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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

30. 11. 2016 - 14:14

Harmanli brennt

Die Bewohner der bulgarischen Stadt Harmanli sind zum Großteil Nachkommen von Flüchtlingen. Heute steht dort außerdem das größte Flüchtlingslager Bulgariens. In dem ist nun ein Aufstand ausgebrochen.

Mit Akzent

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Harmanli ist ein bulgarisches Städtchen in der Nähe der bulgarisch-türkischen Grenze. Es befindet sich auf der Hauptstraße zwischen Europa und der Türkei. Während und nach den Kriegen auf der Balkanhalbinsel Anfang des 20. Jahrhunderts haben sich dort viele Bulgaren angesiedelt, die vor dem Krieg geflohen waren. Ihre Heimatdörfer wurden geplündert und verbrannt, ihre Kinder abgeschlachtet. Die Erinnerung an den bestialischen Krieg ist bei vielen immer noch allgegenwärtig. Vor 100 Jahren sind diese Menschen nach Bulgarien gekommen - nur mit ihren Kleidern am Leib und der Hoffnung, dass sie irgendwann wieder nach Hause zurück könnten. Dieser Tag ist aber nie gekommen. Der größte Teil der Bewohner von Harmanli sind die Nachkommen dieser Flüchtlinge.

Polizei in Bulgarien vor Rauchschwaden

APA/AFP/STRINGER

Aufstand im Flüchtlingslager in Harmanli am 24. November 2016

Heute befindet sich in dieser Stadt, in den Gebäuden der ehemaligen Kasernen aus der Zeit des Sozialismus, das größte Flüchtlingslager in Bulgarien. Offiziell leben 3000 Menschen dort. Meistens aus Syrien, Irak, Afghanistan und Pakistan. Vor ungefähr 10 Tagen wurde das Lager unter Quarantäne gestellt, den Bewohnern wurde verboten das Lager zu verlassen. Grund dafür war die Behauptung, dass unter den Flüchtlingen eine Epidemie von Hautkrankheiten herrsche, die sich in der Stadt verbreiten könnten. Man weiß nicht, ob man den Menschen genau erklärt hat, warum sie das Lager nicht verlassen dürfen. Man weiß, dass die Quarantäne ausgerufen wurde, ohne dass es im Lager einen Hausarzt gegeben hat. Die Ungewissheit, das gegenseitige Misstrauen und die Sprachbarriere bildeten aber eine gefährliche Mischung.

Am 24. November brach im Lager ein Aufstand aus. Die Migranten bewarfen die Polizisten mit Steinen. Sie zündeten die bulgarische Flagge an. Sie schlugen Fenster der Gebäude ein. Die Szenen, die im Fernsehen gezeigt wurden, ähnelten der palästinensischen Intifada - auf der einen Seite vermummte Personen, die Steine werfen, auf der anderen stark bewaffnete Gendarmen mit Schutzschildern, Schlagstöcken und Wasserkanonen. Es fielen Schüsse. 400 Personen wurden verhaftet. Es gibt verletzte Flüchtlinge und Polizisten. Journalisten bekommen keinen Zugang zum Lager. Die offiziellen Bilder zeigen blutende Gesetzeshüter. Freiwillige Flüchtlingshelfer zeigen Bilder von verletzten Flüchtlingen. Man spricht von Polizeigewalt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, doch niemand glaubt, dass die Wahrheit je herauskommen wird.

In Bulgarien endete vor kurzem der Präsidentschaftswahlkampf. Wie überall in Europa wurde er vom Flüchtlingsthema dominiert. Alle Kandidaten - egal ob rechts oder links - wollten keine weiteren Flüchtlinge ins Land lassen und die schon gekommenen möglichst schnell abschieben. Am lautesten waren die Kandidaten der nationalistischen Parteien. „Bulgarien für die Bulgaren!“, schrien sie. Die Bewohner des Städtchens haben Angst, die Flüchtlinge auch.

Die nationalistischen Parteien haben oft davon gesprochen, dass die Menschen aus Harmanli stolze Flüchtlingsnachkommen sind. Die Frage ist: Warum sollen Flüchtlingsnachkommen Flüchtlinge hassen?