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Daniel Grabner

Geschichten aus on- und offline, zwischen den Zeilen und hinter den Links

12. 11. 2016 - 12:07

Intensives Grau

Das Romandebüt „Wir ohne Wal“ von Birgit Birnbacher: Beklemmende Kleinstadtristesse mit Wal.

Den Protagonisten in Birgit Birnbachers Debüt „Wir ohne Wal“ geht es nicht gut. Nicht mit sich und nicht miteinander. Glaubt man dem Klappentext sind sie Mitte zwanzig, manche könnten aber auch jünger sein, manche älter. Was sie gemein haben, ist, in ihren Lebensentwürfen festgefahren-, oder vollends neben der Spur zu sein: Auf der Straße wird Marko im Hasenkostüm von der Polizei verhaftet, weil er bewaffnet und im Drogenrausch ein Geschäft überfallen hat. Auf der Intensivstation liegt B., die es, auf Grund einer Gehbehinderung, während eines Feuers, nicht rechtzeitig aus ihrer Wohnung geschafft hat. Ihr Freund, der in Panik geflohen und unversehrt ist, kommt sie erst nach Wochen zum ersten Mal besuchen. Marika und ihre Schwester schildern einer Therapeutin erst nach Jahren des Schweigens die traumatischen Vorkommnisse im Keller des Nachbarhauses, und nach einer Trennung kämpft Sanela in ihrer Wohnung gegen paranoide Wahnvorstellungen.

Buchcover

Jung und Jung Verlag

"Wir ohne Wal" ist um Verlag Jung und Jung erschienen

Kleinstadttristesse mit Wal

„Wir ohne Wal“ sind zehn scheinbar voneinander getrennte Episoden. Irgendwo zwischen Gedankenstrom und innerem Monolog eröffnet jedes dieser Kapitel die Gedankenwelt seiner jeweiligen Protagonisten. Zu Beginn scheint es, als wäre lediglich die Kleinstadt, also der Schauplatz, eine Gemeinsamkeit, jedoch verbinden sich Kapitel für Kapitel zu einem losen Netz aus Zusammenhängen und Querverbindungen zwischen ihren Protagonisten. Nebenfiguren der einen Episode werden zu Hauptfiguren einer anderen. Ihre Handlungen beeinflussen sich mal direkt mal indirekt. Über allen schwebt ein riesiger luftgefüllter, weiß-grauer Wal. Ein Kunstprojekt mit dem Titel „Oberton“, das den anderen Figuren immer wieder mal ins Auge fällt.

Intensives Grau

Das passt zu Birnbachers „Fargo-esquen“ Kleinstadttristesse, in der Dinge passieren, die an der dünnen Kruste zwischen Realität und dem Absurd-Komischen kratzen. Gegen Ende stellen Männer in grauen Anzügen telefonzellenartige Boxen in der Stadt auf, an die die Menschen ihre Lebensfragen richten können. Und irgendwo anders steht die schwerst depressive Laura mit der Asche ihres verunfallten Hundes Heinz am Grünstreifen neben der Autobahn, um ihn dort zu bestatten. Etwas stimmt mit dieser Stadt (oder sind es die Menschen?) nicht, hat man das Gefühl, und kann es doch nicht genau fassen. Etwas Bedrückendes durchzieht alle Szenen, etwas Klaustrophobisch-Auswegloses. „Meine Lieblingsfarbe ist intensives Grau.“ Dieser Satz aus Stefanie Sargnagels Videoporträt zum Bachmannpreis kommt einem in den Sinn, wenn man Birgit Birnbachers Debüt „Wir ohne Wal“ liest.

Birnbachers Entscheidung für eine konsequente Figurensubjektivität ist dabei ein Wagnis, das auch leicht hätte schief gehen können. Das Fingieren einer stringenten in Worte gefassten Gedankenwelt ist wahrscheinlich eine der verwegendsten Behauptungen in der Literatur. Zuletzt meisterhaft gelungen ist das der Wiener Autorin Sandra Gugic mit ihrem Debüt "Astronauten". In „Wir ohne Wal“ gelingt das ebenso. Birnbacher erschafft ungewöhnliche, aber plausible Persönlichkeiten. Manche sind in ihrer Lebenswelt gefangen, andere haben Glück und können sich doch noch die Frage danach stellen, wie sie leben wollen.

Am Sonntag dem 13.11. liest Birgit Birnbacher auf der Buch Wien.

„Endlich hat es aufgehört zu regnen. Du spannst zufrieden den Schirm ab und schaust nach oben. Alle reden immer vom Anfangen, sagst du, aber niemand redet vom Aufhören. Einmal möchte ich in dieser Stadt jemanden sagen hören, es hat aufgehört zu regnen.“