Erstellt am: 10. 11. 2016 - 15:03 Uhr
Der wasserdichte Plattenvertrag, Teil 1
Andreas Kolarik
von Markus Deisenberger
Christiane Rösinger hat in ihrem Buch Das schöne Leben mit einem einzigen Witz ganz gut zusammengefasst, wie es bei den meisten MusikerInnen finanziell aussieht:
Kommt eine Musikerin zum Arzt. Sagt der Arzt: „Ich habe eine schlechte Nachricht für Sie. Sie haben nur noch zwei Wochen zu leben.“ Ruft die Musikerin erbost: „Und wovon bitte?“
Nur allzu gerne wird der erste Vertrag als die Möglichkeit gesehen, das Prekariat ein für allemal hinter sich zu lassen. Leider sieht die vertragliche Realität meistens anders aus. Und zwar so:
Punkt 1: Hochprozentiges?
Zuallererst geht es den meisten MusikerInnen um künstlerische Selbstverwirklichung. Seltsamerweise ist die erste Frage, liegt der Vertrag erst einmal auf dem Tisch, dann meistens trotzdem die nach dem Geld. Dabei ist die Frage nach der prozentualen Beteiligung eine, die losgelöst für sich betrachtet herzlich wenig Aufschluss darüber gibt, ob ein Vertrag nun als solcher gut oder schlecht ist.
CC BY-SA 2.0 von Eleleleven flickr.com/fabi11
Wie hoch muss das Entgelt für die künstlerische Leistung, an der Rechte eingeräumt werden, sein, um es als "fair" bezeichnen zu können? Bei einem Künstler- oder Bandübernahmevertrag (vereinfacht gesagt liegt der Unterschied in der Intensität der Bindung) berechnet sich dieses Entgelt in Prozentpunkten vom Händlerabgabepreis pro verkaufter Einheit. Und: Zwischen 6% und 25% kommt einem da in der Praxis so ziemlich alles unter. Mitunter wird auch nach Erreichen der Gewinnzone (Break Even) ein anderer, höherer Prozentsatz vereinbart. Achtung: Vielfach sind für Download und Streaming andere Beteiligungen vorgesehen als für den physischen Verkauf.
Ob man nun eine bestimmte Ziffer als hoch oder niedrig, also zufriedenstellend oder nachbesserungswürdig, einstuft, hat aber immer auch damit zu tun, welche Leistung der Vertragspartner erbringt. Heute haben wir es vielfach mit der Situation zu tun, dass der oder die KünstlerIn quasi im Alleingang für ein fertiges Produkt sorgt. Urheberschaft, Produktion, Grafik/Layout, Booking, Vermarktung – alles wird DIY besorgt und man fragt sich manchmal nicht ganz zu Unrecht: Worin besteht eigentlich die Leistung des Labels?
Mittlerweile vielfach "nur" noch darin, den Tonträger zu vertreiben. Das ist natürlich keine Kleinigkeit, denn Vertrieb ist ein wesentlicher Faktor, erfordert eine ausgeklügelte Logistik und viel Manpower. Aber wird der Tonträger auch beworben? Passiert also irgendeine Art von Promo? Und wurde die Produktion selbst in irgendeiner Art und Weise unterstützt? Falls das zu verneinen ist, sollte man sich als Artist die Frage stellen, ob es einen anderen Grund gibt, sich trotzdem für dieses Label zu entscheiden. Vielleicht ist es ja der klingende Name, der in bestimmten Kreisen für Zungenschnalzen sorgt und von dem man sich eine positive Verkaufswirkung verspricht. Auch das kann man als Leistung betrachten.
Oder ist nicht, ganz egal welcher Prozentsatz vertraglich zugesichert wird, ein reiner Vertrieb die bessere Lösung? Das würde dann bedeuten, dass man sein eigenes Label gründet. Wenn man ohnedies schon alle Label-Agenden selbst erledigen muss oder gar nicht in die Verlegenheit kommt, sich darüber Gedanken zu machen, weil man kein Label findet, scheint das angebracht.
Essenzieller als die Frage nach einem genauen Prozentsatz ist jedenfalls die ganzheitliche Sicht: Welcher Leistung steht eigentlich welche Gegenleistung gegenüber? Zahlt es sich wirklich aus, mit einem Label zu kooperieren?
Public Domain
Punkt 2: Der Rocky-Effekt
Vielfach hat man es heute in Künstler-, Bandübernahme-, aber auch Verlagsverträgen (dazu später) mit umfassenden Rechtseinräumungen zu tun. Das Schlagwort lautet: "360 Grad-Verträge" oder "Multiple Right Deals". Ein bisschen ist es mit diesen Verträgen wie mit Rocky in der Schwimmhalle. Konkret ist die Szene gemeint, in der Rocky sich tollpatschig im Brustschwimmen üben muss und sein Trainer zu ihm sagt: "Du wirst Muskeln spüren, von denen du nicht einmal wusstest, dass du sie hast!" Auf diese multiplen Rechteabtretungen umgelegt heißt das: "Du wirst Rechte abtreten, von denen du gar nicht wusstest, dass du sie hast."
Weshalb sich Label/Verlage möglichst viele Rechte abtreten lassen, kann nun zweierlei Gründe haben: Entweder der Vertragspartner hat gar kein Interesse daran, all diese Rechte auszuwerten, sondern es geht eher darum, sich für den (größtenteils unwahrscheinlichen) Fall des überraschenden kommerziellen Erfolges eines Tonträgers abzusichern. Mit anderen Worten: Wenn der Song durch die Decke geht, will man von Label- bzw. Verlagsseite auch wirklich alles damit machen können, ohne um Erlaubnis fragen zu müssen. Für den Artist bedeutet das jedoch im Gegenzug: Er gibt Rechte auf, mit denen er vielleicht mehr anzufangen weiß als das vertragliche Gegenüber.
Oder zweitens: Der Vertragspartner ist nicht nur Label, sondern verfolgt ein Business-Modell, bei dem es gerade darum geht, möglichst viele Agenden (Booking, Verlag etc.) neben dem klassischen Labelgeschäft zu übernehmen.
Vereinfacht gesagt: Wenn vom Partner auch wirklich mehrere Dinge angeboten werden, ist die Abtretung der dafür erforderlichen Rechte auch OK, weil sie der Auswertung dient. Wenn sie dagegen nur der Absicherung von Rechten im Falle künftigen Erfolgs dient, sollte man sich die Abtretung gut überlegen.
Vielfach finden sich heute auch Bestimmungen, in denen sinngemäß Rechte, die durch künftige technische Entwicklungen entstehen, abgetreten werden. Ganz abgesehen davon, ob das aus juristischer Sicht überhaupt möglich ist, bedeutet es, dass auch die Rechte an einer Verwertungsart, die es zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch nicht gab, aber während der vertraglichen Laufzeit erfunden wird, abtritt. Diese Regelungen sind Folgen des Internets. Falls es noch einmal eine so bahnbrechende und nicht vorhersehbare Neuerung geben sollte, will man nicht neuerlich verhandeln, sondern ungefragt auch in diesem Bereich auswerten können.
Problematisch sind auch Bestimmungen, mit denen man Rechte an anderen Produktionen mitüberträgt. Beispiel: Ein Artist räumt vertraglich nicht nur die Rechte an der vertragsgegenständlichen Produktion ein, sondern sichert "quasi nebenbei" auch die Rechte aller anderen Produktionen, die während der Vertragslaufzeit entstehen, zu. Eine solche Rechtsübertragung kann so weit gehen, dass auch Produktionen, die unter anderem Namen, in anderen Formationen entstehen, der Plattenfirma angeboten werden müssen, die dann das exklusive Recht hat, dieses Recht aber nicht ausüben muss. Unterzeichnet man solche Bestimmungen, kann das im schlimmsten Fall existenzvernichtende Auswirkungen haben, weil die Kreativität "aufs Eis gelegt" wird.
Ob man als UrheberIn/MusikerIn nun einzelne dieser Rechte "rausverhandeln" kann, d.h. aus der Rechtsübertragung streichen kann, hängt ganz von der eigenen Marktmacht ab, mehr aber noch von der Haltung des Vertragspartners. Die alles entscheidende Frage lautet: Welches Recht oder welche Rechte braucht das Gegenüber wirklich (für die angedachte Verwertung) und was ist bloße Draufgabe?
MICA-Tipps
Rechtliche Tipps für Musikerinnen und Musiker auf FM4
Besonders aufpassen muss der/die UrheberIn auch, wenn er/sie zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung noch nicht Mitglied einer Verwertungsgesellschaft ist. Dann nämlich kann er/sie rein theoretisch noch über diese Verwertungsrechte verfügen. Räumt er/sie diese seinem Vertragspartner ein, fallen die Tantiemen nicht ihm/ihr, sondern dem Vertragspartner an. Schlimmer noch: Der Vertragspartner könnte ihm/ihr sogar die Aufführung seiner/ihrer eigenen Werke untersagen. Glücklicherweise findet sich in derartigen Rechteübertragungs-Katalogen fast immer ein so genannter Verwertungsgesellschaftenvorbehalt. Das ist eine Rechtsvorschrift, die die Übertragung der (üblicherweise durch eine Verwertungsgesellschaft wie die AKM) wahrgenommenen Rechte von der Rechteübertragung ausnimmt. Für den Fall, dass ein solcher Passus fehlen sollte, ist es essenziell, diesen rein zu reklamieren. Der/Die UrheberIn kann also (für den Fall, dass er/sie diese nicht ohnedies schon der AKM eingeräumt hat) nicht über diese Rechte verfügen. Zu seinem eigenen Schutz.
In den nächsten Wochen wird es hier noch um Verlagslaufzeiten, Optionen und Verlagsverträge gehen. Bei Unklarheiten kann man sich an die FachreferentInnen des mica – music austria wenden. Die Beratung ist kostenlos!