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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

23. 11. 2016 - 19:05

Unheimliche Begegnung der dritten Art

Mit dem Sci-Fi-Drama "Arrival" erweist sich Regisseur Denis Villeneuve endgültig als einer der zentralen Genrekino-Grenzgänger.

Es gibt Filme, die umklammern dich förmlich bereits mit ihrer Eröffnungssequenz und lassen dich dann nicht mehr los. Siehe den düsteren Kleinstadt-Thriller "Prisoners", in dem sich der Familienfrieden am Thanksgiving Day als trügerisch erweist, als zwei kleine Mädchen am hellichten Tag spurlos verschwinden. Oder "Sicario", ebenfalls von Regisseur Denis Villeneuve, der mit dem Routineeinsatz eines SWAT-Teams an der mexikanischen Grenze beginnt, der sich blitzschnell in ein Horrorszenario verwandelt.

Arrival

Sony

"Arrival", der neueste Streifen des Genrekino-Grenzgängers, verzichtet nun auf drastische Bilder der Verunsicherung und Gewalt am Anfang. Und dennoch gelingt es Villeneuve von der ersten Minute an einen hypnotischen Sog zu entwickeln. Wir sehen Blitzlichter aus dem Leben der Linguistin und alleinerziehenden Mutter Louise (die mitreißende Amy Adams) mit ihrer Tochter, bis zum tragischen Krebstod des Kindes.

Die Eingangsmontage gibt den melancholischen Tonfall für einen Alien-Invasion-Film vor, der ganze Sonnensysteme von lärmenden Spektakeln wie "Independence Day " entfernt ist. Denis Villeneuve, der leise sprechende Kanadier, der in persona wie ein fast schon zu seriöser Theaterregisseur oder Literat wirkt, hat nämlich keinerlei Ambition, die Hollywood-Maschinerie mit Blockbuster-Konventionen zu füttern. Trotzdem arbeitet er mitten im Herzen des Molochs, dreht immer größere Filme, mit Stars und Special Effects. Aber Villeneuves Mission ist es, gewisse Klischees zu umschiffen, bestimmte Genreideen todernst zu nehmen, den Entertainment-Sektor mit Humanismus und Ambivalenz zu unterwandern.

Arrival

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Erlösungsfantasie im strahlenden Licht

Mit "Arrival" hat sich Denis Villeneuve nun einen, zumindest für den Schreiber dieser Zeilen, besonders heiklen Teilbereich der Science-Fiction vorgenommen. Denn während Filme über bedrohliche Außerirdische, die die Unterwanderung und oft auch Vernichtung der Menschheit planen, dramaturgisch ganz viel hergeben, sind friedfertige Alien-Annäherungen eine weitaus diffizilere Angelegenheit.

Bestes, weil schlechtestes Beispiel, das mir dazu immer in den Sinn kommt: "The Abyss" vom grundsätzlich natürlich superen Eventkino-Innovator James Cameron. Zirka zwei Stunden lang fesselt dieser Film als packender Unterwasserthriller, dann stößt eine gestrandete U-Boot-Besetzung in den Tiefen des Ozeans auf computeranimierte Lichtwesen from outer space. Worauf die Story so tief im peinlichen Kitsch versinkt, dass "The Abyss" leider nur zwiespältig in der Erinnerung verankert bleibt.

Auch Steven Spielberg, ein Großmeister im Umgang mit überlebensgroßen Breitwand-Emotionen, hat nicht das definitive Werk zum Thema geschaffen. Der putzige Alien "ET" brachte zwar Millionen Kinderherzen zum heftigen Klopfen und befeuert noch immer die Nostalgiebedürfnisse bestimmter Generationen. Das von seinen Fans mystisch verklärte Sci-Fi-Epos "Close Encounters Of The Third Kind", rund um die erste friedliche Kontaktaufnahme aus dem All, erweist sich letztlich aber auch als schwülstigte Erlösungsfantasie im gleißend strahlenden Scheinwerferglanz.

Denis Villeneuve dagegen gelingt nun die echte unheimliche Begegnung der dritten Art. Denn was die Sprachforscherin Louise und der Astrophysiker Ian (Solide: Jeremy Renner) bei ihren ersten Kontakten mit den fremden Wesen erleben, die in schwarzen, eiförmigen Raumschiffen über bestimmten Punkten der Erdoberfläche schweben, irritiert, verstört, lässt den Puls höher schlagen.

Arrival

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Bilder, Klänge, Philosophien

Aber "Arrival" ist eben kein Film über unförmige Monster aus einer fremden Galaxie, die uns Erdlingen mit der Auslöschung drohen. Aus den Tentakeln der fremden Kreaturen, mit denen Louise und Ian im Auftrag des US-Militärs zu kommunizieren versuchen, strömen wundersame, fast poetisch anmutende schwarze Nebelkreise. Das Wissenschaftler-Duo versucht diese mysteriösen Schriftzeichen der Aliens ebenso verzweifelt zu dechiffrieren wie deren seltsame Laute, während die Uhr dringlich tickt. Denn ein chinesischer General verliert langsam die Geduld mit den Außerirdischen und denkt über einen vernichtenden Angriff nach.

Eigentlich ist das alles schon wieder einmal zu viel an Inhaltsangabe, denn dieser unglaublich faszinierende und berührende Film wirkt wohl am eindringlichsten, wenn man völlig unvoreingenommen im Kinosessel Platz nimmt. "Arrival" benutzt jedenfalls das Gerüst eines spannenden Sci-Fi-Epos, um über Zeit und Vergänglichkeit zu reflektieren, philosophiert über Fremdheit, Sprache und Verständigung. Wer abseits der Aliens an ganz irdische Kommunikationsprobleme zwischen Menschen denkt, die Grenzen errichten und solchen, die daran stranden, liegt nicht daneben.

Filmstart:
25. November 2016

Auf einen simplen Messagefilm lässt sich "Arrival" aber in keiner Sekunde reduzieren. Denn wie fast alle Filme von Denis Villeneuve funktioniert dieses, ja, Meisterwerk alleine durch die Macht der Bilder und Klänge. Kameramann Bradford Young gelingen etliche Momente schwebender, gespenstischer Schönheit und Johan Johansson, der Stammkomponist des Regisseurs, verknüpft dunkle Drones mit hymnischen Klängen.

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Ich muss zwar zwischendurch kurz an Stanley Kubricks Jahrhundertwerk "2001" denken, an Christopher Nolans "Interstellar", aber "Arrival" ist etwas ganz eigenes. Dieser Tage dreht Denis Villeneuve jedenfalls gerade mit Ryan Gosling und Harrison Ford das Sequel zu "Blade Runner" ab und die Vorfreude könnte meinerseits nicht größer sein. Keiner könnte besser geeignet sein, einen der zentralen Science-Fiction-Streifen aller Zeiten filmisch weiterzudenken, als der stille Genre-Revoluzzer aus Kanada.