Erstellt am: 9. 11. 2016 - 13:49 Uhr
The daily Blumenau. Wednesday Edition, 09-11-16.
#demokratiepolitik #election2016 #uglyamerican
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die bisherige Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Michael Moore hat es übrigens schon im Juli gewusst.
Jetzt ist er da, der Trump. Hat das irgendetwas Gutes? Der gern einmal um die entscheidende Ecke denkende Philosoph Slavoj Žižek sagt: ja.
Spinnt der völlig, will er sich nur ein Alleinstellungsmerkmal abholen, oder haben seine Argumente Hand und Fuß?
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Im letzten Falter, der (sehr kritisch) mit dem System Clinton titelte, gab es auch ein (wie immer nicht über Link zugängliches) Editorial von Armin Thurnher, in dem er laut über das Übel des kleineren Übel nachdachte. Der Zwang ein Unglück begrüßen zu müssen, weil es ein größeres Unglück verhindert, behindert unsere Diskursfähigkeit und schränkt uns auf fatale Weise ein, sagt der Chef dort und arbeitet sich dann u.a. auch am Vertrauensverlust der Medien (halbherzige Verteidigung von nicht gänzlich haltbaren Positionen, die radikalen Verführern alle Möglichkeiten der Desavouierung gibt - Stichwort Lügenpresse) ab. Und beschreibt die Schere zwischen Erwartungshaltung und Handlungs-Realität, die unter Clinton noch deutlich stärker auseinandergehen würde als unter Obama.
Achtung, auf das, Stichwort: primär, kommt ich später noch zurück.
Thurnher schließt so: Außenpolitisch (und das ist es, was uns in Mitteleuropa primär betrifft) werde man sich unter einer Präsidentin Clinton wärmer anziehen müssen, als unter Trump.
Niemand hat Thurnher danach als Irren bezeichnet, oder seine Analyse angezweifelt.
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Slavoj Žižek, der, wie heißt es so schön, "streitbare" Radikal-Denker, der slowenische Philosoph aus der Hegel-Marx-Schule, hat diese anerkannte, kritische Grundhaltung (die weit über das fast schon debil zu nennende, hochbanale Boulevard-Mainstream-Narrativ von Pest und Cholera hinausgeht) nur leicht zugespitzt. Und sich damit sofort (zumindest in Europa) zum Gottseibeiuns/Buhmann/Reibebaum der Debatte gemacht. Hier in der vorletzten "Zeit" mit einer 'Clintons Linie ist noch abstoßender als die Trumps'-Provokation, da in "In These Times", einem progessive monthly aus Chicago, mit einer saftigen Analyse des Dilemmas der Linken, auch live bei Auftritten wie dem unlängst in Berlin oder hier per Video-Botschaft mit einer Wahlentscheidung pro Trump.
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Zizek Argumente mögen zugespitzt sein; Schlichtheit geht ihnen ab. Hillary Clinton sagt er, "is the true danger", eine kalte Kriegerin, Wall Street-hörig, und gibt vor sozial progessiv zu sein, "she built an impossible all-inclusive coalition", sie habe ein Trugbild errichtet um das System am Laufen zu halten. Und um uns - siehe Thurnher - mit der Geringeres-Übel-Falle zu fangen. Trump hingegen störe den Konsens und zwinge die beiden Parteien zu einem Erwachen, dem "awakening" wie Zizek sagt. Die Gefahren (der Supreme Court droht unter Trump eine rechtsradikale Veranstaltung zu werden) spart er nicht aus, seiner Ansicht nach ist die Chance auf eine Erneuerung der demokratiepolitischen Kräfte aber größer.
Neu ist das nicht. Dass Zizek Trump für einen centrist-liberal hält, sagt er schon länger, etwa hier, das argumentiert er etwa in der "Zeit" am Beispiel der liberalen Position in der Abtreibungs-Frage. Und setzt die kriegsgetriebene Falken-Position des Clinton-Camps dagegen.
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Zizeks Position klingt verdammt nach der exzessiven, umsturzlüsternen Idee der verbrannten Erde, der des Phoenix aus der Asche, nach der alten Fantasie, dass nur eine tabula rasa Probleme oder Krisen bereinigen kann.
Diese Verhandlungen und Kompromisse verachtende Position ist fast durchwegs eine Männer-Fantasie und eint derzeit die große, global zu erkennende Koalition aus sich in ihrer Rolle bedrängt Fühlenden, aus Weißen, Abgehängten, Nationalen, Armutsbedrohten, aus schierer Wissens- und Ideenarmut politisch Unkorrekten, aus Demagogen/Verführern und auch aus Idioten/Opportunisten/Mitläufern.
In Zeiten des gefühlten (und durch die Dauer-Spirale des Gangs in Richtung kleineres Übel geförderten) System-Untergangs hat die Systemerhalterin eine zu geringe Basis, hat der beißhemmungslose Chauvinist, der exzessive, irrwitzige, vulgäre Ausbeuter unserer schlimmsten rassistischen und sexistischen Vorurteile (alle Zizek-Zuschreibungen) alle Trümpfe in der Hand.
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Nun meint Zizek, das auf checks & balances ausgerichtete US-System wäre nicht anfällig für ein Kippen in den Faschismus; und er traut der amerikanischen Parteiendemokratie zu, sich zu erneuern, ihre allzu offensichtliche Verlogenheit abzustreifen.
Wo, wenn nicht dort, kann das klappen.
Dass das kleinstaatliche, die Demokratie nicht, kaum oder zu kurz gewohnte Europa das nicht schafft (Ungarn, Polen, bald Österreich machen es vor) ist zu offensichtlich. Zizek deutet da die Idee eines ideologischen Marshall-Plans an, der sich über eine Neustrukturierung der US-Demokratie verbreiten könnte.
Könnte.
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Europa ist nämlich nicht (Stichwort: primär) nur den außenpolitischen Folgen der gestrigen US-Wahl ausgesetzt (und da könnte sich die zurückhaltendere Position Trumps ja eventuell positiv auswirken), sondern auch der Vorbild-Wirkung.
Trump dient nämlich nicht nur Putin, Orban, Erdogan, Kaczyński, Strache/Hofer, Seehofer, LePen, Petry/Höcke, Wilders und vielen anderen mehr als stetes überlebensgroßes Handlungsbeispiel (vor allem dann, wenn er seine postfaktische Politik von 75% bewusst gesetzten Falsch/Lügenaussagen auch als Präsident fortsetzt), sondern macht auch den Typus des Bully wieder salonfähig, wird als fleischgewordene Drohgebärde gegenüber Minderheiten und Andersdenkenden ins Rennen geschickt werden.
Diese Plakativität, die ein US-Präsident per se, und eine Medien-Figur wie Trump noch in erhöhtem Maß erhalten wird, könnte die Re-Organisation der amerikanischen Parteien-Demokratie verhindern und auch ihre komplette Zerstörung durch strategische Mimikry nach sich ziehen.
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Dazu kommt Zizeks nachrangige Einschätzung der Gefahren; und das ist ein Thema, das auch eine Brücke nach Österreich schlägt.
So sehr nämlich die heimische Wenderegierung (2000 bis 2006) auch als Motor für eine Erneuerungs-Chance gesehen wurde - ein inhaltlich kohärentes Erbe entstand keineswegs. Letztlich ist die Mischung aus semikorrupter Selbstbedienungs-Politik und eigentlich neokonservativ ausgerichteter, aber doch bloß dem hysterischen Neoliberalismus in die Karten spielender Politik der Privatisierung von Gewinn und der Sozialisierung von Kosten auch heute noch Handlungs-Vorbild.
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US-Wahlen 2016
Ergebnisse, Analysen und Reaktionen zu den US-Wahlen 2016 auf fm4.orf.at/usa2016
Die Zizeksche tabula rasa, die auch die Glavinice unserer Republik so rein gefühlig echt geil finden, passiert ohne den Hauch einer Risiko-Abwägung. Das muss der gelernte Psychoanalytiker auch nicht leisten. Er setzt seine Hoffnung darin, dass der wirre, auch ganz schön irre, aber nicht-fundamentalistische, ökonomisch strikt kapitalistische, gesellschaftlich gesehen aber eher laissez-faire-orientierte Stil die bessere Wahl als das destruktive more-of-the-same eines alles-an-die-Wand-fahrenden Systems ist. Weil darin der Keim für eine Re-Organisation dieses Systems gesät werden kann; und wenn nicht dort, wo dann.
Bedenkt dabei weder die Eigendynamik der neuen präsidentiellen Vorbild-Figur, noch die globale Wirkung der US-Politik mit. Berechnet auch die zwar nur an den Rändern, aber dort bereits fix verankerte Verbrüderung der Rowdy-Politik Trumps mit den globalen Bullys oder den europäischen Nationalisten, den semiautoritär Angehauchten, die Staaten wie Firmen führen wollen, nicht ein.
Zizek setzt auf Trumps Nicht-Fundamentalismus; und mit dem setzt sich der neue US-Präsident tatsächlich von den meisten seiner europäischen Bewunderer ab.