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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

28. 11. 2016 - 16:59

Gefühle sind so schön

Die Hamburger Band Der Ringer bringt die Zukunft. Gerade hat das Quintett eine gemeinsame EP mit Isolation Berlin veröffentlicht. Seltsam und wahr.

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Wie kann die Idee vom Liebeslied nach hunderten Jahren Wehmut, Schmerz und Mühen noch neu gedacht werden, zumindest teilweise? Auch wenn sich die junge Hamburger Band Der Ringer dieses Unterfangen wohl nicht als ausdrücklichen Masterplan auf die Fahnen geschrieben haben dürfte, ist ihre Art zu texten in nicht wenigen Fällen einzigartig.

Klingt nicht selten gerade durch den Einsatz einer antiquiert anmutenden Ausdrucksweise frisch und eindringlich. Im Anfang des Jahres erschienenen Stück "Glücklich" beispielsweise reduziert Der Ringer alle Liebeslieder der Welt auf die Essenzen: "Ich bin traurig deinetwegen", singt Frontmann Jannick Schneider da, und dann: "Ich bin glücklich deinetwegen".

Um dann in der Endphase des Songs doch die große Poetik auszupacken: "Der Wein schmeckt viel besser aus deiner Hand".



Oder auch der außerweltliche Song "Apparat": Während frühe Lieder der Gruppe noch klar nach Postpunk und im Speziellen Joy Division geduftet haben, ist dieses Lied ein im besten Sinne schwülstiges Stück Post-Internet-Pop, elektronisch, mit zärtlicher Robo-Stimme.

"Apparat" ist aus der Sicht einer künstlichen Intelligenz geschrieben: "Für dich bin ich nicht real, ein Gesicht im Datenstrom". Futurismus in der digitalen Gegenwart, im Alltag, jedoch ohne Technologie-Kritik, im Künstlichen entdeckt Der Ringer hier die große Emotion.



Anfang 2017 wird nach bislang zwei veröffentlichten EPs das Debütalbum von Der Ringer erscheinen, gerade haben die fünf Herren eine gemeinschaftliche EP mit der Berliner Gruppe Isolation Berlin in die Welt gestellt.

Eine Zusammenkunft, ausgedacht wohl in versifften Hinterzimmern und verrauchten Stuben, mit einem rätselhaft schönen Ergebnis. Dieses Jahr sind beide Bands zusammen auf Tour gewesen und dürften sich, wie es heißt, ineinander verliebt haben. Rausgekommen ist eine fünf Stücke lange, bestens unaufgeräumte und vielseitige Platte mit dem guten Titel "Ich gehör nur mir allein".

Der Ringer spielt am 19. 2. 2017 im Wiener rhiz, dann schon mit Album im Gepäck.

Alle Tracks sind gemeinsam entstanden. Wo die eine Band aufhört und die andere anfängt, ist hier schwer auszumachen. Man muss wirklich nicht Der Ringer auf die Synthesizer festnageln oder bei den gefühligen Punk-Melancholikern Isolation Berlin den dominanten Gitarren-Aspekt verorten. Durch die Überlagerung entsteht wieder etwas Neues.

Der Ringer und Isolation Berlin

Der Ringer und Isolation Berlin

Auch einiges an Experiment und schönem Quatsch. Musik und andersartige Geräusche, die dann auch nach etwas klingen können, das man bislang von keiner der beiden Bands gehört hat.

Das Stück "M10" ist da der prächtige Härtefall: eine quietschende, ächzende, brummende Industrial-Ambient-Versuchsanordnung, die wohl kaum großartig komponiert oder konstruiert worden sein dürfte.

Es ist ein Passieren, ein kaputtes Hörspiel, Metall auf Metall, wirre Soundschlieren, Scheppern, Murmeln, Murmeln, Murmeln, Stimmen durchdringen einander und erzählen vom Taumel durch die Nacht: "Wir waren bis 4 Uhr noch saufen".

Man verliert sich, kann den Ereignissen nicht mehr genau folgen. Dann aber auch heißt es: "Was ist denn eigentlich mit dem Fitness-Center jetzt?" Wir kommen schon nach Hause, so oder so.


Der Track "M10" ist eine Ausnahme auf einer EP voller Ausnahmen. Der freundliche Gegenpol ist der Song "My Friends Don't Like Me": Ein beschwingter Kneipen-Rock, gesungen auf Englisch, wieder einmal mit kryptischen Texten, die sich nicht aufdringlich selbst entschlüsseln lassen - aber intuitiv begriffen werden können: "My friends talk behind my back, my friends smoke my cigarettes".

Der Ringer & isolation Berlin

Staatsakt

"Ich gehör nur mir allein" von Der Ringer und Isolation Berlin ist via Staatsakt erschienen.

Das Stück "Ein Traum" ist aufgekratzer Krachrock und Sehnsuchtspunk, die Nummer "Wolke/Rekall" hochsynthetischer Plastik-R'n'B mit Autotune am Anschlag.

Der Höhepunkt aber ist der Quasi-Titeltrack "Ich bin so unendlich schön", er enthält die Zeile "Ich gehör nur mir allein".

Ein lasziver Track voller Sex und (Auto)-Erotik, ein Spiel mit Körper, Begehrlichkeiten und Unnahbarkeit. "Millionen roter Münder wollen mein Fleisch probieren", heißt es da beispielsweise, oder auch "Denn deine welken Lippen trocknen meine junge Seele aus".

So hat noch keiner gesungen. Selbstherrlichkeit und das Wissen um die Möglichkeit des Absturzes. Wunderliche Musiken, leuchtende Worte für andere Zeiten.