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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

25. 11. 2016 - 16:48

The daily Blumenau. Friday Edition, 25-11-16.

Kern und seine Option 4: als Kreisky 2.0, als Strache-Versteher die Opferrolle der FPÖ aus dem Skript streichen.

#demokratiepolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die bisherige Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Siehe auch Stefan Kappachers gehoertgebloggt.com-Eintrag und Johannes Hubers diesubstanz.at-Analyse.

Ich nehme Bezug auf "The daily Blumenau. Tuesday Edition, 10-05-16" Die SPÖ hat jetzt fünf strategische Optionen.

Wer jetzt an Tauwetter und eine fixe FP/SP-Koalition glaubt, hat Kanzler Kerns Strategie nicht begriffen: die neue Freundlichkeit ist ein gezielt gesetzter und frontaler Angriff.

GENAU EIN HALBES Jahr nach seinem Amtsantritt hat Kanzler/SPÖ-Chef Christian Kern den zentralen Teil seiner politischen Strategie offengelegt - in einem programmatischen Auftritt bei der Ö1-Livesendung Klartext, die auch eine ORF III-Aufzeichnung erfahren hat.
Kern hat vorgezeigt, wie er in den nächsten Monaten bis zur Wahl mit der FPÖ (und dem wofür sie steht, Wutbürgertum, Nationalismus, Xenophobie, Abstiegsangst etc) umgehen will.

Christian Kern und HC Strache

APA/GEORG HOCHMUTH

ICH KANN MICH diesem Rezeptions-Konsens, dass hier eine Annäherung stattgefunden habe (Stichwort: amikal auf ein Bier gehen) nicht anschließen. Im Gegenteil. Kerns Auftritt war ein Frontalangriff. Und es war nicht wie bis dato einer, den die FPÖ-Strategen mit Leichtigkeit zurückfedern. Strache kam überhaupt nicht ins Spiel - weil Kern seine übliche Rolle einfach gestrichen hatte und ihm damit inhaltlich das Wasser abgrub und ihn formal zum Stichwortgeber degradierte.
Das erzählt mir zwei Dinge: der Turnaround in der seit Jahren festgezurrten Rollenverteilung (Opfer vs Elite) ist bemerkenswert, weil man nicht davon ausgehen sollte, dass Kickl und Co Kern bis dato unterschätzt haben. Und: die von Kern intendierte Nähe bereitet keineswegs eine Koalition vor, sie dient vordringlich dazu Wähler zurückzuholen.

EIN KLEINER REKURS: Ich habe vor einem halben Jahr, noch ehe feststand, dass es Kern werden würde, die fünf strategischen Optionen der SPÖ aufgelistet.

Kurzversion: entweder Linkspopulismus a la Syriza oder more of the faymann-same; oder medial/demokopisches Verwirrspiel, also postmoderner Irrsinn a la Trump oder ein nationaler Sozialismus, der die FP rechts überholt. Aus diesen beiden Pools hat das Kern-Camp einige wenige Elemente übernommen - des Kanzlers Ansagen zur Flüchtlingspolitik etwa klangen wenig links/willkommenskulturell.
Das Herz des Kern-Plan schlägt aber in Option 4: alte Rezepte zeitgemäß tunen, einen auf Kreisky 2.0 machen.

Genau das hat Kern beim Klartext getan.
Und zwar auch mit der nonchalanten Lässigkeit, die auch Kreisky in seiner Hochblüte ausgezeichnet hat. Dass er nämlich lieber über das redet was ihm wichtig ist, anstatt auf bohrende Frager oder gar pitzelige Kontrahenten zu reagieren, und dass er sich das leisten kann, weil man ihm dabei gerne zuhört.

NUN IST DAS KEIN neuer Kern. Aber es war erstmals ein Kern, der sich neben/mit einem Strache bewähren musste - und normalerweise ist das das Ende der Fahnenstange.
Kern, der mittlerweile fleichgewordener Kreisky 2.0, setzte alle seine Botschaften ab, blockte Untergriffe mit nachsichtiger Toleranz und vermittelte den FP-Fans folgende Botschaft: euer Strache hat eh recht in vielem (auch er will "unser Land" voranbringen), aber umsetzen wird er's nicht können - zu unerfahren, zu verbohrt, zu verkrampft.

DAS IST DIE UMKEHRUNG der Schmid/Schmiedl-Botschaft, die seit Jahren den politischen Diskurs prägt. Dass nämlich niemand eine schwächliche Regierung braucht, die ihre Sicherheits- und Fremdenpolitik auf oppositionellen Zuruf betriebt, sondern dann gleich den Ideengebern vertraut.

KERN DREHT RECHT geschickt an diesem Narrativ und konnte Strache in der ersten Konfrontation gleich zum mäßig gut aussehenden Stichwortgeber degradieren. Inhaltlich, aber auch formal und in Gestik/Mimik. Er adoptiert Strache, die FPÖ als interessanten Input/Ideengeber, stellt ihn nominell neben sich (amikal! Bier!), weist ihm aber - ohne es direkt auszusprechen - nur die Rolle als Schammes, als Beiwagerl zu.

KERN ATTACKIERT DAMIT die vorderste und wichtigste (Spötter sagen auch: die einzige) Rolle, die die FPÖ im öffentlichen Diskurs einnimmt: die des Opfers, mit dem keiner spricht, obwohl man doch alle Lösungen hat - weil der (so authentische) Kontakt mit dem Volkskörper so intakt ist.

ES IST DIESES Doppelspiel, das aktuell gerade die strategischen Köpfe in der FPÖ rauchen lässt. Kern entspricht nicht mehr dem klassischen Feindbild der bisherigen SPÖ-Leader (Ausgrenzer, Blockierer), er präsentiert sich als FPÖ-Versteher.
Kern als linkslinken Irren hinzustellen ist gefährlich: zum einen hat er den "Ich kann Wirtschaft"-Bonus, zum anderen sollte man die Gunst der neu dazugewonnenen Klientel, die die SPÖ zuvor auch aus diesen Gründen gewählt hatte, nicht riskieren. Denn genau die will Kern mit allen Mitteln ja wieder zurückholen.

DIE FPÖ BEFINDET sich also, und das erstmals seit sehr, sehr langer Zeit, letztlich seit den Haider-Ausritten, in einem strategischen Dilemma. Und es ist auch auffällig, wie vergleichsweise besser als der Parteichef selber der BP-Kandidat Hofer Jobs die Zwischentöne erledigt.

ES WAR ALSO eine Kampfansage, eine dramatische noch dazu. Unter dem, was als sachlich, freundlich, ruhig bezeichnet wurde, brodelt es.