Erstellt am: 29. 11. 2016 - 06:00 Uhr
"I am a happy African feminist"
Chimamanda Ngozi Adichie ist Geschichtenerzählerin. Sie kommt aus Enugu in Nigeria, ist Schriftstellerin und ihre TED-Talks "The Danger Of A Single Story" (2009) und "We Should All Be Feminists" (2013) werden millionenfach angeklickt. Kein Wunder: Ihr Charisma und ihre Gabe, komplexe soziale Sachverhalte in simplen Sätzen auf den Punkt zu bringen, erschließen sich im Live-Vortrag schon nach wenigen Worten.
Fischer Verlag
Mehr Feminismus
Dabei ist es gerade ihr literarischer und lebensnaher Zugang, der ihr feministisches Manifest, das im Oktober unter dem Titel "Mehr Feminismus" auf Deutsch erschienen ist, so angenehm untheoretisch macht.
Ihr Aktivismus fußt kaum auf Texten, die sie in Gender-Seminaren gelesen hat, sondern auf persönlichen Erfahrungen. Oft beginnt sie ihre Sätze mit "Ich kenne eine Frau, die…", und erzählt dann von berufstätigen Müttern, die sich bei ihren Männern fürs Windelnwechseln bedanken, oder von Frauen in Führungspositionen, deren Stil als zu aggressiv und zu wenig weiblich kritisiert wurde.
Gleich zu Beginn des Talks räumt sie jedoch mit stupiden, aber umso hartnäckigeren Klischeebildern von FeministInnen auf, indem sie sich als "glückliche afrikanische Feministin" bezeichnet, "die Männer nicht hasst und Lippenstift und hohe Absätze zum eigenen Vergnügen und nicht zum Vergnügen der Männer trägt".
Pop, Make-up und Politik
Adichies Vortrag zielt auf die Selbstermächtigung von Frauen und Mädchen ab. Sie isoliert über Generationen internalisierte Erziehungsmuster ("Du darfst ehrgeizig sein, aber nicht zu sehr.") und setzt ihnen Alternativen entgegen, die so einfach klingen, dass man sich fragt, wieso Begriffe wie Gehaltsschere und Frauenquote nach wie vor Teil unseres Alltagsvokabulars sein müssen. Denn im Ernst: "Was wäre, wenn wir uns bei der Erziehung unserer Kinder ausschließlich auf Fähigkeiten und Interessen konzentrierten statt auf Geschlecht?"
Michelle Obama ist jedenfalls ein Fan und Beyoncé war von Adichies Rede so beeindruckt, dass sie einige Passagen daraus in ihrem Song "Flawless" gesampelt hat.
Die 39-jährige Autorin schildert auch ihre eigene Entwicklung. Als sie ihren ersten Creative Writing Workshop gab, fühlte sie den Druck, sich "seriös" anziehen zu müssen, um im Beruf ernst genommen zu werden. Seriös, das heißt am männlichen Standard orientiert: Hosenanzug, am besten grau, nur ja nicht zu viel Haut zeigen, nicht zu kurz, nicht zu eng.
Heute kümmert sie sich nicht mehr um solche Konventionen. Sie ist nicht nur modebewusst und trägt bei der Schminke gern dick auf, sondern ist seit einigen Wochen sogar Testimonial für eine britische Make-up-Kampagne. "It’s about the face I choose to show the world, and what I choose to say", lautet der Werbeslogan und klingt aus ihrem Mund wie eine politische Botschaft.
"It's about what I choose to say"
Dass Adichies Worte Gewicht haben, wissen nicht nur Marketingmenschen. Als Politikwissenschaftlerin und Afrikanistin ist sie auch viel beschäftigte politische Kommentatorin, schreibt für Magazine oder tritt in TV-Diskussionen auf.
Im vergangenen US-Wahlkampf hat sich Adichie für Hillary Clinton stark gemacht und erst vor kurzem ging das Video eines Interviews durch die sozialen Medien, in dem sie den Publizisten Emmett Tyrrell abkanzelt, weil er leugnet, dass Donald Trump rassistische Aussagen gemacht hat. Ihre lapidare Antwort: "If you are a white man you don't get to define what racism is."
In erster Linie ist Chimamanda Ngozi Adichie, die seit ihrer Studienzeit zwischen Nigeria und den USA pendelt, aber Schriftstellerin. In ihrer Literatur schildert sie die Lebensrealitäten zeitgenössischer NigerianerInnen, die zum Teil in den USA oder in Großbritannien in der Diaspora leben und erzählt von Polizeigewalt, Generationenkonflikten oder Liebe.
Eine in Connecticut lebende Uniprofessorin, die wieder verheiratet werden soll, der schwule Sohn konservativer Eltern, der sich an seine Gefühle für den Houseboy erinnert, eine Ärztin, die in ihrer Rolle als Ehefrau untergeht: In Adichies aktuellen Geschichten bewegen sich gut ausgebildete, gut verdienende ProtagonistInnen, die großes Identifikationspotential auch für Nicht-AfrikanerInnen bieten. Wunderbar zu lesen, schlicht erzählt.
Vielfalt statt Einfältigkeit
Beim Sprechen über mein Leseerlebnis fällt mir jedoch auf, dass ich immer wieder auf den relativen Wohlstand ihres literarischen Personals hinweise. Warum tue ich das? Weil ich trotz meiner vermeintlichen Aufgeklärtheit wie konditioniert einer ziemlich naiven und ziemlich westlichen Weltanschauung auf den Leim gehe und mich frage: Repräsentieren solche Figuren überhaupt das "echte Afrika"?
Eine Frage, die ich mir nur stelle, weil ich, wie es Adichie selbst nennt, nur die eine "single story" von Afrika verinnerlicht habe. Die übliche Erzählung vom verarmten, hungernden Kontinent und seinen verarmten, hungernden Menschen, die sich nicht selbst helfen können. Wieso sonst hätte ich den Anspruch, dass die Geschichten einer der wenigen afrikanischen AutorInnen, die ich bis jetzt gelesen habe, das sozioökonomische Spektrum eines ganzen Kontinents repräsentieren sollten?
- "The Danger Of A Single Story" hat über elf Millionen Views auf ted.com.
"Show a people as one thing, as only one thing over and over again and that is what they become", sagt Adichie in ihrem TED-Talk "The Danger Of A Single Story" und weist gleichzeitig darauf hin, dass niemand vor Vorurteilen gefeit ist. Einseitige Erzählungen gibt es genauso von mexikanischen ImmigrantInnen, syrischen Flüchtlingen, Juden und Jüdinnen, verschleierten Frauen oder eben AfrikanerInnen.
In einer Zeit, die wieder verstärkt von populistischen Verkürzungen infiltriert wird, tut es unglaublich gut, Chimamanda Ngozi Adichie zu lesen oder ihr zuzuhören.
Ihre Worte und ihre Figuren halten den vielen gefährlichen "single stories" heutzutage Vielfalt, den Mut zur Selbstbestimmtheit, Kritikfähigkeit, Zuversicht und eine starke inspirierende Kraft entgegen.