlichen, nämlich das "gesellige". Der Social Club ist in erster Linie eine schicke Version des Stammtisch, die Gemeinnützigkeit ist tendenziell nachrangig. Der auch bei uns gern verwendete Begriff des "socialising" bringt es auf den Punkt.
Denken wir eine Minute über Funktion, Wirkung und Ausrichtung von Social Media (am besten an konkreten Beispielen wie Facebook oder Instagram oder Twitter) nach: haben die Erbauer dieser globalen Kommunikations-Kathedralen eher Netzwerke, die soziale Gerechtigkeit befördern oder solche, die geselliges Treiben im Sinn haben, errichtet?
Die Handlungs-Praxis der weltweit in die Milliarden gehenden User deckt sich mit diesen Intentionen: es ist ein geselliges Beinandersein, neugieriger Austausch, Bilder- und Leistungsschau; die soziale Leistung steht im Hintergrund. Und sowohl die im gesellschaftspolitischen Zusammenhang relevanten Aktions- und Organisationsformen (Stichwort Arabischer Frühling) als auch alle gelobten (Stichwort: Schwarmintelligenz) oder kritisierten Entwicklungen (Hass-Posts, Fake, Campaignisierung) - die soziale Agenda steht bestenfalls in der dritten oder vierten Reihe.
Die Rezeption der deutschsprachigen Öffentlichkeit ist aus zwei Gründen eine so pikierte: zum einen, weil man das (von Erfinderseite nie gegebene, aus einer Falschübersetzung konstruierte und rein in einer virtuellen Zuschreibungswelt existierende) Hoffnungsversprechen von Social Media für eine sozial gerechtere Welt gebrochen sieht. Und zum zweiten, weil die Vorreiter öffentlicher Äußerungen, die großen Medienhäuser, diesen Irrtum wohl schon längst bemerkt haben, aber trotzdem auf ihrer gaghaft-eitlen Gegenrede zu den "asozialen" Medien bestehen, weil ihnen die Silicon Valley-Großplayer zu geschäftsmodellstörenden, ja disruptiv agierenden Konkurrenten geworden sind. Und mit einem deutlich näher an der Realität orientierten Begriff wie etwa "Gesellige Medien" (ein bissl besser wäre "gesellige Netzwerke") ließe sich nicht so gut arbeiten.
Der Übersetzungsfehler wird also mittlerweile rein taktisch eingesetzt.
Abgesehen davon, dass man ein derart eingeführten Begriff nur noch schwer zurück in die Büchse (Pandora) oder Flasche (Dschinn) bekommt: es fehlt auch der Wille der Definitionsmächtigen in Politik und Ökonomie, die sich längst - und auch zurecht - als (national fragmentierte und deshalb eh schon ohnmächtige) Gegenspieler zu den (sich in den globalen rechtsfreien Zonen suhlenden) Silicon Valley-Giganten sehen. Dabei mit einer falschen Begrifflichkeit zu arbeiten ist nicht nur ein wenig doof, sondern auch gefährlich; und letztlich nur in einem gesamtgesellschaftlichen Klima möglich, in dem Gefühle selbst dann Fakten ausstechen, wenn sie als Blödsinn ausgemacht wurden.