Erstellt am: 9. 11. 2016 - 16:07 Uhr
Memento Wien
Am 9. November 1938 zerstörten Angehörige der SA, der SS und der NSDAP in ganz Österreich und Deutschland tausende jüdische Geschäfte, Wohnungen, Synagogen und Friedhöfe. Hunderte Menschen wurden in der Pogromnacht und in den Tagen danach getötet oder in den Tod getrieben. Anlässlich des 78. Jahrestages der Novemberpogrome veröffentlicht das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) eine Web-Applikation namens Memento Wien. Mit ihr kann man durch Wien gehen und Wissenswertes über Zerstörungen und Deportierungen erfahren.
Foto: Christoph Weiss
Memento Wien ist für Smartphones und Tablets optimiert. Entwickelt hat die Web-App der Historiker Wolfgang Schellenbacher. Man sieht auf dem Bildschirm eine Karte und kann damit unter anderem Gebäude lokalisieren wie z.B. die ehemalige Gestapo-Zentrale Wiens und viele mehr: „Wir stehen hier vor Stoß im Himmel 3“, sagt Schellenbacher, während er mir die App demonstriert. „Es kommt die Information, dass es sich hier um 93 Personen gehandelt hat, die hier ihre letzte Wohnadresse hatten, bevor sie deportiert und ermordet wurden.“
Wenn man auf das Haus klickt, erhält man mehr Informationen, etwa ein Foto des Gebäudes aus den 1930er Jahren. Die Beschreibungen der Gebäude können auf Deutsch oder Englisch angezeigt werden, und dasselbe gilt für die Geschichten der Menschen, die darin gelebt haben. Wir klicken auf Paul Goldstein. Wir sehen ein Foto aus der erkennungsdienstlichen Kartei der Gestapo. Goldstein wurde wegen Verstoßes gegen die sogenannten „Kennzeichnungsvorschriften“ festgenommen. Sein Verbrechen war, dass er als Jude galt, aber weiterhin mit seiner als „Arierin“ geltenden Ehefrau zusammengewohnt hat. Deswegen wurde er verhaftet, später nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Foto: DÖW
Insgesamt sind derzeit 5200 von den Nazis ermordete Personen und 700 Gebäude in der App erfasst, sagt Wolfgang Schellenbacher. Derzeit beschränke sich der Inhalt auf den 1. Wiener Gemeindebezirk: „Wir hoffen, dass wir bald die Mittel bekommen, um das Projekt auf ganz Wien ausweiten zu können.“
Das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes arbeitet seit vielen Jahren mit Opferdatenbanken. Für „Memento-Wien“ wurden diese aber mit Material aus der Nationalbibliothek, dem Wiener Stadt- und Landesarchiv und internationalen Archiven erweitert. Schellenbacher ist es wichtig, die Informationen auf neue Weise sichtbar machen: „Es ging auch immer um die Frage, was hinter den großen Zahlen steht. Wenn wir hören, dass im Jahr 1938 185.000 Wienerinnen und Wiener als Juden gegolten haben, wenn wir hören, dass etwa 67.500 Jüdinnen und Juden ermordet wurden in Österreich, dann verbirgt das immer ein bisschen die Schicksale, die hinter diesen großen Zahlen stehen. Wir wollten nicht nur aus wissenschaftlichen Interesse an diese Thematik herangehen, sondern diesen Schicksalen auch wieder eine Geschichte und ein Gesicht geben.“