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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

24. 11. 2016 - 15:05

The daily Blumenau. Thursday Edition, 24-11-16.

Nicht die linken Intellektuellen sind schuld am Erstarken der nationalen Kräfte, sondern das konservative Establishment...

... weil es dabei nur zuschaut, mit klammheimlicher Freude. Oder: wie durch geschicktes framing ein Sündenbock gefunden wurde.

#demokratiepolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die bisherige Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

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Das Narrativ ist allgegenwärtig, und nach dem Trump-Wahlsieg tauchte es wieder verstärkt auf: "Schuld" am Auf- und An-die-Macht-Kommen von Nationalisten/Demagogen/Populisten wären die abgehobenen Eliten, da aber vor allem die Linke, die kein visionäres Gegenmodell mehr auf die Beine stellen könne und speziell die linken Intellektuellen, die urbane Bohème, realitätsferne Volltrottel.

Mit dieser Geschichte in allen erdenklichen ausgeschmückten Varianten schlagen Rechtsextreme, Rechte, Liberale, Menschen aus der selbsternannten Mitte, Menschen ohne, mit offener oder mit versteckter Agenda aber auch Linke, die sich selber natürlich ausnehmen, seit etwa einem Jahr auf diese eine Gruppe ein. Mit einer Wirkkraft, die so hoch ist, dass es die Beschuldigten selber bereits zu glauben beginnen (was in der Natur der Sache liegt und Teil des framing-Planes war, aber dazu später...).

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Nun ist die Schuld an gesellschaftlichen Entwicklungen in den allerseltensten Fällen einer vereinzelten oder gar kleinen Gruppe anzulasten; auch wenn dies propagandistisch immer gut funktioniert (siehe das Nazi-Modell der Juden als scapegoat für eigentlich alles Unheil der Welt). Es lassen sich vielmehr ganz genau gezielte Abstufungen treffen: je mehr Wirkungs/Definitionsmacht eine Gruppe hat, desto mitschuldiger ist sie.

Genau da setzt das Narrativ auch an. Die linke Intelligenzija habe die Gesellschaft mit ihren (natürlich falschen) Werten überflutet und so einen quasi naturgesetzlichen Backlash initiiert.

So weit, so einfach gestrickt.

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Fragt man nach den Räumen, in denen die eindeutig ausgemachten Schuldhaften ihre Macht umsetzen würde, bekommt man eine konkrete Antwort (Lügenpresse!) und viele diffuse und im Vagen steckenbleibende Zuschreibungen.

Die vorgebliche Wirkungsmächtigkeit der linken Intellektuellen bleibt - ganz postfaktischer Zeitgeist - im Gefühligen. Die Mär vom Terror des Politisch-Korrekten etwa, dem man sich unterwerfen müsse, wobei gesamtgesellschaftliche Entwicklungen wie Compliance oder Gender Mainstreaming gleich mitgemeint werden. Konkret belegt wird nichts.

Nicht einmal was die Medien betrifft.

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Dort gilt der durch Studien/Umfragen erzielte Ausweis, dass sich Journalisten (im deutschsprachigen oder im angloamerikanischen Raum, aber wohl auch im gesamten demokratisch organisierten Westen) selber eher als liberal und eher als links verorten denn als konservativ oder rechts. Das liegt einerseits in der Natur des Berufs und wird andererseits ohnehin kaum schlagend.

Die Natur des Berufs umfasst Neugiers-Getriebenheit, Ausschöpfen von Freiräumen, Gegenwarts-Fixiertheit und Zukunfts-Interesse. Das ist ein Anforderungsprofil, das Menschen, die eine bewahrende, reaktionäre Lebenseinstellung in sich tragen, in geringerem Maße erfüllen als Liberale oder Linke.

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Bei öffentlich-rechtlichen Medien ist die Sachlage noch komplexer, aber strukturell ähnlich.

Schlagend wird diese Tendenz deswegen aber nicht. Die Medien gehören nämlich in den seltensten Fällen ihren Journalisten, sondern Medien-Unternehmen, deren wesentliche Player entweder globale/kontinentale Wirtschaftsriesen oder national/regional dominante Medienhäuser sind. Das geht von Time-Warner bis zur Moser-Holding. Diese Bestimmer und Blattlinienvorgeber nun sind keine linken oder liberalen Freiraum-Freunde, sondern knallharte Business-Menschen, wichtiger Teil der konservativen Macht-Elite. Einer Macht-Elite, die den gesamten Westen dominiert und definiert, ein gewachsenes Geflecht aus Politik und politikbestimmender und Gesetze mit/vorschreibender Ökonomie.

Die Privatmeinungen einzelner Journalisten zählen in diesem Zusammenhang nicht mehr als die gesammelten Facebook-Statusmeldungen. Wenn's ums Eingemachte geht, dann werden die Medien die Meinung ihrer strukturkonservativen Besitzer vertreten.

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Die Macht der linken Intellektuellen in den Medien ist also ein Papiertiger.

Und anderswo existiert sie schon gar nicht.
In linken/liberalen Parteien haben Intellektuelle nämlich nichts zu melden, bei der SPÖ sowieso nicht (angeblich ändert sich das unter Kern jetzt marginal, Wirkung kann es noch länger keine entfalten), auch bei den Grünen kommen Vordenker nur in homöopathischen Dosen gegen die Macht der Realos an. Zudem steht da noch die These, dass die Grün-Wähler in Wien vorrangig die Kinder des konservativen (ÖVP-nahen) Establishments wären, deren Revoluzzertum sich schnell verspießern würde, elefantös im Raum.

Die wenigen Bereiche, in denen die vergleichsweise linke Regierungs-Partei ihre Vordenker besetzt (z.B. Bildung) werden durch ein mitbestimmenden Pendant des Koalitionspartners so pattgestellt, dass sich keine Definitionsmacht ergeben kann.

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Linke Intellektuelle, die wirkungsmächtig durch die österreichische Wirtschaft donnern, gibt es so gut wie gar nicht. Dasselbe gilt für die Judikatur, Exekutive oder das Heer - allesamt tiefkonservativ bis reaktionär geprägt. Wie es eben auch große Teile der Gesellschaft sind.

Die Macht der linken Intellektuellen ist also höchst begrenzt, mit freiem Auge kaum wahrnehmbar. Über symbolpolitische Agenden (siehe Hymnen-Text-Änderung) geht das meistens nicht hinaus. Die großen Leitlinien in Gesellschaftspolitik und Ökonomie setzen andere.

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Nämlich das konservative oder wirtschaftsliberale Establishment, die tatsächlich regierende und bestimmende Elite, die entweder per politischer Seilschaft oder durch Erbschaft oder (seltener) durch radikalen Unternehmergeist in diese Positionen gekommen ist.

Ihr Tun und noch mehr ihr Nichtstun in Bezug auf den immer mehr von ganz weit Rechtsaußen in die Mitte der Gesellschaft einsickernden Nationalismus überragt die Beteiligung der linken Intellektuellen um ein paar Hochhäuser.

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Ja, die linke Bohème hat sich gegen Rechtextremismus, isolationistischen und xenophoben Nationalismus mit Argumenten zur Wehr gesetzt, die für jene, die den rechtpopulistischen Demagogen aus reiner Verzweiflung folgen, nicht zur Gänze nachvollziehbar sind. Und, ja, die linken Intellektuellen haben kein Narrativ gefunden, in dem sie ihre Visionen einer besseren Welt glaubhaft vermitteln konnten. Auch weil in der Geiselhaft eines ruinös-neoliberalen Kapitalismus, der die Schwachen weiter schwächt, keine existiert; weil man outside the box denken müsste, was die meisten linken Intellektuellen, die flächendeckend vor allem Demokraten sind, aus reiner Furcht um die Zukunft dieser unserer gesellschaftlichen Organisationsform unterlassen haben.

Aber immerhin haben sie sich zumindest positioniert.

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Die anderen, die wirklich Definitionsmächtigen, die, die tatsächlich etwas verändern könnten, die vorrangig konservative (oder wirtschaftsliberale) politisch-ökonomische Machtelite des Landes, hat hauptsächlich zugeschaut, sich hie und da, punktuell, eher distinktionstechnisch abgegrenzt, zumeist aber mit klammheimlicher Freude dabei zugesehen, wie sich die Linke durch den Auszug des alten Lumpenproletariats in den politisch radikalen Nationalismus marginalisiert. Verschwörungstheoretiker wollen dieses befördernde Nichtstun bereits als zentrale Vorleistung für die künftige österreichische Koalition sehen.

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Neben der Zerstörung der ideologischen Basis des politischen Gegners erschlägt die Machtelite noch eine zweite Fliege gleich mit. Sie hat sich an der Erschaffung eines Sündenbocks beteiligt, auf den dann, wenn es nach der nächsten Wende wirtschaftlich nicht so läuft, draufgehaut werden kann.
Der linke Intellektuelle, der durch seine Abgehobenheit und Kurzsichtigkeit den Nationalisten erst großgemacht hat, ist dann nämlich - in seiner nächsten Hauptrolle - als Volksverräter und Defätist dran, der den hartarbeitenden kleinen Mann nicht die Früchte seiner guten Wahl ernten lassen will. Eine großteils machtlose kleine Gruppe, deren Verlust man ökonomisch verschmerzen könnte, eignet sich wunderbar für diesen scapegoat-job.

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Der wichtigste Faktor in diesem langfristig konzipierten framing-Plan ist aber, dass die angegriffene Gruppe den spin selber zu glauben beginnt. Und das funktioniert teilweise schon ganz gut. Auch weil Mit-Ankläger, die aus der Gruppe der linken Intellektuellen zu kommen scheinen (wiewohl sie längst Unterstützer der konservativen Machtelite oder Teil der neuen Prätorianergarde der Nationalisten sind), diese These mit Bestemm vertreten.

Damit kitzeln sie ein ganz anderes Schuldgefühl der linken Intellektuellen hervor, nämlich das, zu wenig gegen den hyperventilierenden Raubtierkapitalismus unternommen zu haben, der die Welt nach dem "Ende der Geschichte", also 1989, wie einen Spielball herumfetzt. Man hat sich damit zufriedengegeben, immer das geringere Übel (Stichwort Hillary) anzunehmen und mitzupropagieren und ist damit unglaubwürdig geworden.

Dieses eigentlich anders gelagerte schlechte Gewissen treibt den linken Intellektuellen in eine Defensiv-Haltung, und also auch eine Opfer-Rolle, aus der er nicht mehr rauskommt.

Die eigentlich relevante Frage (Wer ist stärker in die Verantwortung zu nehmen - derjenige, der sich mangels Wirkungsmacht zwar ungeschickt, aber doch warnend gewehrt hat oder derjenige, der trotz der Möglichkeiten gegenzusteuern bewusst auf die Wand zufährt?) stellt sich der linke Intellektuelle aktuell nicht. Er sucht - in sehr katholischer Selbstbestrafung - lieber nach den Spuren seiner Schuld.