Erstellt am: 14. 11. 2016 - 11:13 Uhr
20 Jahre Placebo, 10 Jahre ich und Placebo.
"Auf Best-Of-Konzerte von Bands sollte man auf keinen Fall gehen", meinte ein Freund zu mir, kurz bevor ich mich auf den Weg in die Wiener Stadthalle zur Show von Placebo gemacht habe. Die Gründe sind schnell erklärt, sagt er, die Musiker haben mittlerweile ihren Zenit überschritten, die Gesichter sind aufgequollen und wirken überanstrengt, die Hits, zu denen wir mit 16 Jahren getanzt haben, auch. Mein Totschlagargument wiederum war, dass Brian Molko und seine wechselnden Bandmitglieder zwar mittlerweile gealtert sind, die Setlist auf einem Konzert zur Feier von zwanzig Jahren (eigentlich 22, denn Placebo wurde als Band schon 1994 gegründet) on stage aber für einen Fan das Beste ist, was ihm passieren kann.
Ich war mit 16, mit 19 und jetzt mit 26 Jahren in der Stadthalle, um mir Placebo live anzusehen.
Außerdem glaube ich, dass dieser eine Freund zu diesem Zeitpunkt sowieso einfach nur neidisch war.
Wenn die Neugierde geschürt wird
Bevor die Show eröffnet wird, spielen The Joy Formidable, die schon Morrissey supporten durften, da aber noch ein bisschen mehr Indiepop als Gitarrengeschrammel geboten haben. Ich war positiv überrascht, dass zur Vorband schon so viele Leute erschienen waren, musste leider aber später feststellen, es sollten nicht gar so viele mehr dazukommen. Die Stadthalle ist - wenn man sie soundtechnisch mit dem Gasometer vergleicht - zwar immer noch die den Wiener Konzertbesuchern sympathischere Location, voll ist sie aber in den seltensten Fällen.
Franz Reiterer
Bevor Placebo unter in den ersten Reihen wohl tosendem, hinten schon eher abgeschwächtem Gejubel die Bühne betreten, wird auf allen großen Screens auf, links und rechts neben der Bühne eine Slideshow zu Ehren von Leonard Cohen eingespielt. Das tut weh, schon in der ersten Sekunde. Und das nicht, weil das Verlustjahr 2016 erneut raues Meersalz in die Wunde streut, sondern, weil diese Geste lieber weniger kitschig als einfache Stage-Ansage Molkos hätte ausfallen können. Weitere Tribute an Verstorbene sollen im Laufe des Konzerts noch folgen.
Jetzt aber Placebo!
Eröffnet wird mit der Videoausstrahlung der 1998 cut version von "Every You Every Me", die erst vor Kurzem aus dem Archiv geholt wurde: die neueste Veröffentlichung von Placebo, "A Place For Us To Dream", eine Doppel-CD, beinhaltet unter anderem dieses kostbare Stück. Zyniker würden hier vielleicht anmerken, es ist ohnehin besser, diesen Wahnsinnssong in dieser Form zu sehen/hören. Wie oft ihn die Band schon live spielen musste? Und wie sehr er ihnen mittlerweile vermutlich auf den Nerv fällt?
Franz Reiterer
"Pure Morning" ist der erste richtige Livesong, Brian Molko und Stefan Olsdal, die einzig immerwährenden Mitglieder der Band, sehen blendend aus. Vielmehr nach Smoothie als nach sonstigen Backstage-Substanzen, die Haare bei Stefan im kessen Iro, bei Brian wieder dunkelschwarz und kurz geschoren. Beim kürzlich stattgefundenen The Cure-Auftritt in Wien wurde vor allem auch die Stimme von Robert Smith hochgelobt, die nach so langer Bühnenpräsenz noch immer glasklar klingt. Brian Molko wird in dreißig Jahren wohl dieselbe Kritik entgegennehmen dürfen.
Franz Reiterer
„Yeah, go on, film the whole show. Watch it at home! It will look like shit."
Brian Molko mag die unzähligen Smartphones, die ihm wieder mal fotografierend, filmend, instagrammend entgegen schauen, nicht wirklich. Noch dazu singt er gleich danach in "Too Many Friends" passend "I got too many friends, too many people, that I’ll never meet, that I’ll never be there for". Wie man sehen kann, hab ich mich trotzdem ein bisschen beschämt überwunden, mir diesen Satz doch noch schnell als Notiz ins Handy zu tippen.
Franz Reiterer
Schnell und gut, etwas ermüdend, wieder zackig
Das Set teilt sich gefühlt in drei Blöcke, einen sehr guten, einen abgeschwächten, fast zu langsamen und einen, der noch einmal wachrütteln soll. Brian Molko kündigt nach dem Ende von "Without You, I’m Nothing" nämlich noch den "dance part" an. Bei besagtem Song folgt die nächste Referenz: Wie bei vielen Songs nutzen Placebo ihre wahnsinnig umfangreich und aufwendig inszenierte Screenshow, um Bilder und Videoaufnahmen des verstorbenen David Bowie zu zeigen.
Diesmal aber in viel relevanterem Zusammenhang als vormals mit Leonard Cohen, weil Brian Molko die Ballade 1999 mit Bowie eingesungen hat.
Franz Reiterer
Zweimal kommt die Band zurück auf die Bühne, und es ist nicht die letzte Zugabe, die Kate Bush-Coverversion von "Running Up That Hill", die mir die Gänsehaut aufstellt. Nach dem galoppierend-wunderbaren "Nancy Boy" (nach "Bitter End" wahrscheinlich die beste Performance des Abends) kommt "Infra Red", ein relativ neuer Song, 2006 auf dem Album "Meds" veröffentlicht. "There is no running that can hide you / cause I can see in the dark". Die Zeile kennen wir, aber noch nicht in Kombination von riesigen, karikaturistischen Trump-Zerrbildern, die da plötzlich zuckend im Hintergrund aufleuchten. Zuerst bin ich mir nicht ganz sicher, aber ja, er ist es. Als der Song schon zu Ende ist, flackert noch eine Botschaft auf: "seriously harms you" und so weiter.
Hi Mama, Brian ist wieder da!
Ich habe das Konzert gestern mit einer meiner engsten und längsten Freundinnen besucht, die auch schon bei den letzten beiden Stadthalleterminen mit war. Sie war es, die mir im Alter von 13 Jahren den großartigen Film "Eiskalte Engel" gezeigt hat, das Intro die schon genannte Single "Every You Every Me", fast genauso wie beim heutigen Konzert also, nur ohne schwarzes Cabrio -und ohne Ryan Philippe.
"Special Needs" war das erste Video von Placebo, das ich bewusst auf MTV gesehen habe, "Sleeping With Ghosts" das erste Album, das mir meine Mama fluchend unter den Weihnachtsbaum gelegt hat. Da hat sie noch geglaubt, ihre 14-jährigen Töchter sind endgültig auf dem absteigenden Ast unterwegs, wenn sie sich schon CDs mit so laszivem Titel schenken lassen, geschweige denn Karten für die Show. Mittlerweile bekommt meine Mama fast immer ein Foto von den Konzerten, auf denen ich gerade bin. Sie schiebt dann nämlich die Panik zur Seite, die sie vor solchen Massenveranstaltungen hat. Und sie hat auch verstanden, glaube ich zumindest, wieso es so wichtig für mich war, Placebo da gestern noch einmal, oder wieder einmal, live zu sehen.
Franz Reiterer
Brian Molko kann zwischen den Songs so aufgesetzt und künstlich gewollt Parolen schwingen ("Heute machen wir Spaß!"), dass er es so wahnsinnig super findet, vor einer nur zu zwei Dritteln vollen Halle zu spielen. Er kann "36 Degrees" und "Teenage Angst", diese zwei sehr guten Nummern, in einer gedrosselten "slow version" spielen, was wirklich schade war.
Unabhängig von alldem: Gestern war ich wieder 16. Und solange es dieses Gefühl nicht in kleinen, rosa glitzernden Fläschchen zu kaufen gibt, ist das das schönste Geschenk des Abends.