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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

18. 11. 2016 - 17:55

Das neue Genre Flüchtlingskomödie

Das Thema Flucht wird seit letztem Jahr verstärkt in Kunst, Theater und Film verarbeitet. Mit "Willkommen bei den Hartmanns" und "Welcome to Norway" macht sich ein neues Genre bemerkbar.

Vor etwas mehr als einem Jahr erlebten wir hier den Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise und deutschen „Willkommenskultur“. Es dauerte nicht lange bis die Flüchtlingsthematik Eingang in Kunst, Theater und Film fand. Schon auf der Berlinale 2016 gewann der Dokumentarfilm „Fuocoammare“ von Gianfranco Rosi den silbernen Bären, und rund ein Dutzend anderer „Flüchtlingsfilme“ liefen in diversen Sektionen des Filmfestivals.

Flucht war und ist das Thema der Stunde, und da scheint es nur legitim, dieses Thema auch künstlerisch zu bearbeiten. Nur was bringt es den Geflüchteten, wenn sie in Filmen mitspielen oder auf der Bühne stehen? Leider überhaupt nichts, was das bekannteste Berliner Beispiel zeigt: Für seine Rolle als er selbst im Film „Eine Episode aus dem Leben eines Metallsammlers“ wurde der Laiendarsteller Nazif Mujic 2015 mit dem silbernen Bären als bester Schauspieler ausgezeichnet. Als er in Deutschland Asyl beantragte, sorgte das Festival für juristischen Beistand. Trotzdem musste Mujić mit seiner Familie, die im Film mitspielt und wie er der Roma-Minderheit angehört, wieder nach Bosnien zurück. Es gilt seit November 2014 als sicheres Herkunftsland.

Warner Bros Pictures GmbH

"Willkommen bei den Hartmanns"

Der Geflüchteten-Film kann aber ein wertvolles Zeitdokument sein und Geflüchteten die Gelegenheit geben, ihre Geschichte selbst zu erzählen. Aber er kann auch zum Geflüchtetenkitsch werden, wenn zur Mitleiderzeugung tragisch schöne Bilder im Stil einer Opfer-Pieta produziert werden. Zum Glück sind nicht alle Geflüchteten dem Tode geweiht, und wer mit Geflüchteten zu tun hat, weiß, dass der Umgang mit ihnen nicht ernsthaft, schwierig bedrückend sein muss, sondern dass es durchaus lustig und heiter zugehen kann. Deshalb ist es erst einmal gut, dass die Geflüchteten nun komödienfähig geworden sind, dass der Flüchtlingsfilm nun auch in der Komödie angekommen ist. Letzte Woche gab es zum neuen Genre gleich zwei Premieren in Berlin.

Die deutsche Komödie

Wer das Kino liebt, der meidet ja aus gutem Grund die deutsche Komödie. Komödienregisseur und Autor Simon Verhoeven ist nicht nur der Sohn von Senta Berger, sondern auch schuld an deutschen Erfolgskomödien wie „Männerherzen“ und „Männerherzen... und die ganz große Liebe“. In diesen Männerkomödien mit Til Schweiger, Florian David Fitz, Wotan Wilke Möhring und Christian Ulme geht es um bekannte Schauspieler, die als Männerperformer starre Geschlechterbilder verkörpern und dabei Gags produzieren.

Aber nun hat Verhoeven die erste deutsche Flüchtlingskomödie „Willkommen bei den Hartmanns“ gedreht. Hauptfigur ist der nigerianische Flüchtling Diallo, dargestellt vom belgischen Schauspieler Eric Kabongo. Bei „Willkommen bei den Hartmanns“ zeigt schon das Filmplakat, dass die Perspektive von Kabongos Figur nicht interessiert. Auf dem Bild sind sechs Personen zu sehen, darüber stehen aber nur fünf Namen. Der Name des Hauptdarstellers fehlt.

Warner Bros Pictures GmbH

Nun könnte man dieses Faux-Pas mit der gängigen Praxis des „billing“ erklären: Wessen Name wann, wo und wie groß auftaucht, ist in der Filmindustrie Gegenstand von Vertragshandlungen, wer noch keinen großen Namen hat, kommt auch nicht aufs Plakat. Es ist also kein Zufall oder Versäumnis, wenn Eric Kabongo auf dem Plakat nicht zu lesen ist. Der Schauspieler wird zum Gastarbeiterstar: Er wird gebraucht, soll aber nicht bleiben und sich keinen Namen und keine Hoffnung auf Nachfolgejobs machen. Durch die in Hollywood erfundene Formel „and introducing“ hätte man ihn durchaus als vielversprechenden Jungstar einführen können, ohne ihm mit den deutschen Promis gleichzustellen. Aber das war wohl zu viel der Mühe.

„Willkommen bei den Hartmanns“ spielt in einem knallbunten München und lebt von den Beobachtungen des Münchner Wohlstand-Bürgertums. Senta Berger gibt die Arztgattin und pensionierte Lehrerin, die ihre häusliche Langeweile durch gepflegte Trunksucht kompensiert, ihr Mann und Chefarzt (Heiner Lauterbach) hadert mit dem Alter und ist Stammgast in der Botox-Praxis, eine sinn- und berufssuchende Tochter ist mit von der Partie, dazu kommt ihr Bruder, der alleinerziehende Anwalts-Schnösel und sein hip-hoppender Sohn. Die Figuren sind komödienüblich stark überzeichnet, auch die sattsam bekannten Pegida-Fans und besorgten Bürger aus der Nachbarschaft und die ältere hippie-öko-eske Tanztherapeutin fehlen da genauso wenig wie der als Flüchtling getarnte Islamist.

Doch der Film hat durchaus einige gute Momente, und er geht nicht, wie andere Filme (z.B. Monsieur Claude und seine Tochter) von einem Ressentiment aus. Hier wird kein Rassist durch die menschliche Begegnung geläutert - hier wird die sogenannte Willkommenskultur, die ja allzu leicht in einen jovialen Paternalismus/ Maternalismus umschlägt, auf die Schippe genommen. Denn vielen HelferInnen geht und ging es bei ihrer Hilfe darum, sich selber gut zu fühlen – und darüber macht sich der Film lustig. Und kommt doch zum Schluss, es sei allemal besser sich beim Helfen gut zu fühlen, als gar nichts zu tun.

Leider wird der Film gegen Ende immer platter: Der niedliche Asylbewerber darf in Deutschland bleiben, die Tochter findet ihren Boy und die Eltern wieder zueinander, der Yuppie- Anwalt entscheidet sich für den Sohn und gegen die Karriere.

Weniger Optimismus aus Norwegen

Spröder und weniger optimistisch kommt Rune Denstad Langlos Komödie "Welcome to Norway" daher. Hier leuchtet kein prächtiges München, hier herrschen blasses Gelb und ein dreckiges Schneeweiß in allen Schattierungen vor.

Polyfilm

"Welcome to Norway"

Hauptfigur ist der Hotelbesitzer Primus (Anders Baasmo Christiansen), er will sein marodes Hotel irgendwo im tiefsten Norwegen, nahe des Polarkreises wiederbeleben, Flüchtlinge einquartieren und Subventionen kassieren. Um Detailfragen wie Verpflegung und Strom und Türen kümmert er sich nur gezwungenermaßen, dafür spricht er stets abfällig unter großzügiger Verwendung des N-Wortes über seine neuen Hotelgäste.

Ein sehr realistischer Einstieg – auch in Berlin konnte man die Erfahrung machen, dass in manchen Flüchtlingsunterkünften eine gehörige Portion Fremdenhass und ein Hang zum Sadismus zu den Einstellungsvoraussetzungen der Mitarbeiter gehören.
„Willkommen in Norway“ zeigt, dass sich auch dort, wo nichts funktioniert, die Selbstorganisation der Geflüchteten als hilfreich erweist. Und es wird wieder einmal die Geschichte des geläuterten Rassisten erzählt: Der Hotelbesitzer schließt Freundschaft mit einem Geflüchteten und wird ein anderer Mensch.

Und doch steckt hinter diesem Stereotyp ja auch eine einfache Wahrheit. Vorbehalte und Ressentiments gegen Fremde verschwinden schnell, wenn man mit den Leuten zu tun hat, und sie kennen lernt. Deshalb sind die Rechtspopulisten, die Angst vor den Fremden schüren, ja besonders dort erfolgreich, wo es wenig Fremde und Geflüchtete gibt.

"Welcome to Norway" handelt vom gegenwärtigen Zustand Europas. Dabei werden weder Härten noch Schwierigkeiten verschwiegen. Es gibt anders wie bei „Willkommen bei den Hartmanns“ kein verlogenes Happy End. Der „gute“ Flüchtling kann nicht bleiben und muss weiter ins Ungewisse ziehen.