Erstellt am: 21. 12. 2016 - 16:15 Uhr
Heteros sind das ganze Übel
Die Suche nach der eigenen Sexualität, nach den eigenen Standards und sogar nach der richtigen Dosis Political Correctness ist ein langer, meistens sogar lebenslanger, Lernprozess. Auch für Menschen, die glauben, dass sie bereits alles verstanden haben. Das zeigt "Lockpick Pornography" mit einleuchtender Leichtigkeit.
Wenn man das Wort "ficken" nicht mag, sollte man dieses Buch allerdings nicht lesen.
Queer Revenge
Vier queere Freund_innen machen es sich zur Aufgabe, die heteronormative Mehreitsgesellschaft zu befreien, oder sie zumindest zu verunsichern. Doch auch der Ich-Erzähler und Kopf der Gang ist vor seiner eigenen Doppelmoral nicht gefeit: "Ich hatte zwei doppelte Whiskey Sours und langsam verschwindet die Nervosität, die mich in der Nähe von Lesben immer befällt." Und kurz darauf, ohne seine eigene Homophobie und Engstirnigkeit bemerkt zu haben: "Mir fällt wieder ein, wie engstirnig die meisten Homos, die ich kenne, sind."
Ja, auch du - will man ihm entgegenrufen, aber der Protagonist in "Lockpick Pornography" ist nicht geschaffen worden, um uns zu gefallen und sympathisch zu sein. Er ist ein Ungustl, der glaubt für die richtige Sache zu kämpfen. Und das tut er ja meistens auch, nur die Mittel, die er wählt, sind gelinde gesagt schwierig.
![© Bryanna Reilly Joey Comeau](../../v2static/storyimages/site/fm4/20161148/BryannaReilly_body.jpeg)
Bryanna Reilly
For today I am a girl
Ein bisschen erinnert die Story an den Film "Die Fetten Jahre sind vorbei" - junge Leute brechen aus politischen Idealen heraus in die Häuser der Privilegierten ein. Hier sind aber nicht die Reichen und der Kapitalismus das Ziel, sondern Heteros und Homophobie bzw. das furchtbare Wort "Toleranz", das zerstört werden soll.
![© Luftschacht Verlag Lockpick Pornography](../../v2static/storyimages/site/fm4/20161148/cv_comeau_lockpick_pornography_web_side.jpeg)
Luftschacht Verlag
'Ich habe wieder das Gefühl, ein Teil von etwas zu sein, das queer und stark und wertvoll ist. Wenn ich über "die Bewegung" in der Zeitung lese, oder Queers sehe, die im Fernsehen interviewt werden, habe ich nicht das Gefühl, Teil davon zu sein, ich habe nicht das Gefühl, von diesem entschärften Image repräsentiert zu werden, das sie erschaffen haben, um Heteros zu helfen, uns zu "tolerieren". Ich bin Teil von etwas Ehrlicherem.'
Nicht nur Einbrüche zählen zum Sortiment an "Erziehungs-Maßnahmen" der vier Freund_innen, auch Prank-Calls, Sex (egal wo und wann), im späteren Verlauf immer wieder auch Gewalt. Aber auch das Produzieren eines queeren Kinderbuches mit dem sehr guten Titel "Manchmal ist Johnny ein Mädchen". Überhaupt ist das Kinderbuch die beste Idee, die im gesamten Buch geboren wird. Heimlich und nachts wird es illegal in Schulbüchereien und in Privathäusern platziert, mit der Hoffnung, dass es jemand liest.
Konsequente Unsympathie
Im Online-Review einer Leserin finde ich die fünf Worte, die den Roman für mich zusammenfassen: "tries too hard to shock". Ja, leider. Ein bisschen weniger vermeintliche Aufreger, ein bisschen mehr Sympathie - das hätte dem Buch nicht geschadet. Konsequent ist es aber auch, dass der Ich-Erzähler am Ende natürlich von Heteros aus seinem Schlamassel gerettet wird. Sie sind ja doch nicht alle schlecht.