Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "„Supersonic""

Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

31. 10. 2016 - 18:30

„Supersonic"

Die Oasis-Doku feierte in Berlin Premiere. Mit denkwürdiger Performance „Liam Gallagher liefert eine Karikatur seiner selbst.“

Am Freitag wand sich eine lange, aufgeregte Menschenschlange um das alte Delphi Kino im Berliner Stadtteil Charlottenburg, dem alten Westberlin. In freudiger Erwartung schoben und drängten sich hunderte 30+Menschen gegenseitig ins Foyer des 90 Jahre alten Berliner Filmpalastes. Dabei lief weder ein Blockbuster an noch lud ein lang erwarteter Arthouse-Film mit Starbesetzung zur Premiere. Lediglich die Oasis Dokumentation „Supersonic" wurde hier gezeigt, aber - Sensation! - Liam Gallagher himself würde im Kino sein und nach dem Film zu den Fans sprechen.

Würde der arg launische Sänger wirklich kommen? Und nicht kurz vorher absagen? Alles fieberte dem Kino-Ereignis entgegen und erzählte sich in der Schlange noch schnell die schönsten Britpop-Momente der Neunziger.

Bevor es zum angekündigten Gespräch mit dem Oasis Sänger kommen sollte, musste man natürlich noch den Film ansehen. Der sogenannte „ausführende Regisseur“ Asif Kapadia, bekannt durch das Dokudrama „Amy“ (über Amy Winehouse), hatte wieder viel Material zusammengetragen und der Regisseur Mat Whitecross hatte der Presse versprochen, dass man einen „noch nie dagewesenen Zugang" zur Band erhalten habe. So lehnte man sich voll gespannter Vorfreude im Kinosessel zurück - aber die nächsten zwei Stunden sollten keineswegs wie im Flug vergehen.

Gewiss, es gab lustige Momente, zum Beispiel als die jungen Gallaghers über die feindlichen Brüder „Abel and Cable“ aus der Bibel sinnierten und so den roten Faden des Films legten: Oasis und der ewige Bruderstreit.
Für Oasis-Fans sicher auch schön: die frühen Aufnahmen aus dem Proberaum. Anrührend, wenn Mutter Peggy von ihren unterschiedlichen Buben erzählt - und die beiden wiederum ihre nicht allzu sonnige Kindheit mit einem prügelnden Vater Revue passieren lassen. Der Schwerpunkt von „Supersonic“ liegt jedoch auf dem Zeitraum zwischen 1993 und 1996, den drei Jahren, in denen Oasis von einer unbekannten Band zum Festival-Hauptact wurde.

Oasis

Supersonic

„Ist es der Überdruss an Band-Biopics und Band-Dokus, oder warum ist das alles so ein bisschen langweilig?“ fragte sich die Zuschauerin allerdings schon nach 40 Filmminuten. Es mag am Genre Band-Doku liegen: Kennste eine, kennste alle. Eine Banddokumentation ist strukturell bedingt vorhersehbar und unspannend. Denn innerhalb der immer gleichen Erzählung vom Aufstieg und Fall, Beginn und Ende einer Band, gleichen sich die Stationen.

Da wäre der Anfang: Die begabte Kindheit und Jugend.
Dann der magische Moment: Yeah, wir machen ein Band. Erste Auftritte, Tour-Demütigungen, Drogen und Alkohol, Bandbusgeschichten. Der Schlagzeuger nervt. Dann der erste Erfolg: Irre, wir haben Erfolg, der Erfolg wird größer, der Schlagzeuger nervt immer noch und wird rausgeschmissen. Am Ende war der Erfolg dann entweder zu groß oder kam zu schnell oder zu spät und machte die Musiker kaputt. Freundschaften zerbrechen, die Industrie ist an allem Schuld, die magischen Jahre sind vorbei. Ende.

So ist es auch bei „Supersonic“, darüber hinaus ist die Oasis-Geschichte aber auch ein heiteres Zeitdokument mit vielen netten Sauf- und Raufgeschichten: Wie Oasis mal auf einer Fähre nach Amsterdam eine große Schlägerei anzettelten. Wie Noel Liam mal mit einem Kricketschläger auf den Kopf geschlagen hat. Wie mal auf der Bühne ein Tambourin an Noels Kopf flog. Wie die Band mal mit einem Feuerlöscher ein Tonstudio zerlegte.

Kleine Tourmissgeschicke werden erzählt: Mist! Kokain mit Christal Meth verwechselt! Einblicke in den Produktionsprozess werden gegeben: Manche Songs wurden in 15 Minuten geschrieben, manche Nummer 1 Hits, wurden ganz auf die Schnelle eingesungen,weil die anderen schon beim Fußball gucken waren.

Das Ganze wurde geschickterweise so montiert und von beiden Brüdern kommentiert, als hätten Noel und Liam Gallagher den Film zusammen gemacht. Das ist natürlich nicht der Fall, denn wie jeder weiß sprechen die beiden seit der Trennung 2009 nicht mehr miteinander.

Der Touralltag ist zwischendrin auch lustiges Kasperletheater. Liam verlässt spontan-beleidigt die Bühne, Noel übernimmt die Rolle des Sängers, Liam kommt wieder zurück und will nun doch singen und so weiter und so fort. Da sinniert man dann in den Kinosesseln so vor sich hin, wer jetzt wohl der noch blödere der beiden Brüder, der größere Attention-Seeker, der mit der größeren narzisstischen Störung ist.

Die Musik selbst spielt leider eine eher untergeordnete Rolle im Film und wird recht sparsam eingesetzt. Der Regisseur scheint vor allem zeigen zu wollen, was er alles an Material gefunden hat. Kinderfotos. Videoschnipsel, Backstage-Rumgehampel, Interviewfetzen, Fernsehauftritte. Schlagzeilen in der Yellow Press. Gegen Ende wird es gigantomanisch, ein Helikopter bringt die Band zur Bühne in Knebworth, dem Konzert vor 250 000 Fans. Zwei Tage hintereinander spielen Oasis dort und eine Stimme aus dem Off erklärt, dieses Oasis-Konzert ließe sich rückblickend als „die letzte große Menschenansammlung vor Beginn des Internetzeitalters“ bezeichnen.

Dann ist der Film endlich aus, Applaus brandet auf, und dann kommen sie tatsächlich auf die Bühne vor den roten Vorhang: MTV-Moderator Markus Kavka, Ex-Oasis Musiker Bonehead, einer der Produzenten und der leibhaftige Liam Gallagher im nonchalanten „I don't give a fuck“-Schlendergang.

Liam Gallagher

Christiane Rösinger

Modisch ist Liam Gallagher seinem Stil treu geblieben, trägt ein weites, etwas fadenscheinig wirkendes angestaubtes Köhlermäntelchen mit weiter Kapuze. Schon auf die ersten Fragen hagelt es großspurige Antworten mit vielen „Fucks“ , Shit“ und „You know what I mean?“ - und da sieht man auch gleich wo die Briten im Kino sitzen. Denn nur die lachen an bestimmten Stellen. Die nicht mit der nordenglischen Mundart vertrauten Einheimischen kriegen leider nur die Hälfte des Gesprächs mit.

Was nun folgt ist eine etwa halbstündige denkwürdige Performance die sich vielleicht mit der Floskel „Liam Gallagher lieferte eine Karikatur seiner selbst.“ beschreiben lässt.

Am Anfang ist es noch lustig, der Moderator wischte sich mehrfach Lachtränen aus den Augen. Auch sprachlich eine hochinteressante Peformance, erhöht sich doch die in den Filmdialogen schon ganz ordentliche „Fuck“ -Dichte noch um ein mehrfaches. Liam Gallagher schafft es live nun auch einsilbige Substantive um ein Fuckpräfix, Fucksuffix und einer Fuckzwischensilbe zu erweitern.

Dann aber zerfranst sich die Gallagher-Performance ein wenig in ausufernden philosophischen Betrachtungen über die Zuschauerzahlen von Konzerten mit und ohne Handyverbot. Der Popstar variiert seine eher banalen Bemerkungen in immer wieder neuen Satzellipsen, so wie man es eben von leicht durchgeknallten Typen kennt, die durch fortgesetztes Koksen ihr bisschen Verstand verloren haben, sich aber weiterhin wahnsinnig eloquent und bedeutend finden.

Das ist dann selbst für die Sitznachbarn (Oasis-Fans der ersten Stunde aus Manchester) ein bisschen viel. Zum Glück setzt der Moderator dem Gehampel, Gepose und den Fuck-Anekdoten ein Ende.

Und so ging ein bizarrer Kinoabend mit dem Bewusstsein zu Ende, dass eine ausbleibende Oasis-Reunion nicht unbedingt das allergrößte Desaster wäre.