Erstellt am: 7. 11. 2016 - 16:24 Uhr
Flüchtlingstragödie im Mittelmeer nimmt kein Ende
Auch heute haben die italienische Marine und private Helfer 1000 Flüchtlinge aus dem Meer geborgen - und erneut 10 Leichen gefunden. Im heurigen Jahr sind mit 4.200 Menschen bereits mehr Todesopfer zu beklagen als im gesamten Vorjahr. Die UNO führt den Anstieg der Todesfälle im heurigen Jahr darauf zurück, dass Schlepper immer öfter seeuntüchtige Boote einsetzen und diese auch noch stark überladen. Nur eine von vielen Ursachen, sagt die private Hilfsorganisation Sea-Watch, die fast täglich Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken rettet.
Ruben Neugebauer von Sea-Watch bezeichnet die Situation im libyschen und italienischen Mittelmeer als "chaotischer denn je". Einen der Gründe sieht er im Verhalten der libyschen Küstenwache, die seit neustem von Europäern ausgebildet wird und Flüchtlingsboote in libysche Gewässer zurückdrängt. Das verstoße nicht nur gegen internationales Seerecht, so Neugebauer, sondern führe auch dazu, dass sehr viele Flüchtlingsboote auf einmal starten, „weil sie dann mehr Chancen haben durchzukommen, anstatt von der libyschen Küstenwache aufgegriffen zu werden“. An manchen Tagen seien nun deshalb bis zu 40 Boote gleichzeitig auf dem Wasser. „Die Rettungskräfte sind damit überfordert.“
Foto: Sea-Watch
Ruben Neugebauer war selbst bei 50 Rettungseinsätzen auf dem Schiff der Hilfsorganisation dabei. Die Einsätze seien extrem gefährlich, so der Aktivist, denn man müsse darauf achten, dass die Menschen im Boot ruhig bleiben. „Das geht nur, wenn man den Menschen klar macht, dass sie sicher sind und ein Rettungsschiff kommt und sie nach Europa bringt. Das Mutterschiff bleibt noch auf Abstand, um keine Panik an Bord zu riskieren. Mit einem Schnellboot werden Schwimmwesten vom Mutterschiff gebracht und ausgeteilt.“ Erst wenn jeder Flüchtling eine Schwimmweste anhat, beginne man, sie von Bord der Bootes zu holen.
Hussein und Saber
Hussein und Saber sind beide 15 Jahre alt und stammen aus der afghanischen Provinz Kunduz. Sie leben derzeit in einer Einrichtung des Vereins Fluchtweg, also einem Georg Danzer Haus. Beide Jugendlichen haben die gefährliche Fahrt übers Mittelmeer – in ihrem Fall von der Türkei nach Griechenland – gewagt und überlebt. Husseins Flucht hat insgesamt mehrere Monate gedauert, zwei davon ist er in einem türkischen Gefängnis gesessen. Gekostet hat ihn die Flucht umgerechnet 4000 Euro – einer der Schlepper hat ihn für die Überfahrt nach Griechenland in ein völlig desolates Boot gesetzt, sagt Hussein: „Er hat gesagt, das Boot sei gut und ich würde mit 20 Burschen darin sitzen. Tatsächlich waren es dann 56 und es wurde leck.“
Foto: Christoph Weiss
Ähnlich erging es auch Saber. Er war zuerst einmal zu Fuß von Afghanistan bis in die Türkei unterwegs, über Berge, vier Tage lang hatte er nichts zu essen und zu trinken. Der gefährlichste Teil der Reise kam aber auch dann erst für Saber, als er ebenfalls in einem inadäquaten und völlig überfüllten Boot übers Meer fuhr: „Die Überfahrt hat 8 Stunden gedauert. Das Boot war für höchstens 20 Menschen geeignet, aber mit ca. 40 Personen völlig überfüllt, so dass es sich ständig gefährlich geneigt hat. Wir wären fast gekentert und ertrunken. Aber irgendwie haben wir es nach Griechenland geschafft.“
Foto: Christian Ditsch
Krieg gegen Schlepper
Das seien typische Geschichten, sagt Ruben Neugebauer von Sea-Watch. Ein großes Problem und ein Hauptgrund für die humanitäre Katastrophe im Mittelmeer sei, dass von den europäischen Militärs zu wenig Unterstützung komme: „Die machen ihr eigenes Ding, könnten sich aber viel effektiver in den Rettungseinsatz eingliedern. Sie haben aber ein anderes Mandat und sollen den ‚Krieg gegen Schlepper‘ führen. Keiner versteht richtig, was die da machen. Gebracht hat es bisher nichts. Sie könnten ihre Mittel deutlich effektiver zur Rettung von Menschenleben einsetzen.“
Letztlich könnten all die Seenot-Rettungseinsätze von Sea-Watch und anderen NGOs keine Dauerlösung sein, so Neugebauer. Sie seien im Grunde nur Symptombekämpfung: „Solange wir die Leute auf diesen Booten haben, werden wir auch Tote haben. Der einzige Weg, ernsthaft aus dieser humanitären Krise herauszukommen, ist die Bereitstellung von sicheren und legalen Einreisewegen.“
Insgesamt haben laut UNO heuer schon über 200.000 Flüchtlinge den Weg über das Mittelmeer nach Europa gesucht. Das ist ein historischer Rekord, ebenso wie die bisher 4200 ertrunkenen Menschen in diesem Jahr. Den Zahlen muss sich vor allem die EU-Grenzschutzagentur Frontex stellen. Sie ist dafür zuständig, Flüchtlinge aus Seenot zu retten, aber offenbar nicht besonders effizient. Einen großen Teil der Rettungsaktionen haben private Organisationen wie Sea-Watch durchgeführt.