Erstellt am: 3. 11. 2016 - 17:55 Uhr
Oval im Interview
Portrait und Album-Review hier im FM4-Player.
Wer kann schon von sich behaupten, ein Musikgenre erfunden zu haben? Markus Popp kann. Mit dem Trio Oval definierte der Berliner in den 90er-Jahren das Genre Glitch als Nebenerscheinung der Clicks & Cuts-Bewegung. Das Rattern von Festplatten oder das digitale Stöhnen zerkratzter CDs wurde plötzlich zur Soundquelle für Tracks. Im Englischen bedeutet das Wort Glitch Panne oder Störung.
Nana Asase
Für das 1995 erschienene Album „94 Diskont“ wird Markus Popp noch heute weltweit von Freunden experimenteller elektronischer Musik verehrt. Mittlerweile werkt er als Solokünstler auf seinem eigenen Label Uovoo. „Popp“ heißt sein neues OEuvre. Während die frühen Arbeiten eher in ruhigeren Soundgewässern plätscherten, ist auf „Popp“ ordentlich was los: Die Tracks hören sich an, als würde Oval die Clubkultur der letzten Jahrzehnte im Fast-Forward-Modus an uns vorüberrauschen lassen und das auf mehreren Ebenen gleichzeitig.
Auffällig ist die euphorische Grundstimmung der 11 Tracks. „Popp“ lässt die Synapsen raven und die sich morphenden Stimmen im Kopf jubeln. Wie man dazu tanzen kann, muss wohl erst noch erforscht werden. Markus Popp will sein neues Oval-Album jedenfalls als Club-Musik verstanden wissen und nicht als eine experimentelle Versuchsanordnung. Das folgende Interview führten wir in seiner Berliner Wohnung.
Lehner: Haben Sie bereits als Kind mit Computern Musik gemacht?
Popp: Vielleicht hat das sogar mit Videospielen begonnen. Richtig losgegangen ist es aber erst mit dem Homecomputer, wie man das damals genannt hat.
Das war wohl dann in den 80er-Jahren. Die Frage damals: Commodore 64 oder Atari ST?
Atari ST! Der hatte eine Midi-Schnittstelle und dadurch eröffneten sich so einige Möglichkeiten. Dazu kam Cubase, das war einer der ersten Sequencer. Es ist ein grafisches Interface. Man kann ein Stück Musik von links nach rechts arrangieren, direkt sichtbar am Bildschirm. Damals war das für mich eine Sensation. Damit habe ich jahrelang gearbeitet.
Was war denn interessanter: die Klänge, die da rauskamen, oder der Prozess, der diese Klänge möglich machte?
Beides. Ich habe viel mit Samplern gearbeitet. Synthesizer interessieren mich hingegen bis heute nicht. Beim Sampling sind die Klänge frei definierbar. Mich hat gereizt, den Sampler so zu benutzen, wie es vorher noch niemand getan hat. Der Prozess war also von Anfang an wichtig. Bei frühen Interviewfragen zur Musik habe ich immer geantwortet, dass ich lieber über Interfaces und Hardware sprechen möchte und welchen Einfluss sie auf die Kreativität haben können und werden.
Ist das Ihr kreativer Impuls, Dinge auszuprobieren, die man vorher so noch nicht gemacht hat?
Ich würde nicht sagen, dass ich ständig etwas Neuem auf der Spur bin, aber ich versuche es. Ich setze mich auch mit Richtungen und Genres auseinander, die ich überhaupt nicht beherrsche. Ich arbeite zum Beispiel mit südamerikanischen Musikern zusammen, ohne etwas über südamerikanische Musik zu wissen. Mein neues Album ist ein Club-Album, dabei gehe ich nie in Clubs.
Sie gelten mit ihren damaligen Partnern bei Oval (Sebastian Oschatz, Frank Metzger, Anm.) als die Erfinder des Glitch-Genres. Was war denn die Idee dahinter?
Ganz einfach: wir wollten nicht langweilig sein, die Prozesse offenlegen und wir wollten uns selbst überraschen. Selbst wenn du mit einem Sampler arbeitest, führt das zu relativ vorhersehbaren Resultaten. Wenn man aber zum Beispiel eine CD, die damals der Datenträger Nummer 1 war, manipuliert und dem Laser des Players das Komponieren eines Fragments oder einer Hook überlässt, dann war das für uns einfach interessanter, als mit den vorgegebenen Parametern und Skalen zu arbeiten und traditionelle Songs und Tracks zu komponieren.
OUVOOO
Vinyl war und ist ein Tonträger, der den Fehler quasi in sein Material eingeschrieben hat. Man hört die Plattennadel rauschen und irgendwann sind dann die Kratzer drin. Die CD hingegen ist eine filigrane, antiseptische Scheibe, die man äußerst vorsichtig behandelt und die so ein klinisch perfektes Klangerlebnis liefert. Wollten Sie damals diesen Nimbus brechen?
Nein, Glitch war keine Anti-Musik und auch keine experimentelle Musik. Die Stücke auf den frühen Oval-Alben waren eigentlich Songs. Die waren bloß aus den größtmöglich unwahrscheinlichen Bausteinen zusammengesetzt. Nachdem der Laser des CD-Players die Fragmente geliefert hatte, haben wir die Tracks ganz klassisch im Computer arrangiert.
Seit Anbeginn der Popmusik sorgen „happy accidents“ immer wieder für Innovationsmomente. Der Distortion-Sound geht angeblich auf einen beschädigten Gitarrenverstärker zurück. Dieser war Ike Turner vom Dach seines Autos gefallen. Sein Produzent, der Elvis-Entdecker Sam Phillips, fand den Sound des beschädigten Verstärkers so interessant, dass er ihn unbedingt in der Aufnahme haben wollte. Arbeiten Sie auch mit happy accidents?
Ja, die haben schon eine Rolle gespielt. Es war eine Mischung aus happy accidents und dann vielleicht doch einer kleinen Anti-Komponente, im regulären Bereich einfach nicht mitspielen zu wollen. Als Hörer bin ich allerdings nicht sehr systematisch, sondern sehr emotional. Ich habe mich nie mit der Geschichte der Störgeräusche im Pop auseinandergesetzt. Ich lasse Musik, die mir gefällt, einfach auf mich wirken und weiß dann meistens auch gar nicht so viel darüber.
Sie haben 2010 Oval als Soloprojekt wiederbelebt. Die Musik auf dem Comeback-Album „O“ klang dann auch anders. Sie waren viel präsenter.
In den 90-ern habe ich versucht, den Prozess in Musik zu übersetzen. Da habe ich das subjektive Element total zurückgefahren. Das war natürlich schon da, aber es ging um andere Themen. Schon Jahre vor „O“ hatte ich begonnen, an einem anderen Ansatz zu arbeiten, der umgekehrt die Subjektivität in den Vordergrund rückt. Da ging es dann um ganz andere Kategorien, wie etwa Komposition, Improvisation und den Klang von echten Instrumenten. Das Album fühlte sich an, als ob es von einer Band eingespielt worden wäre. Technisch war es aber noch immer dasselbe wie früher. Auch diese Tracks wurden wieder im Computer zusammengebaut. Es klang nur organischer. Bis heute werde ich immer wieder auch von Profimusikern gefragt, wer denn auf diesem Album Schlagzeug gespielt hat, dabei war das alles Software.
Mit welchen Mitteln arbeiten Sie heute?
Das Schöne an der Beschäftigung mit elektronischer Musik ist ja, dass man sich manchmal einfach zurücklehnen muss und warten kann, weil sich um einen herum wahnsinnig viel von allein verändert. Im Vorlauf von „O“ habe ich sechs Jahre nur beobachtet, wie der subjektive Ansatz, den ich als Idee formuliert hatte, in der Praxis zustandekommen könnte. Die Liste an Dingen, die ich ausprobieren wollte, wurde durch die technische Entwicklung immer kleiner. Ich verwende heute nur noch einen Laptop. Das ist meine Black Box. Live benutze ich Controller, damit ich die Musik auch verändern kann, also Fader und so Sachen. Was wir am Club-Album hören, ist eine Live-Session. Es ist jeweils eine Variante eines Tracks, der live von mir eingespielt wurde. Der könnte auch völlig anders klingen. Wichtig sind die Grundelemente, die ich mir vorher zurechtlege.
Warum sind die Stücke so kurz? Keiner dieser Tracks dauert über viereinhalb Minuten. Das ist für diese Art von Musik ungewöhnlich.
Eigentlich ist es ja eine Demo mit 11 Tracks. Wenn ich das Album auf einer Bühne live spiele, ist das dann so ein Kontinuum, ein Jam.
Sie haben jetzt mehrmals von einem „Club-Album“ gesprochen. Warum das?
Das ist einerseits ironisch gemeint, andererseits gar nicht. Das Wort Club steht ja für eine bestimmte Ästhetik. Es ist ein Kontext, in dem Sound stattfindet. Und immer, wenn ich mal wieder nachgeschaut habe, was dort so los ist, war ich überrascht, dass dieser Sound immer noch quasi unverändert existiert - als hätte man die perfekte Formel gefunden. Club-Musik wird so gemacht, performt und rezipiert, als ob man nie wieder darüber nachdenken müsse. Ich meine dieses „Nz, Nz, Nz“ (simuliert 4/4 Bassdrum mit HiHat). Da war ich schon Anfang der Nullerjahre verwundert, dass es das immer noch gibt. Und jetzt, Jahre später, immer noch. Ich habe nun die Idee verfolgt, wie Club-Sound sich entwickeln hätte können und habe quasi eine alternative Timeline geschaffen, ein alternatives Universum.
Und Sie sind fündig geworden ...
Ich habe zumindest eine Variante davon hingekriegt. Ich habe das Album zwei Mal live aufgeführt und das hat ganz gut geklappt.
Die Menschen haben getanzt?
Popp (lacht): Das erste Konzert war bestuhlt, da war nicht so viel mit Tanzen. Das zweite war bei einem richtig großen Festival mit Riesenbühne zu einer Zeit, wo dann in der Regel nur noch der DJ spielt. Die Leute dachten auch, ich wäre ein DJ. Interessant war, dass die Frauen das ganz gut angenommen haben, aber die Männer haben dann manchmal gerufen: „Hey, was is denn mit dem Beat?!“ (lacht) Aber die anderen haben getanzt.
Was beim neuen Album auffällt: Im Gegensatz zu früheren Arbeiten, die eher ruhig und konzentriert waren, ist da jetzt ordentlich was los. Es spielen sich ganz viele Dinge gleichzeitig ab. Die Sound sprudelt richtig.
Man kann die Tracks auf zwei verschiedene Arten hören: Entweder man folgt auf einzelnen Ebenen bestimmten Elementen durch die Zeit, oder man hört die Stücke als Ganzes und ist dann gefangen in so einem Stream von angenehmer Reizüberflutung. Man kann die einzelnen Elemente auf sich wirken lassen, oder sich von einem riesigen Tornado wegfegen.
Die Euphorie und die verwendeten Sounds erinnern an die frühen Tage der Rave-Kultur, als der Dancefloor wieder zum Ort gesellschaftlicher Utopien wurde.
Die Idee war, der Welt etwas rückhaltlos Optmistisches zu schenken, so wie die Welt gerade ist, oder wie sie zu werden droht.
Der offensichtliche Bezug zu aktueller Popmusik rührt aus der Verwendung der Stimmen. Wie im modernen R&B werden diese von Ihnen gemorpht und geswitcht bis sie entkörperlicht wirken.
Stimmen sind sehr suggestiv. Sie dringen tief ein und man schafft damit auch starke Erinnerungswerte. Das passt gut zu dem Club- und Pop-Konzept der Platte. So wie ich sie verwende, kreieren diese Stimmen eine Sprache, die sehr vertraut erscheint, die man aber nicht verstehen kann. Und trotzdem bleibt sie in Erinnerung.
Das Album heißt „Popp“. Gemeint ist wahrscheinlich auch ein gewisser Pop-Appeal - oder wie ist das zu verstehen?
Dieses Wortspiel ist ein bisschen ironisch zu verstehen. „Popp“ ist jedenfalls kein Signatur-Album, wie der Titel vielleicht suggeriert. Es ist vielmehr eine Momentaufnahme, ein Spiel mit einer Ästhetik, mit der ich mich vorher noch nicht auseinandergesetzt hatte. In mein nächstes Album werden wieder ganz andere Stimmungen einfließen . Aber jetzt, wo das mit den Beats auch so gut geklappt hat, ist das eine Momentaufnahme, eine sehr optimistische noch dazu.
Wenn man über Sie im Zusammenhang mit elektronischer Musik liest, stolpert man über Begriffe wie „Innovator“, „Vorreiter“, „Erfinder“. Wie beurteilen Sie selbst Ihre Rolle in der Musik?
Experimentelle Musik hat mich nie interessiert als Hörer. Und auch das, was ich vorgelegt habe, habe ich nie als experimentelle Musik verstanden wissen wollen. Ich habe diese Zuschreibungen natürlich von Anfang an mitbekommen, mein Selbstverständnis war aber immer das von Popmusik. Die war halt immer nur anders, als die Popmusik, die es zum jeweiligen Zeitpunkt gab.
Apropos Zeitpunkt: Sie haben vorhin bereits vom nächsten Album gesprochen. Das klang so, als ob es schon fertig wäre?
Das ist fertig, ja. Ich müsste nur noch ein paar kleine Änderungen vornehmen. Das könnte allerdings noch ein paar Jahre dauern (lacht nicht).