Erstellt am: 6. 11. 2016 - 20:20 Uhr
FM4 Schnitzelbeats #2: Austro-Exotika
FM4 Schnitzelbeats
Sonntagnachts im FM4 Soundpark und anschließend für 7 Tage im FM4 Player
Was in Bezugnahme auf österreichische Musikgeschichte allzu häufig übersehen wird, ist die Qualität heimischer Produktionsstätten in der Erzeugung sogenannter "novelty music", also von Tonaufnahmen, die auf abseitige, nicht massentaugliche Nischen der Popkultur zur Eroberung eines kleinen Publikumssegments setzten. Im Sinne unseres alternativen "Schnitzelbeat"-Gegenentwurfs zur etablierten "Austropop"-Historie widmen wir uns heute einem in Vergessenheit geratenen Subgenre des heimischen Nachkriegsschlagers, das man in der Retrospektive mit der Bezeichnung "Austro-Exotika" versehen könnte.
Zum Geleit: Exotika (in der englischen Schreibweise Exotica) war in ihrer ursprünglichsten Variante instrumentale Gebrauchsmusik, die sich Mitte der 1950er Jahre in den USA vom Jazz abgeleitet hatte und insbesondere in der Erschaffung künstlicher Paradiese und Phantasmagorien neue Maßstäbe setzte: Farbenfrohe Orchestrierungen und experimentelle Arrangements mit lateinamerikanischen oder afrikanischen Rhythmen standen an der Tagesordnung und entführten die HörerInnenschaft in unbekannte Ferne.
Der illustrative Charakter des Exotika-Sounds wie auch die Vermarktungsstrategien, die die jeweiligen Produktionen begleiteten, ließen hingegen keinen Zweifel an seinem Naheverhältnis zu einschlägiger B-Movie-, Pulp- und Exploitationkultur und brachten die Kassen zum Klingeln: Voodo Suite, Ritual Of The Savage, Taboo, Voice Of The Xtabay, Moon of Manakoora, um nur einige der erfolgreichsten Hits des kurzlebigen Genres anzusprechen.
Verglichen mit den opulenten Exotika-Instrumentalkulissen aus den USA, ging man in Österreich zeitgleich etwas sparsamer zur Sache: Anno 1955 hatte die Durchschnittsbevölkerung nur selten Geld, um sich auf Safari zu begeben oder die Inselwelt des Pazifik zu bereisen, und hatte – 10 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs – noch gänzlich andere Sorgen. Man sehnte sich nach besseren Zeiten und Urlaub vom grauen Alltag, was die heimische Musikproduktion allegorisch in Form von frei imaginierten Exotika-Themen reflektierte. Die großen Erfolge aus dem Katalog von Harmona 3D, dem profiliertesten österreichischen Pop-Label der Nachkriegszeit zollten dieser Begehrlichkeit jedenfalls in beachtlichen Umfang Tribut: El Bayon, Jasmin aus Santa Monica, Wenn die Sonne scheint in Texas, Sambesi, In der Arena von Guayaquil, Montevideo, Fern am Strand von Samoa.
Schnell und aufwendig in kleinen Studios produziert, fluteten diese Songs nahezu im Wochentakt den heimischen Markt und frequentierten noch bis in die frühen 1960er Jahre das hiesige Radioprogramm. Ein Stück der großen weiten Welt zum Preis einer Single-Schallplatte.
Die 3 Spitzbuben
Die 3 Spitzbuben
Die Wiener Heurigen-Comedians Die 3 Spitzbuben (hier als 3 Spitzbuam) machten sich im Jahr 1958 einen Spaß aus der Sache und veröffentlichen einen eigenen Antwortsong auf die grassierende Exotika-Welle. In der Bodega von Langenlois wurde zu einem ihrer ersten Hits und erfreute sich seinerzeit in Jukeboxen österreichischer Wirtshäuser großer Beliebtheit. Aber Achtung: Der Song nimmt sich selber nicht allzu ernst. Im weiteren Verlauf ihrer langen Karriere würden die Spitzbuben übrigens noch öfter parodistisch auf den Kanon zeitgenössischer Popmusik zurückgreifen. Nicht immer ganz geschmackssicher, aber im Sinne der Schaffung relevanter Zeitdokumente heimischer Genre-Entwicklungen von beachtlicher Qualität.
Frank Roberts
Frank Roberts
Unsere Expedition zur Erkundung selten beachteter österreichischer Popgeschichte befördert nun einen gottverlassenen Landstrich auf Kuba zu Tage, wo wir uns inmitten surrealer Sound-Kulissen wiederfinden, in denen uns der Wiener Sänger/Schauspieler/Regisseur Frank Roberts (alias Frits Fronz) freimütig von seinen amourösen Eskapaden erzählt. Der dramaturgische Handlungsbogen von Maloja hinterlässt allgemeine Ratlosigkeit bei seiner HörerInnenschaft:
Alkoholgeschwängert gerät die heißblütige Nachkriegs-Romanze mit einer ortsansässigen Barschönheit auf Abwege, bis ein Nebenbuhler schließlich sein Leben lassen muss. Gleichzeitig dekonstruiert der Song sein eigenes Format und würde (in einer längeren Fassung) auch als expressionistisches Hörspiel gute Figur machen. Der bedrohlich wirkende Sprechgesang des Allround-Künstlers Frank Roberts, der hier in die Rolle eines übergeordneten Ich-Erzählers schlüpft, tut sein Übriges: "Maloja" ist Exotika-Trash am Schlager-Abgrund und eine Perle des guten schlechten Geschmacks!
Die Bambis
Die Bambis
Zum Abschluss begegnet uns die einflussreichste österreichischen Tanz-Formation der frühen 1960er Jahre: Die Bambis, die als erste heimische Band mit Beat-Musik kommerzielle Erfolge feierte und im Jahr 1964 mit ihrem Lamourhatscher "Melancholie" sogar "A hard day's night" der Beatles vom Spitzenrang lokaler Hitparaden verdrängen konnte. In ihren Anfangsjahren spielten die Bambis noch harten Rock'n'Roll und verarbeiteten in ihren Live-Shows auch gelegentlich Exotika-Themen, die sie bei Engagements in halbseidenen Nachtclubs aufgeschnappt hatten.
FM4 Schnitzelbeats
Sonntagnachts im FM4 Soundpark und anschließend für 7 Tage im FM4 Player
Die B-Seite ihrer zweiten Single Inka City aus dem Jahr 1963 ist eine Adaption des "Taboo"-Themas aus der Feder des kubanischen Orchesterleiters Ernesto Lecuona und kann rückblickend als einer der umwerfendsten Belege für die Existenz eines eigenständigen österreichischen Exotika-Sounds firmieren. Innerhalb einer Stunde in einem kleinen Wiener Studio live auf Band konserviert, hat sich die 7"-Platte über die Jahre zum gesuchten Kleinod weltweit ansässiger Plattensammler und DJs (mit Faible fürs Extraordinäre) entwickelt und darf freilich auch im "Austro-Exotika"-Special der FM4 Schnitzelbeats nicht fehlen.