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Rainer Sigl

Spiel, Kultur, Pop im Assoziationsblaster.

10. 11. 2016 - 14:45

Stummfilm zum Mitspielen

Das Adventure-Spiel "Virginia" kommt ohne Worte aus und fesselt trotzdem.

505 Games

Eine verschlafene US-Kleinstadtidylle in den Neunzigerjahren, ein mysteriöses Verschwinden eines Jugendlichen, Gerüchte von unbekannten Flugobjekten und FBI-Agenten, die das Ganze aufklären sollen - nein, die Rede ist nicht von "Akte X" oder "Twin Peaks", auch wenn im First-Person-Adventure "Virginia" zu Beginn alles danach aussieht. Und das mit Absicht, denn das Spiel versteht sich ausdrücklich als Hommage an die Zeit, als im Fernsehen Fox Mulder und Dana Scully zu sehen waren.

Der größte Unterschied dabei fällt sofort ins Auge: In "Virginia" ist das FBI-Ermittlerduo weiblich - und schwarz. Und auch die Zusammenarbeit zwischen den beiden ist etwas komplizierter als gewohnt - immerhin arbeitet die Figur, in deren Haut wir hier schlüpfen, zugleich als Spitzel für die Dienstaufsicht und soll der Kollegin genau auf die Finger schauen.

Ohne Worte

Das Besondere an Virginia ist die Art und Weise, wie erzählt wird. Im Unterschied zu fast allen anderen Adventures verzichtet das Spiel nämlich konsequent auf Worte - stattdessen untermalt ein cineastischer Orchestersoundtrack das Geschehen, und hin und wieder klingt auch der große Angelo Badalamenti an. Wie in einem Stummfilm werden deshalb kleine Details wie Mimik und Gestik der Figuren bedeutsam; der simple Cartoon-Grafikstil schafft es, dabei seine Figuren auch ziemlich komplexe Emotionen zeigen zu lassen.

Nach kurzer Eingewöhnung fällt es uns gar nicht mehr auf, dass in "Virginia" nicht gesprochen wird - stattdessen lernen wir, genauer hinzusehen. Und das ist auch wichtig, denn erklärt wird nicht viel. Das Mystery-Abenteuer hat eigentlich keine richtigen Rätsel und ist letztlich ziemlich linear. Als Ausgleich sorgen gekonnt eingesetzte filmische Schnitte, Traumsequenzen und Rückblenden dafür, dass wir bis zuletzt am Rätselraten sind, was an diesem Ort tatsächlich geschehen ist. Großes und ausgesprochenes spielerisches Vorbild ist dabei das kurze Indie-Experiment "Thirty Flights of Loving" aus dem Jahr 2012, das als eines der ersten Spiele derart mit einer großen Portion Tarantino erzählte.

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Mystery zum Mitdenken

"Virginia" ist für PS4, Xbox One und Windows erschienen.

Wer von einem Computerspiel Action, Rätsel oder die große Freiheit erwartet, wird an "Virginia" wenig Freude haben, denn zu tun gibt es darin auf den ersten Blick nicht viel. Das macht aber nichts, denn dass klassische Spielelemente wegfallen, wird durch die spannende Präsentation und das originelle Erzählen mehr als wettgemacht. Die Story vermeidet Klischees und lässt einen auch nach dem Spielende nach etwa zwei Stunden nicht los - für Diskussionen, Interpretationen und Aha-Momente ist auch nach Laufen des Abspanns gesorgt.

"Virginia" ist ein ungewöhnliches Abenteuer, das nicht nur die Atmosphäre seiner Vorbilder "Akte X" und "Twin Peaks" virtuos umsetzt, sondern auch einen spannenden neuen Erzählansatz verfolgt.