Erstellt am: 2. 12. 2016 - 14:49 Uhr
Between Death and Glory
"There's no drug in the world that can compare with playing music."
Ein banales Statement, aber nicht für den englischen Musiker Peter Doherty. Drogen- und Alkoholexzesse begleiten ihn seit dem frühen Beginn seiner Karriere. Dass vor allem seine Skandale medial ausgeschlachtet wurden und werden, anstatt sich intensiver mit seinen Texten, seiner Musik zu beschäftigen, ist Produkt unser aller Sensationsgeilheit. Auch, wenn natürlich sein Privatleben seine Arbeit immer maßgeblich geprägt hat. Let's start at the beginning.
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Meine Muse
dpa/Bettina Schwarzwälder
Peter Doherty und Kate Moss. Das englische Topmodel und der dackeläugige, scheinbare Rüpel erstaunen mit ihrer monate-, ja, jahrelangen On-/Off-Beziehung vor allem die britische Klatschpresse. Natürlich sind auch während dieser Liebesbeziehung Texte entstanden: "On the off chance, that you're listening to the radio, I thought you might like to know you broke my heart" ("Killamangiro").
Behind the scenes
Peter Doherty, so wie es in seinem Pass steht und wie er sich erneut auf seinem neuen Album "Hamburg Demonstrations" auch nennt, wuchs als sehr kluges Kind auf.
Seine Noten waren hervorragend, er gewann Poesiewettbewerbe, Oxford klopfte an die Tür und bot einen Studienplatz an. Das Literaturstudium schmeißt Peter schon im ersten Jahr, um in eine Künstler-WG zu ziehen. Und der Mitbewohner? Musikerkollege Carl Barât. Das soll der Beginn einer sehr langen Hassliebe werden, wenn auch nicht so schlimm wie bei den Gallagher-Brüdern. Kreative Streitereien, die von beiden Seiten das Beste fordern, die persönlichen Diskrepanzen werden nicht nur einmal in Songs verpackt, im authentischen Doppelgesang zum Anschreien auf der Bühne ("Have we enough to keep it together?"). Gegenseitiges Verstehen, gemeinsame Rebellion, der alte Punkgedanke neu verpackt in knisterndes Garagenrock-Glitzerpapier.
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They can't stand you now
The Libertines, die selbsterkorenen Freigeister, sind eine der besten "The"-Bands der späten Indierock-90er, spielen anfangs erstmal in Guerillamanier versteckte Gigs, im Wohnzimmer nach Wahl und Alkoholvorrat. Es geht schnell hinauf und bald hinunter. Die Charts sehnen sich nach Zeilen wie "Is it cruel or kind not to speak my mind and to lie to you, rather than hurt you?", nach Fortsetzung des sehr guten Debutalbums "Up The Bracket" (2002). Carl und der Rest der Band, aber vor allem Peter, sehnen sich währenddessen eher nach Drogen und Alkohol.
Auch das zweite Album der Libertines, selbstbetitelt und 2004 erschienen, holte ihn nicht aus seiner kokaingeschwängerten Parallelwelt.
In einem paranoiden Anfall bricht Peter schließlich sogar in Carls Wohnung ein, klaut dort Diverses, und wandert diesmal wirklich zwei Monate lang ins Gefängnis. Peter gefallen seine Klamotten in Schwarz-Weiß-Gestreift so gut, dass er 2008 dann gleich nochmals der Sonne hinter Gitterstäben beim Aufgehen zusieht. Er nimmt's gelassen: "Even in prison I told myself it was a good thing to be locked up, because at least I would have time just for me."
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Schlägereien werden geschlichtet, Produzenten, noch zu Libertines-Zeiten, ausgetauscht. Mick Jones, ehemals The-Clash-Mitglied, wird engagiert einzugreifen. Er ist tapfer, die Arbeit mit Peter ist nervenaufreibend, weil er sich trotz mehrmaliger Einlieferungen in Entzugskliniken immer wieder wie ein Aal entwinden kann. Mick Jones wird später auch die Babyshambles produzieren. Die Libertines weigern sich, weiterhin mit Peter Doherty die Bühne zu teilen.
Die Texte, die zu dieser Zeit entstehen, sind großartig.
Peter, der Poet
"I don’t really know what 'intellectual' means, but if it means you’ve got a desire to learn, you’ve got a desire to look for things that haven’t been presented to you, then, maybe. I think that 'intellectual' is quite an exclusive word. I think it’s just for anyone that has a thirst or a hunger to improve themselves, or a yearning to escape from somewhere to get to a better place."
Er macht weiter. Nicht drogenbefreit aber strotzend vor Songzeilen und Melodien sind es die Babyshambles, die uns einen Ohrwurm für immer bescheren: "Fuck forever, if you don’t mind". Peter Doherty schreibt sein Lebensmotto und das für seine Generation, besingt sein gelangweiltes Middleclass-Dasein. Anders als der punklastigere Garagerock der Libertines findet er mit den Babyshambles einen Sound, den auch sein begleitendes und darauf folgendes Soloprojekt prägen sollen. So klingend nämlich, als ob er, weiterhin Sänger und teilweise Gitarrist, immer leicht einen sitzen hätte. In Lausbubenmanier singt, lallt er seine ausgezeichneten Texte.
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"So, here comes a delivery, straight from the heart of my misery". Oder an anderer Stelle: "I really don't like your boyfriend's face, and I am going to try and take his place" - eine Zeile aus "Penguins", er motzt wie ein byron'scher Antiheld gegen den Liebhaber seiner Prinzessin, im Versuch sie zu bekommen, aber eigentlich wissend, dass sie sich nie für einen Spieler wie ihn entscheiden wird. Der Titel spielt mit seiner Situation, in der er, trotz vieler Affären, Beziehungen und doppelter Vaterschaft (Astile Louis, *2003 und Aisling, *2012) meist einsam ist. Subtile Selbstkritik, manchmal kann man es Einsicht nennen, prägt schon die frühen Texte der Babyshambles. "What did I dream, there's nothing as it seems, on the way back down for me" ("Loyalty Song"). Was, nachdem man NME-Posterboy war?
"Once you realize that what I'm saying is true and comes from the heart, then it's easy. But if you see it all as a facade and just a presentation of affected emotion, then it's not so easy, it'll just confuse you."
Peter Doherty wird nach der nur inoffiziellen Auflösung der Libertines wieder groß mit seinen Babyshambles, die er als seine Familie bezeichnet. Die Musik wirkt gleichzeitig befreiter, das beweisen nicht nur die Reggaegitarren, die ab und zu mittanzen dürfen. Oft in shabby wirkende Singalongs verpackt spielt Peter mit den Maßstäben von Gut und Böse, steht in seinen Texten zu all seinen Taten, entlarvt aber Wahrheit und Lüge im selben Moment als gleichbedeutend: "If I had to tell the truth I would by lying, if I said that I was wrong, to be the right man in the wrong place, on the right side of the road" ("Fall From Grace").
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LIVE
Vielleicht habt ihr Glück und könnt Peter hier live sehen.
Zwei von drei Gigs werden vorab spontan abgesagt, weil Peter in irgendeinem Stadium des Deliriums angekommen ist, das es nicht mehr vorsieht, Gitarre zu spielen. Oder gerade zu stehen. Zwischendurch gibt es geniale Momente, als er nach einem Auftritt in Bratislava beschließt, noch einen Zwischenstopp im Grazer Pornokino "Nonstop" einzulegen, um da ganz wie früher mit seinen Libertines-Bandkollegen einen winzigen Gig zu spielen.
Talk over... gin in teacups
Die Alben "Down In Albion" (2005), "Shotter’s Nation" (2007) und auch das letzte, "Sequel To The Prequel" (2013), belegen in ihrer musikalischen Qualität ein ums andere Mal, was man eigentlich aufgrund des körperlichen Zustands von Peter Doherty nicht glauben kann. "Albion" oder "Nothing Comes To Nothing" sind nur zwei der melodischen und lyrischen Höhepunkte über wehmütige Sinnlosigkeit, na und, Finger drauf geschnippt.
Take me back
Im Herbst 2015 passiert das, worauf viele gehofft, aber wenige erwartet haben: The Libertines-Reunion. "Anthems For Doomed Youth" heißt das Album, das praktischerweise gleich neben Peter Dohertys damaliger Entzugsklinik in den Karma Sound Studios in Thailand aufgenommen wurde. Und, sie gehen sogar wieder auf Tour.
Auch in der Stadthalle Wien machen die Libertines halt, Peter sieht fröhlich aus, aber aufgequollen, ein bisschen übergewichtig. So, wie man ihn aus aktuellen medialen Meldungen gewohnt war – aber laut Pressesprechern "clean".
Hätte Peter an diesem Abend in einen Alkoholtester blasen müssen, wäre dieser wohl explodiert.
APA/AFP/FRED TANNEAU
BMG
Das zweite Soloalbum von Peter Doherty, "Hamburg Demonstrations", erscheint via BMG.
I'm vain, because I'm imperfect
Einigermaßen überraschend ist gerade Petes zweites Soloalbum, "Hamburg Demonstrations" erschienen. In der Stadt, in der Peter auch schon einige Zeit gelebt hat, wurden die elf Songs aufgenommen, die eine Auswahl seines unveröffentlichten Materials zeigen. Soundmäßig stark an die Babyshambles angelehnt, folgt es seinem Vorgänger "Grace/Wastelands" (2009), und ist wieder sehr gut, teilweise sogar eine Steigerung. "Flags From The Old Regime" widmet er der verstorbenen Amy Winehouse, sonst ist das Album voll mit nostalgisch wankenden Popsongs, wie der Opener "Kolly Kibber". Jungenhaftigkeit schimmert nach wie vor zwischen seinen Zeilen, eine unbeschwerte, nonchalante, sehr charmante Art, tänzelnd, singend über Gefühle und über Verletzlichkeit. "I don’t love anyone", singt er da, "but you’re not anyone".
Live fast, stay alive
Noch mehr gute Musik!
Muss bei der Idee von Rock’n’Roll immer noch oder schon wieder auch der Hang zur Selbstzerstörung mitschwingen?
Ja, im Fall von Peter Doherty mit Sicherheit. Und er ist einer der begabtesten Rockstars unserer Zeit.