Erstellt am: 25. 11. 2016 - 18:06 Uhr
Bunte Brillen gegen Überwachung
Aus Hollywoodfilmen und diversen Serien ist Gesichtserkennung nicht wegzudenken. Ein unscharfes Schwarz-Weiß-Foto einer Überwachungskamera reicht den ErmittlerInnen, um in Jubelschreie und Freudentränen auszubrechen. Zu Recht, denn alles, was es im Film braucht, ist zumeist ein überdimensionales Bild, das riesengroß an eine Wand gestrahlt wird und zeigt, was sich gleich am Bildschirm des Ermittlers tut: Der drischt ein paarmal wild auf die Tastatur ein, um sich sogleich auf Mausklicks zu beschränken. Läuft. Das Fahndungsbild, so können alle auf der überdimensional großen Wand mitverfolgen, ist nicht nur scharf, sondern wird auch zeitgleich durch eine Datenbank gejagt und die Ermittler wissen somit, wer der Endgegner ist.
Auszug aus der Studie
Gangsterjagd 2.0: DNN statt DNA
So reibungslos und so fehlerfrei funktionieren Gesichtserkennungs- kameras derzeit (noch) nicht. Aber sie funktionieren. Das verdanken wir nicht zuletzt der Technologie namens Deep Neural Networks, kurz DNN. Sie identifiziert Personen anhand ihrer Gesichter und ist inzwischen schon so zuverlässig, dass sie, so die "Vision", auch die Strafverfolgung erleichtern könnte. Ihre Erkenn-Funktion soll genauso präzise, wenn nicht sogar besser als die des menschlichen Gehirns sein. Auf der Suche nach Umsetzungsmöglichkeiten gibt es mittlerweile bereits Lösungen, die nur anhand eines Bildes bestimmen, ob es sich bei einem Gesicht um eine/n Kriminelle/n handelt oder nicht. Und zwar mit einer Trefferquote von 89,5 Prozent.
Schminke statt Hoodie
Die damit einhergehende Dystopie, wie weit wir Algorithmen vertrauen wollen und sollen, respektive, wie weit eine derartige gesellschaftliche Bevormundung gehen darf, beschäftigt DatenschützerInnen, AktivistInnen, ForscherInnen und KünstlerInnen. Sie wollen auf die einhergehenden Risiken derartiger technologischer Innovationen aufmerksam machen und so den gesellschaftlichen Diskurs rund um das Thema "Überwachung" vorantreiben.
Der amerikanische Künstler Leonardo Selvaggio verleiht unter seinem Label "URME" (you are me) eine Maske aus Kunstharz, die man sich drüberstülpt und so für Gesichtserkennungskameras die Gesichtsmerkmale von Selvaggio zur Schau stellen kann. Dann gäbe es da noch die Stealth Ware von Adam Harvey, das Urban Armor-Projekt "miss my face" und unzählige weitere Anleitungen zum Schminken, Basteln und Kaufen, um sich vor den Kameras zu verschleiern. Ein Problem, das die Lösungen gemeinsam haben: Für Kameras mag man mitunter sogar unsichtbar wirken, auf Mitmenschen könnten diverse Verkleidungen, abseits von Halloween, Fasching oder diversen Motto-Parties, gelinde gesagt aufsehenerregend wirken.
Reese Witherspoon wird mit Brille zu Russel Crowe
Ein Hoch also auf die bunten Brillen aus dem 3D-Drucker, die in Hipster-Zeiten wie diesen, (un)auffälliger nicht sein könnten und State-of-the-Art-Gesichtserkennungssoftware nicht nur hinters Licht führen, sondern auch noch die Identität einer anderen Person vorgaukeln, wie Forscher von der Carnegie Mellon University herausgefunden haben.
Lujo Bauer: "It went surprisingly well. We tried random examples of which people to impersonate. One of our co-authors demostrated how he can fool a state of the art algorithm with a pair of eyeglasses. And we tried this a number of times. About 2/3 of the times it worked extremely well."
Ein Ziel der Forscher, so erzählt Lujo Bauer, war es auch, die Brillen so zu designen, dass man in der Öffentlichkeit kein Aufsehen erregt, Kameras mit Gesichtserkennungs-software, zum Beispiel auf öffentlichen Plätzen, trotzdem reinlegen kann. Vielleicht würde die Schauspielerin Reese Witherspoon sogar einen Mode-Hype verursachen, trüge sie die Brille auf diversen Red-Carpet-Events. In den Tests hielt die Gesichtserkennungssoftware Witherspoon, dank Brille, für Russel Crowe.
Auszug aus der Studie
Weltuntergangs-Party auf unbestimmte Zeit verschoben
Hinter dem Test steht aber, so Bauer weniger Aktivismus als Forschungsdrang. Man müsse verstehen, worauf Gesichtszuordnungen der gängigen Algorithmen basieren.
"Our end goal will be better algorithms which will be able to explain us why they made a particular decision and perhaps we can also strengthen them to more likely make the correct decision. Whenever we discover that a technology doesn't work quite as we intended or has some unforeseen consequences there is sometimes a tendency to sensationalize this by saying "oh the world is coming to an end" or "this is completely broken".This approach is not at all what we had in mind. Our intention really is to help refine technology. Like any new technology this one has some bugs that need to be worked out. The fact that we now discovered this bug and the results of our study don't mean that the technology is broken or shouldn't be used in many scenarios. It just points to a particular way in which it should be made better."
Das Geschäft mit dem Gesicht
So wichtig technische Sicherheit ist (im Bereich der autonomen Fahrzeuge soll DNN helfen, dass Fahrzeuge die Verkehrssituationen richtig einschätzen), sie kann die ethisch/moralische Unsicherheit nur bedingt aufwiegen. Das gesellschaftliche Vertrauen, dass derartige Technologien verantwortungsvoll, oder gar transparent und nachvollziehbar eingesetzt würden, scheint sich, nicht zuletzt durch die Enthüllungen diverser WhistleblowerInnen, in Grenzen zu halten.
In den USA sind mittlerweile die Gesichter von mindestens 117 Millionen Erwachsenen in staatlichen Datenbanken gespeichert. Der Markt rund um Gesichtserkennungssoftware ist eine Goldgrube, wo sich IT-Riesen schon lange einen Wettstreit um die technische Vormacht liefern. Schon vor 6 Jahren hat Apple die schwedische Gesichtserkennungs-Firma Polar Rose gekauft. Facebook gehört die israelische Firma Face.com. Auf ihrer Technologie basiert auch die Foto-App "Facebook Moments". Im Oktober gaben die japanischen Konzerne Denso und Toshiba bekannt, dass sie fortan ihre Kräfte bündeln und gemeinsam an der nächsten Generation der Bilderkennungssysteme arbeiten werden.