Erstellt am: 11. 11. 2016 - 13:33 Uhr
Leonard Cohen (1934-2016)
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Ein klitzekleines Cohen Songbook von Martin Blumenau
Jetzt ist Leonard Cohen gestorben. Es ist nicht ganz überraschend gekommen, dafür ist es umso schmerzhafter. In einer Zeit, in der Geistlosigkeit und Bösartigkeit Wahlen gewinnen und Herzen erobern, ist die altersweise Menschfigur, der warmherzige Weise vom Berge, der Spiritist und Sinnstifter, der Komponist des weltweit bei sämtlichen Religionsgemeinschaften beliebtesten Lagerfeuerliedes "Hallelujah" ein umso größerer Verlust.
APA/AFP/JOEL SAGET
Als ob er es geahnt hätte und mit der ihm unvergleichlich eigenen Selbstironie und Chuzpe hat Leonard Cohen in diesem seinem letzen Jahr noch ein großartiges Alterswerk abgeliefert. Das Album "You Want It Darker" hat, ohne viel Ankündigung, den Charakter des Schwanengesangs. Sein Spiel ist aus, er verlässt den Tisch, wie Abraham erklärt er seinem Schöpfer, dass er bereit sei, Hineni Hineni, er verabschiedet sich von der Liebe selbst und hofft auf ein schmerzloses Ende. Wie Johnny Cash bei seinen ähnlich motivierten letzten Tönen hört man den ohnehin nie sehr modulationsreichen Sänger Cohen hier eher pfeifen und röcheln. Seiner alten Geliebten Marianne Ihlen ("So long Marianne"), die vor ihm diesen Sommer gestorben war, hatte er geschrieben, dass er ihr bald folgen würde, er sei dazu bereit, es soll nur "nicht zu schmerzhaft" sein.
Im Gegensatz zu den anderen großen Toten des Jahres (mit Ausnahme von David Bowie und seinem "Blackstar") hat Leonard Cohen nicht 1985 aufgehört, Relevantes zu produzieren. Er hat sogar - basierend auf der Pleite, nachdem ihn eine Managerin um sein Erspartes gebracht hatte - ein annehmliches Alterswerk vorzuweisen und bis zu seiner letzten Minute ein Riesenpublikum der Enkelgeneration seiner Woodstockfans auf den Bühnen der Welt überzeugt.
Seine Zugehörigkeit zu der Woodstock-Generation war von Anfang an eine brüchige gewesen. Die folkige Instrumentierung und die klangliche Reduziertheit war dem mäßigen Sänger und Gitarristen Cohen eher passiert, der Weinerlichkeit und Schmuddeligkeit der Hippie-KollegInnen hat er von Anfang an Weltläufigkeit und Eleganz entgegen gesetzt. Er war älter und klüger als die anderen, Dichter und Ladies' Man mit berühmt zerrissenem Burberrymantel, er sah besser aus, war eloquenter, hatte die besseren Manieren. Er war der jüdische Schriftsteller und großbürgerliche Dandy der Sixties.
In den Siebzigern, einer Zeit, als die anderen Verstorbenen des Jahres 2016 gerade ihre visionäre Kraft zur Vollendung brachten, schien die von Cohen schon verblüht zu sein. Nach den überraschenden ersten drei Alben hatte er sich in den Siebzigern auf einer griechischen Insel ins Private und in die Innenschau zurück gezogen und wurde zu einem Symbol von Weltabwendung, New-Age-Spiritismus und Eskapismus. Als solcher ein kleines Feindbild der Punk- und New-Wave-Generation, für die „Suzanne“ und „Chelsea Hotel“ als die musikalische Entsprechung zu Räucherstäbchen, Jasmintee und Gefühlstiefe darstellendes Ins-Bett-Quatschen von ländlichen Handarbeitslehrerinnen galten.
In den Achtziger Jahren schien er jeglicher musikalischen Ästhetik gewaltsam den Krieg zu erklären. Die Arrangements der Cohen-Alben waren voll mit standardisierten Gospelchören, flächigem Studiomix und grauenhaft billigen Keyboardsounds. Von "Various Positions" bis zu "The Future" waren Cohens Platten musikalisch nicht auszuhalten - und wie wenn auch er sein Schaffen als bitteren Witz begriffen hätte, finden sich ausgerechnet in dieser Phase seine stärksten Songs. Von "Anthem" bis "Hallelujah", von "Everybody Knows" bis "Tower of Song", das selbstbeschauende Ladies-Man-Seiern ist völlig verschwunden, die Songs sind lakonischer, politischer, allgemeiner, er wird zum großen Zweifler. Cohens Songs dieser Phase sind dann auch die, die von der Söhnegeneration, von R.E.M., Nick Cave und den Pixies wiederentdeckt werden und dazu beitragen, seinen zeitlosen Legendenstatus zu zementieren.
Die ihm zugeschriebene und auch von ihm lächelnd nicht dementierte Schwere und Trübsinnigkeit hat er immer wieder durch bittersten Witz konterkariert, den man zwischen Sehnsuchts-Stöhnen und Einsamkeits-Streichern oft nicht bemerkt hatte. In "Hallelujah" unterstellt er uns Angesprochenen, "es nicht so mit der Musik zu haben", bei "Everybody Knows" unterstellt er Leuten eine Verstörtheit, "so als ob ihr Vater oder ihr Hund gestorben sei", und bei "One Of Us Can’t Be Wrong" lässt er Heilige und Doktoren verzweifeln und Selbstmord begehen. Er rät in einer merkwürdigsten Country-Honk-Parodienummer dazu, „nicht mit einem Ständer heim zu gehen“ (Ginsberg und Dylan grölen dazu mit).
In „Famous Blue Raincoat“ - seiner poetisch vielleicht größten Leistung - schlüpft er in diesem Vexierspiel von Identitäten in die Haut des von ihm Gehörnten, der ihm brieflich dankt, weil er seiner Frau „the trouble from her eyes“ genommen und somit dessen Ehe mit der Affäre gerettet habe – zur Verwirrung signiert er das Lied mit seinem eigenen Namen und gibt beiläufig seine Nähe zu Scientology zu, wo er kurz deshalb Mitglied war, um besser Frauen abschleppen zu können.
Überhaupt scheint Cohen durch „Hallelujah“, durch seinen Buddhismus und wegen dieses Aussehens einer Weisen Alten Schildkröte immer mit einer Art Humanismus-Heiligen verwechselt zu werden, und man vergisst, dass er ein ziemlicher Zyniker, Drogenfresser und Säufer, Libertin und Schweinigel gewesen ist, der vom Blasen und von Ständern singt.
Am Montag, 14.11. wird Robert Rotifer in FM4 Heartbeat das Leonard Cohen Interview wiederholen, dass er 2001 in London geführt hat. Am 22 Uhr on air und im FM4 Player.
Wie es sich für einen Dichter gehört - noch dazu einem modernen, der sich selbst in der Tradition von Garcia Llorca oder William Carlos Willams versteht -, hat Cohen eine textliche Mehrdimensionalität, die in seiner Generation vielleicht nur Dylan erreicht hat. Gerne schlüpfte er in die Rolle von Verrätern, Racheengeln und Nebenbuhlern, in die des einsamen, von geheimnisvoll duftenden Frauen erhörten Loners, der weiterziehen muss, in die von David, Salomon, Jesus, in die des spirituellen Schwärmers und zugleich die des jüdischen Skeptikers. Und in die des Apologeten der Liebe – und nicht der zu den Tieren oder zur Menschheit, zum Wahren und Schönen, zu Geld oder Macht - sondern der geschlechtlichen Liebe zwischen Mann und Frau.
And he pleased the Lord.