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Sophie Liebhart

Alltagsgeschichten, Gesellschaftspolitik und kuriose Trends. Egal ob von weit weg oder von nebenan.

6. 11. 2016 - 06:00

"Das Internet nimmt uns die Menschlichkeit"

Die Gründerin des Blogs dariadaria, Madeleine Alizadeh, im Interview über Hass im Netz und darüber, wie sie die Kontrolle nun wieder selbst in die Hand nehmen will.

Immer häufiger hatte die Bloggerin Madeleine Alizadeh von dariadaria in den vergangenen Monaten mit aggressiven und untergriffigen Kommentaren im Netz zu kämpfen. Doch damit ist jetzt Schluss. Vor rund einer Woche gab sie bekannt, Kommentare auf Facebook von nun an streng zu moderieren und die Kommentarfunktion auf ihrem Blog vorerst komplett zu deaktivieren. Ein Interview über diesen radikalen Schritt und den Wunsch nach einer neuen Diskussionskultur im Netz.

Sophie Liebhart: Beim Lesen von deinem Blogeintrag mit dem Titel "Ein Ende und ein Neuanfang" bekommt man das Gefühl, du hast dir über dieses Thema schon sehr lange Gedanken gemacht. Was war letzten Endes ausschlaggebend für dich, diesen Eintrag zu schreiben?

Madeleine Alizadeh: Es gab keinen wirklich ausschlaggebenden Grund. Ich glaube, es hat sich einfach alles summiert und war dann zu schwer, um es noch mit mir herumzutragen.

Madeleine Alizadeh bei uns im Studio

Sophie Liebhart

Madeleine Alizadeh alias dariadaria

Was hat sich da so aufgestaut?

Es waren über die Jahre hinweg immer mehr Hass, mehr Aggressivität, mehr Untergriffigkeit, immer mehr negative Kommentare, die auch sehr in die Privatsphäre eingedrungen sind. Und es war bei mir dann auch die Erkenntnis, dass da kein konstruktiver Diskurs stattfinden kann.

Was war für dich die Kernaussage, die du in diesem Text rüberbringen wolltest?

Die Kernaussage ist, dass wir wieder eine Diskussionskultur lernen müssen. Wir müssen lernen, respektvoller miteinander umzugehen, und Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, wieder ein bisschen menschlicher behandeln. Auch wenn das Internet uns diese Menschlichkeit ein bisschen nimmt.

Welche Reaktionen auf diesen Eintrag haben dich denn am meisten gefreut? Und gab es auch welche, die dich geärgert haben?

Der Großteil, also, ich würde sagen, 99 Prozent waren positiv, wirklich tolle, liebe und unterstützende Kommentare. Ich hatte ziemlich viel Angst vor der Entscheidung, weil ich nicht wusste, wie die Leserschaft darauf reagieren wird. Aber sehr viele Menschen haben mich verstanden, weil sie beobachten konnten, was sich in den letzten Monaten so abgespielt hat. Es gab natürlich auch ein paar negative Kommentare, ein paar, die gesagt haben, ich hab das nur als Marketing- oder PR-Gag gemacht und es ist sowieso alles fake, was ich mache. Aber die hab ich dann blockiert und ganz nach meiner neuen Regel ausgeblendet.

Du hast entschieden, die Kommentare auf Facebook sehr hart zu moderieren und dort, wo du es kannst, ganz zu deaktivieren. Das heißt, du nimmst die Kontrolle wieder mehr selbst in die Hand. Wie fühlt sich das für dich an?

Für mich war dieser Schritt total befreiend. Ich bin jetzt viel freier in meiner Arbeit und in meinem kreativen Vorgehen und ich blockiere mich selbst nicht mehr aus Angst, dass ich in der Luft zerrissen werden könnte. Ich habe auch gemerkt, dass Kritik inzwischen konstruktiver und freundlicher formuliert ist. Natürlich gibt es ein paar, die Wutanfälle bekommen haben, weil sie blockiert worden sind. Aber das ist auch ok.

Was sagst du Kritikern, die dir vorwerfen, dass du Menschen den Mund verbietest?

Ich würde ihnen sagen, dass sie zu einem gewissen Teil recht haben, ich verbiete gewissen Menschen den Mund und nehme ihnen das Recht, etwas zu sagen. Aber nur, weil sie es eben nicht schaffen, ihre Meinung nett und höflich und konstruktiv zu formulieren.

Du hast es vorher schon angesprochen: Du hast immer wieder sehr viele negative Postings und Hasspostings bekommen. Wie fühlt sich das an, wenn da so viel Kritik auf einen hereinprasselt?

Das Problem ist ja beim Blogger im Gegensatz zum Journalisten, dass ich nicht nur als Name am Ende eines Artikels stehe und eben kein ganzes Medienhaus hinter mir habe. Ich muss nicht nur mit ein paar bösen Leserbriefen rechnen, die ich vielleicht gar nicht zu Gesicht bekomme. Sondern es ist wirklich Kritik gegen meine Person, gegen all das, was ich geschaffen habe, auch gegen Freunde und Familie. Und das ist das, was so hart ist und einen natürlich trifft. Weil es keine Kritik an dem Sachverhalt ist, sondern an der Person selbst. Es ist sehr schwer, sich diese persönliche Kritik nicht zu Herzen zu nehmen.

Hast du generell das Gefühl, dass es im Netz immer mehr Hass gibt?

Ich habe das Gefühl, es multipliziert sich momentan extrem. Im Sommer, beziehungsweise im Frühjahr, als die Wahlen und dann die Wahlwiederholung war, habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass es so ein bisschen eskaliert ist. Gerade wenn man sich ein bisschen politischer positioniert. Ich habe das Gefühl, das Internet ist ein Ventil für sehr viel Hass und Aggression geworden und der Diskurs findet nicht mehr so sehr im echten Leben statt, wo man die Möglichkeit hat, zum Beispiel Blickkontakt zu haben. All das verlagert sich immer mehr ins Internet und ich glaube, dass da nichts Gutes dabei rauskommt.

Wie sollte denn deiner Meinung nach der Austausch mit deinen Lesern und Leserinnen im Idealfall stattfinden?

Es gibt so ein paar Kriterien, die konstruktive Kritik erfüllen muss, und da ist natürlich am wichtigsten, dass es nicht eine persönliche Kritik ist, sondern eine Kritik am Sachverhalt oder an dem Thema. Wir arbeiten sehr viel mit Schuld im Zusammenleben und vor allem im Internet. Und mit Schuldzuweisungen funktioniert es nicht. Kriterien wie diese müssten erfüllt werden. Das wäre, glaub ich, wichtig.

War das zu einem Teil auch die Überlegung, hier ein Zeichen zu setzen und die Leute wieder daran zu erinnern?

Absolut. Es war auf der einen Seite ein Schrei um Hilfe oder ein sehr ehrliches "Ich pack das einfach nicht mehr" und auf der anderen Seite auch ein "So, ich stelle jetzt die Regeln auf und ich nehme die Kontrolle in die Hand".

Du hast einmal in einem anderen Beitrag die Metapher von einem Shitsandwich verwendet. Was meinst du damit?

Das ist ausgeborgt aus dem Buch "The Big Magic" von Elizabeth Gilbert. Da geht es darum, dass man in jedem Job ein Shitsandwich hat, in das man reinbeißt – also quasi die negativen Seiten des eigenen Jobs. Und bei mir ist das Shitsandwich eben, dass sehr viele Menschen in mein Privatleben eindringen wollen und sehr, sehr gemein und fies sein können. Dazu gehört aber auch, dass man dieses Shitsandwich nicht immer akzeptiert. Natürlich wird das nicht allen Leuten gefallen. Ich bin aber keine öffentliche Einrichtung oder eine Bildungseinrichtung. Ich bin einfach nur eine Bloggerin und schreibe einen Blog. Das heißt, am Ende des Tages ist die Entscheidung immer noch mir überlassen.

Du hast in einem deiner Videos einmal gesagt: "Ich bin nicht eure Freundin. Ihr kennt mich nicht." Einerseits funktioniert ein Blog aber schon, weil die Leute denken, dich zu kennen. Andererseits ist es für dich wichtig, eine gewisse Distanz zu wahren. Wie schafft man da die richtige Balance?

Das ist eine sehr gute Frage. Das ist eine extreme Gratwanderung, der man jeden Tag ausgesetzt ist. Natürlich möchte ich persönlich bleiben und möchte weiterhin mit meiner Identität im Vordergrund stehen. Denn nur so kann man auch wirklich Veränderung vorantreiben. Gerade weil sich viele Menschen mit mir identifizieren können, fallen ihnen viele Entscheidungen im Alltag leichter. Also dass sie zum Beispiel Öko-Mode kaufen oder auf ihren Müllverbrauch achten. Viele Themen, die ich anspreche, könnte man über klassische Medien gar nicht so gut transportieren. Deswegen ist auch das Engagement sehr gut. Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass man auch ein Privatleben hat und nur einen kleinen Bruchteil dessen auf dem Blog preisgibt. Da muss man dann auch einfach immer wieder diese Grenze aufzeigen und sagen: Hey, ich bin die Maddie, ich mache eine Blog. Ich stelle da Inhalte ins Internet, ihr seht vielleicht mehr Privatleben von mir als von anderen Personen, aber ich bin nicht nur online am Leben. Ich bin auch privat am Leben und ihr kennt mich einfach nicht.