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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

14. 11. 2016 - 17:25

The daily Blumenau. Monday Edition, 14-11-16.

Von Sinnkrisen, fehlenden Entwicklungsschritten und der Unfähigkeit zu überraschen: beim ÖFB-Team kehrt am Ende des Seuchenjahres 2016 ansatzweise Einsicht ein.

#fußballjournal16

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Es gibt Momente, da schafft es Marcel Koller mir das zu bescheren, was der Guardian seit Trump die age of endarkenment-Gefühle nennt. Wenn er Stehsätze auf Hans Krankl-Niveau absondert, wenn er bei der direkten Konfrontation mit Argumenten Scheuklappen in Terry-Richardson-Größe ausfährt oder wenn er sich drauf ausredet dass es nicht seine Zögerlichkeit, sondern die Journaille (die er seit seinem Antritt - eh zurecht - ignoriert) gewesen wäre, die sich durch das Zerschlagen von Diskussionen mit-schuldig an der aktuellen Baisse gemacht habe.

In diesen Momenten - und sie sind in den letzten Monaten deutlich mehr und zunehmend absurder geworden, wie vergaloppieren sich vor allem in den letzten Tagen, wie wildgewordene Zuchtpferde unter der Jockey-Peitsche - in diesen Momenten könnte ich meine Hochachtung vor dem Coach, der Österreich aus der Steinzeit in die Gegenwart gehievt hat und damit mehr geleistet hat als die gesamte heimische Branche in den letzten 30 Jahren zusammen, vergessen und seine aktuelle öffentliche Performance mit heftigen Worten in Grund und Boden hämmern. Diese Momente treiben mich zur Weißglut.

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Koller hat - und das fällt ihm aktuell auf den Kopf - es nicht gelernt, besser: nie angestrebt, seine Arbeit wirklich zu erklären, sich über freundliche, vorsichtige, vage und somit weit interpretierbare Phrasen hinaus mitzuteilen. Weil er schnell gemerkt hat (der Hass-Empfang der heimischen Trainer/Experten/Seilschaften war da lehrreich) dass es sinnlos ist, sich dieser lernresistenten Branche, ihren verhaberten Medien und der von denen verdummten Öffentlichkeit zu offenbaren, einen Hauch von realistischem Einblick zu geben. Stattdessen präsentierte er ein laues und banales Narrativ.

Es ist ganz einfach, sagt Baumgartlinger, wir überraschen nicht mehr. Wir können das auch gar nicht mehr. Wir haben uns auf ein relativ hohes Niveau herangespielt, indem wir unseren (spielerischen) Stil durchziehen. Die Gegner bereits sich auf uns vor, Stichwort: moderne Gegneranalyse, und Irland oder auch Serbien haben beschlossen uns den Ball, das Spiel zu überlassen.

Klar, es kann nicht Kollers Aufgabe sein, neben dem hiesigen Fußball auch die hiesige Fußball-Rezeption aus dem mittelalter in zumindest die Neuzeit zu holen. Aber so wirklich schwer wäre so ein kleinen Nebenher-Crashkurs nicht gewesen. Das deutete heute einer aus der Handvoll seiner hochintelligenten Spieler, sein Kapitän, Julian Baumgartlinger, an. Der nagelte eine verständliche und im Ansatz auch wahrhaftige Analyse der aktuellen Krise, samt Fehlerhaftigkeit der eigenen Ansätze und Ausblick auf eine mögliche Lösung, alles in 1:30. Baumgartlinger bündelte das, was Koller seit Monaten in babelfischartigem Gegrummel abfließen lässt, in eine nachvollziehbare Geschichte; ein mediengerechtes Narrativ eben.

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Hätte Koller die Euro-Nachlese in vergleichbarer Klarheit bestritten, anstatt sich in einer aus Andeutungen, Ablenkungen und Stehsätzen gebauten Wagenburg zu verschanzen, wäre der Außen-Umgang mit dem miesen Herbst ein deutlich anderer gewesen. Die immer noch nicht (fußballerisch) hochgebildete Öffentlichkeit hätte das wohl nicht genau verstanden hätte, aber - emotional - begriffen, dass hier ernsthafter Erkenntnisgewinn und fieberhafte Lösungs-Ansatzsuche betrieben wird.

Stattdessen gefallen sich Medien und Fans im Nebengranatenwerfen, picken an einer lächerlichen Linskverteidiger-Diskussion fest - weil sie die ollen Sprüche davon, dass ja eh nur die Effizienz und die Tore fehlen, zwar brav nickend annehmen, aber (mit dem Herzen) nicht glauben. Zurecht. Sie brauchen ein Ventil und finden es (noch) in der Wimmer- oder der Alaba-Frage; bis hin zur Koller-Frage ist es nur noch kurz hin.

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Immerhin stellt Koller, von Baumgartlingers klaren Worten angespornt, die Sinnfrage. Er bleibt dabei in einem seltsamen Schwarz/Weiss-Muster, das ein out-of-the-box-Denken verhindert, aber immerhin.

Koller denkt laut drüber nach, was jetzt opportun ist: die Philosophie der fußballerischen Lösung, des schönen, offensiven Spiels zu opfern oder sich (wie einige andere, sehr erfolgreiche Mannschaften der europäischen Mittelklasse) als reaktive Konter-Mannschaft neu zu erfinden. Hohes Pressing und schnelles Umschalten ist in beiden Fällen die Basis - der Unterschied ist die Fähigkeit ein Spiel aktiv zu gestalten. Und das JA dazu, das ist Kollers zentraler Glaubenssatz; den er nicht aufgeben will.

Was Koller dabei übersieht: er muss das nicht. Es geht auch beides zusammen. Es ist in ein und demselben Spiel nicht nur möglich gleichzeitig spielgestaltend zu denken/vorzugehen und trotzdem auch eine Konteranlage zu betreiben - es ist im modernen Spiel unserer Tage sogar unabdingbar.

Koller geht von einem entweder/oder aus, wo ein selbstverständlich beides aktuell Pflicht wäre.

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Das hat damit zu tun, dass er es einfach nicht mag innerhalb eines Spieles umzustellen, umzuplanen, was zu ändern. Kollers große, vielleicht einzige echte Schwäche ist, seit jeher, das In-Game-Coaching, der Wille einen vorher erarbeiteten Plan B auf den weg zu bringen. Nun ist aber genau das das neue Ding, die zentrale Coaching-Entwicklung in den letzten drei, vier Jahren.

Koller sieht, und das ist der zunehmenden Verzweiflung, mit der er seine immergleiche Argumentation vorträgt, anzuhören, sein Team als noch nicht reif für diesen nächsten Schritt bzw meint er ganz viele Trainingslager/einheiten zu brauchen um seiner Auswahl diese Tugenden einzutrichtern. Tugenden, die in einer sich schnell entwickelnden Fußball-Welt mittlerweile aber schon Basics sind. Eine Spielanlage wie die drei Gruppen-Gegner anzunehmen und das spielerisch überlegene Österreich einzulullen und auszukontern, das schließt Kollers Philosohie als unschicklich aus. Zudem ist das ein Punkt, bei dem er recht hat: seine Mannschaft auf dieses reaktive Spiel umzurüsten, um dann wieder nur mit einem einzigen Plan in die Spiele zu gehen, ist ein sinnloses Unterfangen.

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Statt die Härte dieser Zwickmühle zu kommunizieren, verirrt sich Koller im Hans Krankl-Land und schiebt die Effizienz, und indirekt auch das fehlende Glück vor. Als ob sich der Torerfolg nicht in allererster Linie aus dem kreativen Erarbeiten von Chancen sowie Überlistung des Gegners mittels gutem Matchplan herbeigeführt würde, sondern vom Himmel fallen würde, wenn man nur genug läuft. Auf diesem Kindergarten-Level hat sich Österreichs Fu0ßball entwicklungstechnisch jahrelang genügt - auch deshalb bringt mich dieses Doofibär-Narrativ schnell zur Weißglut.

Die Effizienz der EM-Quali 14/15 war ja auch ein Produkt einer damals richtigen Spielanlage gegen damals davon überraschte Gegner. Sich darin zu ergeben, dass die neuen Gegner sich vom mittlerweile gut erforschten österreichischen Stil eben nicht mehr überraschen lassen, wird zu wenig sein.

Warum der alte Trick nicht mehr funktioniert und wieso es Koller&Team an einer weiterführenden Idee mangelt, was dann zum Rückgriff auf die dümmstmöglichen Ideen (lange Bälle gegen die Iren...) kommt, das haben kluge Kollegen hier und hier trefflich analysiert (wer mitreden will, wird das lesen müssen, sorry, auch basics...).

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Das erkennt auch der Teamchef, allerdings im Nachhinein und mit der Anmerkung, dass das nicht das Plan war, und dass eine irische Umstellung in der 22. Minute alles zunichte gemacht hatte.

Diese (in Wahrheit extrem dreiste) Ansage führt mehrere Stränge klar erkennbar zusammen: zum einen die fehlende Qualität des Matchplan (der ja immer auch einen Plan B enthalten muss, vor allem eine Reaktion auf Erwartbares; und dieses irische Spiel war - auch - erwartbar), die Kollers Problem der schlechten strategischen Beratung (kein zuständiger Co-Trainer, kein Chefscout, nur Auswerter) aufzeigt. Zum anderen der fahrlässige Umgang mit den In-Game-Coaching (da sin diesem Fall sogar in der Pause hätte betrieben werden können). Zum dritten eine Diskrepranz zwischen der im Teamchef-Kopf bestehenden, aber nie oder nur vage geäußerten Analyse und der Herangehensweise der restlichen Akteure (vor aller der Brüder-Bande Alaba, Arnautovic, Dragovic). Weil das in aller Offenheit und Klarheit angesprochene Narrativ (siehe Überraschung, Ausrechenbarkeit) fehlt, greifen auch die Spieler auf die Billig-Ausreden die im Hans-Krankl-Hort gern genommen werden, zurück.

Weil der Teamchef kein Narrativ nach außen stellt, kriegen auch die Spieler (nach innen) kein Gefühl für ihre Situation und verstecken sich hinter Platitüden; und spielen so (wie Alaba oder Dragovic) seit Monaten deutlich unter Form.

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Es ist also recht klar vorgezeichnet, was es jetzt braucht: eine echte Krisen-Analyse, die an der Wurzel greift und die Oberfläche (an der die Medien kratzen) und die Plattheiten (die die Spieler erzählen) hinter sich lässt. Ein Narrativ, das sowohl die Krise als auch die Lösung in ein paar Glaubenssätze jenseits emotionalen Motivations-Blablas packt, die konkret erarbeitet werden können. Eine Stärkung der strategischen Kompetenz durch die Hinzuziehung einer Fachkraft für Gegner-Beobachtung, Gegner-Analyse, Matchplan-Idee und Durchführbarkeit, mit der sich der Teamchef auf Augenhöhe austauscht (der Siegenthaler eben). Und ein In-Game-Coaching-Crashkurs für Koller.

Dass Sabitzer nach seiner Verletzung nicht mehr als 60 Minuten in einer Woche kann, ist nachvollziehbar. Warum Koller aber Lazaro unbedingt behalten will, statt seine Flügelkraft der diesbezüglich nicht überbesetzten U21 zur Verfügung zu stellen, ist nicht nachvollziehbar und auch wieder ein wenig weißglutfördernd.

Was morgen nach Christians Fuchs' Verabschiedung gegen das slowakische B-Team passiert, ist völlig zweitrangig. Wichtig ist, wie sich das mit Gregoritsch, Schaub und vor allem Schöpf aufgepimpte U21-Team bei seinem EM-Playoff-Match in Spanien gut schlägt. Das kann ein abgefucktes ÖFB-Jahr wie 2016 gerade noch retten.

Die WM in Russland ist weg, sorry, aber die diesbezüglich geäußerten Hoffnungen sind illusorisch (es braucht 20, eher 21 Punkte für einen zweiten Gruppenplatz; und die sind bei nur bei sechs straighten Siegen erreichbar). Wirklich wichtig wird sein wie (und ob) die Koller-Truppe aus der Krise rauskommt, ob sie es schafft die Arbeitsaufträge überhaupt einmal zu erkennen und anzunehmen. Wenn Koller damit bis 2018 herumtrödelt, ist auch die Euro 2020 schon weg.