Erstellt am: 9. 11. 2016 - 10:30 Uhr
Holy Hollywoody Allen!
Woody Allen ist immer eher ein Mann der vielen, gestammelt-pointierten Worte gewesen als einer, der die Leinwand mit atemberaubenden Bilderwelten gefüllt hat. Mit einigen Ausnahmen funktionieren seine Filme zuhause am kleinen Bildschirm genauso gut (oder auch manchmal überhaupt nicht) wie im Kino. Insofern erscheint der unermüdlich einen Film pro Jahr drehende Mann wie eine ziemlich logische Wahl für einen Regisseur, dem man ein Budget in die Hand drückt und sagt: "Einmal Serie bitte". Oder so würde es erscheinen, wenn nicht Serien zum abgefeierten neuen Erzählmedium mutiert wären und quasi als die großen Bildungsromane unserer Zeit behandelt würden.
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Für Woody Allen ist eine Serie aber immer noch sowas, was so circa 30 Minuten pro Episode dauert, halblustig ist und sofort wieder vergessen wird. Für Amazon hat Allen den Sechsteiler "Crisis in Six Scenes" inszeniert und ziemlich schnell auch selbst bereut, dass er dem Deal zugestimmt hat. Er hatte eigentlich ja gar keine Idee und sich das Ganze außerdem einfacher vorgestellt, so Allen. Ich hoffte zunächst, dass Allen das so meint, wie Streberschüler vor der Schularbeit "Ich hab gar nix gelernt", nach der Schularbeit "Das ist sicher ein Fünfer" brüllen und dann natürlich einen Einser mit Stern kriegen. War aber dann doch nicht so.
Hannah Montana goes Guevara
"Crisis in Six Scenes" kann man sich via Amazon anschauen.
Die Grundidee von "Crisis in Six Scenes" ist eigentlich reizvoll wie allenesk: In den gemütlichen Intellektuellen-Haushalt des älteren Ehepaars Munsinger bricht eines Nachts gegen Ende der 1960er Jahre die Rebellion in Form einer jungen Frau ein. Also tatsächlich, she came in like a wrecking ball, denn Lennie, die Frau mit den umstürzlerischen Ideen, wird gespielt von Miley Cyrus. Da sitzt sie nun am Küchentisch der freundlichen Munsingers, die alte Bekannte ihrer Familie sind, und bittet um Unterschlupf. Sie habe sich den Weg aus dem Gefängnis freigeschossen und muss nun für ein paar Tage abtauchen. Sidney Munsinger (Woody Allen) ist dagegen, weil ohnehin neurotisch bis unter den Hornbrillenrand, und dann auch noch eine Guevara-Anhängerin verstecken, das geht zu weit.
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Mao und die alten Damen
Miley Cyrus mag die Spielregeln der Popwelt beherrschen, eine gute Schauspielerin ist sie nicht, doch sie und ihr Spielstil - sie befolgte offenbar einfach die Regieanweisungen - sind nicht allein schuld daran, dass "Crisis in Six Scenes" stellenweise wie bemühtes Laientheater wirkt. Die Serie ist ein hingeschluderter Brei von Allen-Evergreens, aber herz- und zahnlos. Mit Witzen, die drei Tage vorher anrufen, dass sie jetzt dann mal vorbeischauen, mit einbeinigen running gags. Elaine May macht das Beste aus dem zweitklassigen Textmaterial, das ihr Allen gegeben hat, und ist als Munsingers Ehefrau ein Highlight von "Crisis in Six Scenes". Sie bewundert Lennie für deren Engagement und bald schon liest ihr perlenbeketteter Buchclub Mao und die freundlichen Tanten wollen zivilen Widerstand leisten. Könnte ja ganz lustig sein, wie die bürgerlichen Damen anfangen, sich für linkes Gedankengut zu begeistern, wie zwischen Teegebäck und Hütchen ein Funken Umsturzwille zu blühen beginnt.
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Aber Allen lässt alles ungefeilt stehen und uns von schalem Schmäh zu staubiger Pointe hatschen, während Lennie und Sidney zum wiederholten Male darüber streiten, ob man nur mit Gewalt oder auch mit dem Gebrauch des Wahlrechts etwas ändern kann. Ohne jetzt die politische Agenda von dem holpertatschigen Ding, das sich Serie schimpft, überzubewerten, so fällt doch auf, dass "Crisis in Six Scenes" häufig einen Brückenschlag ins Jetzt macht: Kriegseinsatz der USA, Rassismus, fehlende Gleichberechtigung der Frauen. Der Aktivisten-Themenkatalog hat sich nicht geändert. Doch vielleicht ist das auch nur ein zufälliger Glückstreffer im Drehbuch-Schlamassel. Die Serie ist ein Schlachtfeld guter Ideen, hingemetzelt von schlechtem Timing. Nicht einmal in einer wohl Marx Brothers inspirierten Szene, in der im Haus der Munsingers zahllose ganz verschiedene Personengruppen - der jüdische Buchclub und potenzielle Black-Panther-Mitglieder - aufeinandertreffen und sich das Chaos mit jeder Sekunde potenziert, weiß zu amüsieren. Welche Serie man sich statt "Crisis in Six Scenes" anschauen soll, beantwortet am besten der Titel eines Woody-Allen-Films, den man sich unter keinen Umständen anschauen soll: Anything else.
Cafe Society
Doch während Allen patschkinomäßig einen Bauchfleck hinlegt, so choreografiert er großleinwandig momentan im Kino mit "Cafe Society" eine adrette Show(business)einlage in den 1930er Jahren. Den obligatorisch neurotischen Mann gibt Jesse Eisenberg, das ist ja in jedem Fall mal eine gute Nachricht. Als Bobby Dorfman macht sich Eisenberg aus der Bronx auf nach Los Angeles, um bei seinem Onkel Phil einen Job zu finden. Onkel Phil (Steve Carell) ist Hollywood-Produzent, ein vielbeschäftigter Mann, der auf glamourösen Poolparties über Paul Muni spricht und auf einen Anruf von Ginger Rogers wartet. Weil Stebe Carrell in "Anchorman" so dermaßen fantastisch als over-the-top-danebener Wettermann Brick Tamblin ist, vergess ich gern, dass der auch zurückgenommen spielen kann - und so gut dabei ist. Man freut sich, dass Bruce Willis anscheinend so schlecht beim Textlernen war und deswegen von Allen gefeuert wurde und die Rolle des Hollywood big shots an Carrell gegangen ist.
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Tale of two cities
Bobby ist zunächst fasziniert von der sonnendurchfluteten Filmstarwelt - und auch froh, dem Working Class Milieu zuhause entkommen zu sein, doch bald schon hat er nur mehr Augen für Vonnie (fantastisch: Kristen Stewart), die Sekretärin seines Onkels - bloß die hat einen Freund, sagt sie. Nichtsdestotrotz schenkt uns das Kino so nun schon zum dritten Mal Stewart und Eisenberg als Liebespaar, bloß so gut angezogen wie hier waren die beiden in "Adventureland" und "American Ultra" nie.
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Überhaupt sieht hier alles hochpolierter - und stellenweise auch hochstilisierter aus - als bei Allen üblich. Zum ersten Mal arbeitet er mit dem legendären Kameramann Vittorio Storaro zusammen und für beide ist es der erste Film, der digital gedreht wird. In goldenes Licht wird Los Angeles getaucht, wenn Bobbys Mobsterbruder in New York Leichen verschwinden lässt, so passiert das in entsättigten Farben und wenn im dritten Akt schließlich ein glamouröser Nachtclub in den Mittelpunkt rückt - ein Ort, der zum Treffpunkt der Reichen, Schönen und Wichtigen wird, dann setzt die wunderbare Kameraarbeit erst so richtig zum rastlosen Tanz an.
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Nostalgisches Gedicht
"Cafe Society" ist zwar ausstattungstechnisch überschwänglicher, aber erzählerisch geradlininger als Allens letzte Filme. Eisenberg schraubt die Neurosen aufs Minimum runter und gibt zuerst abenteuerlustig naiv den Jungen, der ins Abenteuer aufbricht und dann - von der Realität geknickt und herzgebrochen - den melancholisch-geläuterten Nachtclub-Geschäftsführer im weißen Smoking.
warner
"Café Society" startet am 11. November 2016 in den österreichischen Kinos.
Der Film erzählt von zwei Städten und ihren Mythen, bebildert die Gebaren der Elitären beim gemeinsamen Sich-selbst-Feiern nicht ohne Ironie. Die jüdische Familie, die bei Tisch streitet, ein kommunistischer Schwager, eine Glaubensübertretung sorgen für Pointen, die - im Gegenzug zu "Crisis in Six Scenes" - wie angegossen sitzen. So ganz nebenbei erzählt der Film auch von den möglichen - und prominenten - Karrieren, die (jüdische) Einwanderer in den USA ergriffen haben: Filmwelt, Unterwelt und linke Theoretiker. Keinesfalls ist der Film eine "Hommage ans alte Hollywood", wie man manchmal lesen kann, Hollywood ist Schauplatz aber nicht Thema des Films - auch wenn einem zahllose Namen wie Barbara Stanwyck und Joel McCrea um die Ohren fliegen. Viel eher ist der Film eine leichtfüßiges Nostalgiegedicht von (Holly)woody Allen, das mit bittersüßer Schwere von Enthusiasmus und Enttäuschung, von Verstand und Gefühl und von geplatzten Träumen erzählt. Viertausend Extrapunkte gibt's von mir für Paul Schneider mit Seitenscheitel im hellen Anzug und Parker Posey mit blondem Lockenkopf.