Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "I don't believe in the sun"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

20. 11. 2016 - 14:30

I don't believe in the sun

Der Song zum Sonntag: The Magnetic Fields - "'74 No"

Den Größenwahn in die ganz kleine Form gießen, das übersprudelnde Ideenreichtum, das in allen Farben aus dem mächtigen Füllhorn spritzt, zu scheinbar beiläufigen, aus dem Ärmel geschüttelten Miniaturen formen.

Der in Boston ansässige Musiker und Songwriter Stephin Merritt ist einer der leuchtendsten Konzeptkünstler des Pop – dabei tut er doch meistens so faul, unausgeschlafen und am Publikum uninteressiert. Mit seinem Projekt The Magnetic Fields, dessen Kopf und Alleinherrscher er ist, hat Merritt schon Hunderte knappe Songs geschrieben – und alles andere als die schlechtesten – und sich immer wieder gerne großspurige Pläne und thematische Klammern für seine Platten ausgedacht.

Sein 1999 erschienenes Meisterstück "69 Love Songs" ist genau das, was der Titel sagt: 69 Liedchen über alle Aspekte des Liebens. Über das Leiden und das Glühen, über die Sehnsucht, den Schmerz, den Sex, das Verblassen und den Hass. Umgesetzt in Form von Kammerpop, Truck-Stop-Country und Folk. Im Kostüm von musicalhaftem Showtune, Fake-Jazz, Synthie-Pop und Indierock. Mit allen Ukulelen, Banjos, Flöten und Ziehharmonikas der Welt.

Stephin Merritt

Stephin Merrit, The Magnetic Fields

Demnächst erscheint ein neues Album von The Magnetic Fields, "50 Song Memoir" wird die Platte heißen - und nicht weniger darf die Welt erwarten: 50 Songs, für und über jedes Lebensjahr des Meisters einer.

Fünf Songs hat Stephin Merritt schon vorab veröffentlicht, allesamt wieder wunderbar. Das Highlight ist die Nummer '74, die für das Jahr 1974 steht, in dem Merrit noch ein Kind gewesen ist. "No" nennt sich dieser wieder einmal ziemlich kurze Song, er dreht sich um die Erkenntnis, dass es wohl keinen Gott und keine heilenden Mächte des Universums geben dürfte. Sicher nicht. Einfach: "No". Das ist auch der ganze Refrain.

Ein Lied über den Nihilismus, die Entwertung jeglichen Glaubens und Aberglaubens. "Will there be peace in our time?" No. Gibt es Ufos und Feen? Hat der selbsternannte Wunderheiler Krebs geheilt? Hat er Spenden abgelehnt?

In musikalischer Hinsicht geschieht wieder vieles, wie nebenbei, im Hintergrund. Ukulele, elektronisches Geplucker, Bläser, Chorgesang. Eine jubilierende Entsagung.

  • Alle Songs zum Sonntag auf FM4
  • Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.

In der letzten Strophe singt Merritt von den Theorien seiner Mutter: Sie hält das Universum für eine große holographische Show. Hat sie auch nur den geringsten Beweis dafür?

Während im Rest des Songs für allen außerweltlichen Humbug nüchterne Ablehnung und Zynismus die Antworten sind, schwingen hier Wärme und Hoffnung mit. Es ist ja doch die Mutter, und die eigenen Irrglauben und Hirngespinste sind ja etwas ganz anderes als die von den ganzen anderen blöden Leuten.