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Christoph Sepin

Pixel, Post-Punk, Psychedelia und sonstige Ableger der Popkultur

6. 11. 2016 - 14:54

These Systems Are Failing

Moby im Gespräch über sein neues Album, das niemand hören soll, seine Berühmtheit und Kanye West.

Man mag gar nicht glauben, dass man da gerade eine neue Moby-Platte hört, wenn man in "These Systems Are Failing" reinhört. Aber tatsächlich: Moby & The Void Pacific Choir steht da drauf. Das neue Album des US-Musikers ist laut, schnell und verzerrt, erinnert teilweise an elektronische Digital-Hardcore-Musik, dann wieder an spätere Arbeiten von Gary Numan.

MANIFESTO > THESE SYSTEMS ARE FAILING
in the beginning we needed things.
and if you had things you were happy. you were fed. you survived.
the things saved us. food. weapons. shelter.
but, after eons, we won.
the old deaths had left us alone. our ancestors died of rotten teeth and starvation, wild animals and disease.
they pushed back, and they won.
but we kept going.

we kept eating as if we were about to starve.
we keep fighting even though the old enemies are gone.
we kept killing nature even though we're killing ourselves.
we built great cities. great industries. great systems.
these systems were supposed to feed us, but instead they've killed the animals, the land, and us.

these systems were supposed to protect us, but instead they've poisoned our air, our water, us.
these systems were supposed to serve us.
but instead they're killing us.

we're still acting as our ancestors acted. grasping for food. destroying nature. killing animals and each other.
sustaining systems that haven't worked in a long time.

these systems are killing us.
these systems are killing everything.
these systems are failing.
moby & the void pacific choir
These Systems Are Failing.

Nur einen Monat bevor "These Systems Are Failing" veröffentlicht wurde, ist das Album überhaupt angekündigt worden. Viel Promo wurde auch nicht darum gemacht, stattdessen veröffentlichte Moby ein Manifest, das den Namen des Albums teilt. Die Gier der Menschen wird darin angeprangert, die Zerstörungswut und das System, das nicht funktioniert. Im Gespräch erklärt Moby, wie es zu "These Systems Are Failing" gekommen ist.

Moby

Eleanor Stills

Das Album ist aus dem Nichts gekommen und klingt auch ganz anders als deine meisten anderen Veröffentlichungen. Hast du geplant mit den Erwartungen der Leute zu spielen?

Moby: Ich glaube, das war ein glücklicher Zufall. Ich würd gern cleverer klingen, als ich bin, und sagen, ich wollte mit den Erwartungen der Leute spielen. Aber im Ernst: Ich wollte einfach nur ein schnelles Album aufnehmen. Ich bin ein 51-jähriger Mann, der Alben aufnimmt, in einer Zeit, in der Leute keine Alben mehr hören. Der Großteil der Genugtuung muss einfach daraus kommen, eine Platte zu machen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es da ein Publikum dafür gibt, und erst recht nicht, dass Leute das Album kaufen werden. Ich bin einfach glücklich, weil es mir Spaß gemacht hat, das Album zu machen.

Also ist das die Platte, die du jetzt einfach machen wolltest, egal wer was drüber sagt?

Ja, irgendwie schon. Ich hab mir sehr viel Post-Punk-Musik aus meiner Jugend angehört, bevor ich das Album gemacht habe. Alles von Killing Joke bis zu The Damned und den Buzzcocks und XTC. Und mir ist aufgefallen, dass es sehr viel energievolle, passionierte Musik gegeben hat, als ich aufgewachsen bin. Und irgendwie höre ich die heute nicht. Wer ist The Clash von 2016? Ich sag nicht, dass ich das bin. Aber als ich 16 Jahre alt war, wollte ich einfach nur passionierte Musik hören, die aufregend war und voll mit Emotionen, und ich weiß einfach nicht, wo das heute ist.

Warum gibt es heutzutage keine Bands wie The Clash oder die Sex Pistols mehr?

Teilweise glaube ich, dass Medien sehr demokratisch, aber auch sehr zerstreut sind. Jede Person mit einem Telefon und einem Computer ist ein Medienoutlet. Der Fokus war auf ein oder zwei TV-Sendern, ist aber jetzt so verbreitet, dass es selten ist, einen Charakter zu finden, den jeder kennt - ausgenommen jemand wie Kanye West ab und zu. Ich wohne in Los Angeles und da gibt es so viele Stars, von denen noch nie jemand gehört hat. Das sind riesige Celebrities in der Gaming Community auf Youtube oder Vine. Ich garantiere dir, ich hab noch nie von denen gehört, du hast noch nie von denen gehört. Diese Zerstreuung der Medien hat dazu beigetragen, dass wir so große Leute 2016 nicht mehr haben.

Alles ist in kleine Gruppen zerstreut und dreht sich zentral ums Telefon. Wie richtig laute Introversion. Man schaut sich still etwas am Handy an, aber in der eigenen Blase ist die Person eine gigantische Celebrity.

Laute Introversion, genau das ist es. Zum derzeitigen Klima, über das du sprichst: Vor fünfzehn Jahren hat es noch ein großes Publikum gegeben, wenn ich ein Album veröffentlicht habe. Und ich bin da drin gefangen gewesen und hab die Aufmerksamkeit und den Fame geliebt. Und jetzt ist das zum Großteil nicht da. Und ich finde das schön und befreiend. Wenn du ein großes Publikum hast, dann kann das deine Integrität gefährden. Auf eine seltsame Weise bevorzuge ich, Musik im Jahr 2016 anstatt 2000 zu machen.

Ist das für dich persönlich einfach so oder auch weil sich die Gesellschaft verändert hat?

Ich bin persönlich einfach glücklicher damit, Musik zu machen oder Bücher zu schreiben und keine großen Erwartungen zu haben. Diese Platte zu machen habe ich geliebt. Aber ich erwarte nicht, dass sie sich verkauft oder Leute sich überhaupt dafür interessieren. Irgendwie ist das gar nicht das Ziel.

Du hast ein politisches Manifest mit dem Album veröffentlicht, das den Albumtitel erklärt. Ich mag diese eine zentrale Botschaft, dass die Menschheit irgendwie gewonnen hat, aber nicht aufgehört hat und immer mehr haben wollte. Woher kommt dieses innere Bedürfnis immer mehr zu wollen?

Kennst du die Geschichte von dem japanischen Soldaten, der auf einer Insel verschollen war und nicht wusste, dass der 2. Weltkrieg zu Ende war? Die haben ihn in den 50er Jahren gefunden und ihm erklärt, dass der Krieg schon lang zu Ende war, er aber trotzdem weitergekämpft hat. Da sind wir als Spezies auch: Wir wachen jeden Tag auf und denken wir werden verhungern, obwohl es jede Menge Essen gibt. Oder Leute wachen auf und wollen jemanden erschießen, weil der sie mit dem Auto geschnitten hat. Im Prinzip ist das vererbt.

Unsere Beziehung zur Welt war ewig lang eine feindliche, für unsere menschlichen und nichtmenschlichen Vorfahren. Obwohl wir, zumindest im Westen, jede Menge Essen haben und Leute uns eigentlich nichts antun wollen, wachen wir trotzdem jeden Tag wie Höhlenmenschen auf. Und eine der wenigen Möglichkeiten, wie wir uns retten können, ist, dass wir eine faktenbasierte, rationale Beziehung zu unserer Umwelt aufbauen. Wir kämpfen immer noch wie Höhlenmenschen, obwohl wir die Höhle schon vor einer Ewigkeit verlassen haben.

Welche Rolle spielt dein Album in dem ganzen Zusammenhang?

Die zwei Dinge, die ich von einem Album haben will, sind der Spaß, das zu machen, und die Möglichkeit, interessante Unterhaltungen darüber zu haben, was mir wichtig ist. Und deswegen macht das auch mehr Spaß, ein Album 2016 zu veröffentlichen. Weil das einzige, was ich von Leuten will, ist eine Konversation.

Das Album ist aber trotzdem musikalisch interessant und einzigartig geworden.

Irgendwie wäre es fast enttäuschend, wenn das Album erfolgreich werden würde. Ich mag es irgendwie, wenn Leute mir nicht viel Aufmerksamkeit schenken. Ich hatte einen Moment in meinem Leben, in dem ich Berühmtheit viel zu ernst genommen habe. Wir leben in einer Kultur, vor allem in Los Angeles, in der Leute unglaublich gern berühmt wären. Aber Berühmtheit zerstört Menschen. Wenn jemand berühmt wird, sollte der ein Handbuch kriegen, das einem Tipps gibt, wie man nicht schrecklich wird.

Moby These Systems Are Failing

Little Idiot

"These Systems Are Failing" von Moby & The Void Pacific Choir ist auf Little Idiot erschienen.

Los Angeles ist ja auch eine Stadt, die den eigenen Sinnfindungsprozess beschleunigt, weil man immer mit der ganzen Oberflächlichkeit konfrontiert ist.

Ja, das stimmt. Auf der einen Seite gibt es in L.A. jede Menge Oberflächlichkeit, auf der anderen Seite aber auch viel Spiritualität und Authentizität. Und diese beiden Seiten funktionieren irgendwie miteinander. Eine Art, wie ich versuche, keine Fehler zu machen, ist, andere Leute zu beobachten, die Fehler machen.

Ich muss aufpassen, wie ich das jetzt sage, damit ich keinen Streit anfange, aber wenn ich mir zum Beispiel Kanye West ansehe: Der hat so viel Geld und ist so berühmt, wirkt aber nie besonders glücklich. Oder Musiker, die älter werden und wütend und bitter und sich an ihrer Jugend und ihrem Fame festklammern. Die Frage ist: Warum tut man sich das an, wenn das einen nur unglücklich macht? Irgendwie ist es einfacher, das an anderen Leuten zu sehen. Und ich frage mich selbst: Mache ich das auch? Bin ich im selben Prozess, der mich unglücklich macht? Und falls ja, vielleicht ist es Zeit damit aufzuhören.