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Pia Reiser

Filmflimmern

29. 11. 2016 - 12:14

Hudson, wir haben kein Problem!

In "Sully" erzählt Clint Eastwood von der spektakulären Landung eines Passagierflugzeugs auf dem Hudson River. Trotz Tom Hanks als Pilot ist der Film nicht nur ein Höhenflug.

Und so tritt Tom Hanks nun an, der dritte popkulturell relevante Sully zu werden. Nach dem langhaarigen Love-Interest von "Dr Quinn - Ärztin aus Leidenschaft" und dem kuscheligen Kinderschreck in "Monster AG" schlüpft Hanks in eine Pilotenuniform und gibt mit schlohweißem Haar Captain Chesley "Sully" Sullenberger. Als am 14. Jänner 2009 ein Passagierflugzeug am Hudson River mitten in New York notlandet - nur ein paar Minuten nach dem es am La Guardia Flughafen gestartet ist, war klar, dass es diese Geschichte früher oder später auf die große Leinwand schaffen würde. Wie groß eine große Leinwand sein kann, wird einem klar, wenn man den Film in einem IMAX-Kinosaal sieht, vielleicht wird manchen auch die wahre Göße von Tom Hanks erst bewusst, wenn sie sein Gesicht mal in einer Größe gesehen haben, die die der eigenen Wohnung übersteigt. Da kann man Mimikfalten bei der Arbeit zusehen.

Tom Hanks in "Sully"

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Neben dem Hudson River ist auch tatsächlich Hanks' Gesicht der interessanteste Schauplatz von "Sully", weil trotz spektakulärer Notlandung passiert ja gar nicht soviel in diesem Film. Die Frage, die sich vor dem Kinobesuch stellt ist, wie man die wahre Geschichte über einen Flug, der nur sechs Minuten gedauert hat, auf einenhalb Stunden ausdehnt. "Sully" ist übrigens Eastwoods kürzester Film als Regisseur.

Bei Robert Zemeckis würde "Sully" wohl damit beginnen, dass wir den Piloten beim Aufstehen, beim Scherzen mit den Teenager-Töchtern, beim Frühstück mit der Ehefrau (bizarr unterbeschäftigt und wie Colin Farrell in "Nicht auflegen" nur am Telefon zu sehen: Laura Linney). Dann würde sich Sully die Uniformjacke anziehen, in einem Nebensatz bei der Verabschiedung erwähnen, dass er seit über 40 Jahren Pilot ist, und sich zum Flughafen aufmachen.

Filmstill aus "Sully": Passagierflugzeug landet am Hudson River

warner

Eastwood geht weniger den Weg des sentimentalen Zemeckis-Onkels, sondern schlägt einem in "Dirty Harry"-Manier gleich mal ein blaues Auge. Zu Beginn von "Sully" sehen wir einen Flugzeugabsturz, der sich als Alptraum Sullys herausstellt. Danach ist man - wie Sully - erstens munter und zweitens bleiben die Bilder des abstürzenden Flugzeuges hängen. Auch wenn man weiß, wie die Geschichte um das "Wunder vom Hudson River" ausgegangen ist, so setzt einem Eastwood zunächst mal vor, wie das auch ausgehen hätte können. Wenn man schon keinen Katastrophenfilm inszeniert, will man zumindest die Möglichkeit einer Katastrophe auf die Leinwand bringen.

Immer wieder kehrt Eastwood zu dem Moment zurück, als die Maschine kurz nach dem Start in einen Gänseschwarm gerät und beide Triebwerke ausfallen. Innerhalb weniger Sekunden muss der Pilot eine Entscheidung treffen. Mal sehen wir die Sequenz als Traum, mal aus Sicht der Passagiere, mal als Flugsimulation.

Wenn der Film ein Flugzeug nahe an den Wolkenkratzern Manhattans vorbeifliegen lässt, dann wird einem auch wieder bewusst, wie sehr die Schreckensbilder von 9/11 zur Ikonografie geworden sind, zum kollektiven Gedächtnis. Die sichere Landung des Flugzeuges auf dem Hudson eignet sich deswegen auch so gut als heldenhafte Post-9/11-Geschichte, weil die gleichen Elemente - Manhattan, Flugzeug - eine Geschichte mit Happy End bilden.

Aber vor dem Happy End braucht es einen Konflikt. Und um eine Geschichte über einen Flug, der sechs Minuten gedauert hat, auf Spielfilmlänge zu dehnen, braucht der sympathische und bescheidene Pilot mit dem Schnauzer vor allem eines: Antagonisten. Und während die Presse ihn als Held feiert und er von Talkshow zu Talkshow, von Katie Couric zu David Letterman gereicht wird, wird natürlich auch eine noch so wundersame Notlandung Untersuchungsobjekt der NTSB, der nationalen Flugsicherheitsbehörde, oder wie Eastwood sie sieht, den behördlichen Schreibtischtätern und Bösewichten.

MIke O Malley in "Sully"

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Hätte Sully nicht einfach die Maschine wenden und zurück nach LaGuardia zu fliegen können? Flugsimulation says yes. Grundätzlich sind alle natürlich glücklich, dass die Passagiere überlebt haben. Wenn sich bei der Untersuchung trotzdem ein Fehlverhalten des erfahrenen Piloten herausstellt, so könnte das fatale Folgen für sein Berufsleben haben - vor allem, nachdem er gerade auch begonnen hat, als Berater in Sachen Flugsicherheit zu arbeiten und die 2008er US-Immobilienkrise auch Sorgenfalten ins Gesicht von Mr. und Mrs. Sully zeichnet.

Laura Linney in "Sully"

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Da inszeniert Eastwood also pars pro toto die beiden NTSB-Mitarbeiter als inkompetente Regierung, die ohne Sinn und Verstand mit dem Wohlergehen der amerikanischen Bürger spielt. Da Eastwood einer der wenigen prominenten Trump-Unterstützer der sogenannten Hollywood Elite ist, während der Rest - von Leonardo diCaprio über Jessica Chastain bis zu Scarlett Johansson - klar #Team Hillary war, ist man versucht, Regierungskritik in "Sully" hineinlesen. Fragt man bei Clint Eastwood nach, sag wie hast du's mit der Politik, so erklärt er sich gern als libertarian: "Libertarian means you're socially liberal - leave everybody alone - but you believe in fiscal responsibility, and you believe in government staying out of your life.", so Eastwood in der Talk-Sendung "Ellen".

Das Problem mit dem Argument, dass Eastwood mit "Sully" zu machen versucht, ist, dass die Darstellung der Untersuchung im Film wohl recht wenig mit den tatsächlichen Geschehnissen zu tun hat. Die NTSB hat bereits vermelden lassen, dass die Geschichte wie "Sully" sie erzählt, nichts mit der tatsächlichen Untersuchung zu tun habe, und dass man sich von Eastwood angeschwärzt fühle. Bei jedem Film, der auf einer wahren Begebenheit beruht, gibt es immer Kritikpunkte, die sich um Fiktion und Dichtung drehen. Kaum ein Film hält sich bloß an Fakten, im Falle von "Sully" ist es nur besonders perplex, weil der gesamte Konflikt, auf dem der Film und seine Dramaturgie ruhen, erfunden ist.

Tom Hanks und Aaron Eckhardt in "Sully"

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Diese fiktive Zuspitzung - notwendig für Regierungskritik, aber vor allem auch, um Spannung in die Geschichte zu bringen - wie Sully und sein Co-Pilot (Aaron Eckhardt mit einem herausragenden Schnauzbart) immer mehr unter Druck der NTSB geraten, wird in einem für Eastwood-Verhältnisse fast sentimentalem Finale aufgelöst. Wohl mehr als um eine politische Botschaft geht es in "Sully", so erklärt Eastwood in Interviews immer wieder, dass der der "common sense of humanity" verlorengegangen sei. Und so wird "Sully" gegen Ende fast mit einem Hauch Frank Capra angezuckert - der legendäre Regisseur hat in den 1930er und 1940er Jahren Geschichten vom Triumph des kleinen Mannes erzählt - auf den können sich wohl Republikaner und Demokraten einigen.

"Sully" ist wohl Eastwoods mildester und undramatischster Film, ein weiteres Beispiel für die unaufdringlich-große Schauspielkunst von Tom Hanks und Beweis, dass Eastwood sein Handwerk versteht. Doch während die Passagiere ordentlich durchgerüttelt werden, bleibt man von "Sully" reichlich unberührt zurück.