Erstellt am: 24. 11. 2016 - 14:46 Uhr
Shining Daniel Kehlmann
Daniel Kehlmann erscheint nicht oben auf der Liste der hippen deutschsprachigen Autoren, die sich ganz selbstverständlich im Popuniversum bewegen. Er schreibt lieber über Humboldt, hält die Eröffnungsrede bei den Salzburger Festspielen und geht mit Jonathan Franzen frühstücken.
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Damit ist er das Gegenteil von dem Drehbuchautor, dem namenlosen Ich-Erzähler, in "Du hättest gehen sollen". Der muss dringend die Beziehungskomödie "Allerbeste Freundin II" schreiben. Weil ihm das in seinem Reihenhaus mit Garten-Umgebung nicht gelingen mag, zieht er sich Anfang Dezember mit seiner Frau Susanna, einer Schauspielerin, und der vierjährigen Tochter Esther in ein abgeschiedenes modernes Haus in die Berge zurück.
Dort schreibt er nun geschäftig in sein Notizbuch. Zwar weniger am Drehbuch, das ist nach wie vor zäh, viel mehr notiert er, was ihm gerade durch den Kopf geht bzw. was um ihn herum passiert. So lange er vorgibt zu arbeiten, wird er von seiner Frau in Ruhe gelassen. Denn die Beziehung der beiden war schon mal besser.
"Ehe. Das Geheimnis ist, dass man sich ja doch liebt. Ich würde nicht ohne sie sein wollen – selbst ihr Schauspielerlachen würde mir fehlen. Und sie nicht ohne mich. Wenn man einander nur nicht unterdessen so auf die Nerven fiele."
"Etwas stimmt nicht."
Nach wenigen Tagen notiert er "Die Atmosphäre. Etwas stimmt nicht."
Noch kann er das Unbekannte nicht ausmachen. Er spürt und fühlt es und das wird nach einem Einkauf beim kauzigen Dorfgreisler verstärkt:
"Er nickte, zeigte auf einen Punkt über meinem Kopf und fragte: Ihr wohnt da oben?
Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass die Geste unserem Ferienhaus galt. Entschlossen, es ihm an Einsilbigkeit gleichzutun, nickte ich.
Ah, sagte er.
Ja, sagte ich.
So., sagte er.
Doch, sagte ich.
Schon was passiert?
Bitte?
Er schwieg."
Zu spät wünscht er sich, den Rat der alten Einheimischen befolgt zu haben: "Geht schnell weg."
Unheimliches passiert: Der Monitor im Kinderschlafzimmer zeigt Unglaubliches, an den Wänden hängen plötzlich Bilder, das Haus scheint mehr Zimmer zu haben und er kann sein eigenes Spiegelbild nicht mehr im Panoramafenster erkennen.
Wo sind die Ghostbusters, wenn man sie braucht?
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Dass Menschen begeistert sind von dem, was sie erschreckt, kann man in Daniel Kehlmanns Frankfurter Poetikvorlesung "Kommt, Geister" nachlesen. Dort erklärt er auch seine Faszination für unheimliche Geschichten, die im Alter von neun Jahren mit dem Schweizer Klassiker "Die schwarze Spinne" von Jeremia Gotthelf begann.
Und "Shining" von Stephen King hat er sicher auch mal gesehen oder gelesen. Folgerichtig siedelt auch Daniel Kehlmann seine gerade mal 95 Seitige Erzählung in den Bergen an. In einer Gegend mit einem starken Dialekt, schlechtem Handyempfang und ungesicherten Straßen.
Großes Kino
"Du hättest gehen sollen" spielt mit der Realität, dem Unheimlichen und lässt dabei vieles offen. Besonders gelungen sind jedenfalls die Beziehungsmisere und die Alltagsbeobachtungen.
"Währenddessen hat Esther uns von einer Freundin aus dem Kindergarten berichtet, die entweder Lisi oder Ilse oder Else heißt und ihr entweder ein Spielzeug weggenommen oder eines geschenkt hat, worauf die Erzieher entweder gar nichts oder aber genau das Richtige getan haben oder etwas Falsches, kleine Kinder sind keine guten Erzähler. Aber Susanna und ich riefen: Großartig!, und: Unglaublich! und: Na, so was!, und die Erleichterung, als sie wieder verstummte, schweißte uns zusammen."
Das alles schreit nach Verfilmung.
"Du hättest gehen sollen" ist großes Kino.