Erstellt am: 2. 11. 2016 - 16:46 Uhr
Glaube an die Vielfalt
Vor sechs Jahren hat es sich schon angebahnt. Anfangs war es für den Musiker und Songschreiber Martin Rotheneder nur ein undeutliches, inneres Gefühl.
Christoph Haiderer
"Ich habe das Licht gesehen, bevor ich überhaupt erst den Tunnel gesehen habe", meint Martin scherzhaft. Aus diesem unbestimmten Gefühl heraus hat sich eines Abends vor eineinhalb Jahren in einem Backstageraum eine Songskizze entwickelt. Mit zuviel Zeit, einer unstimmbaren Akustikgitarre auf dem Schoß und einer Batterie als Slide-Ersatz ist das großartige, zerbrechliche und berührende Stück "In Between The Noise" entstanden, das den Sound des neuen Projekts Soulitaire vorgeben sollte.
Mit seinem Smartphone auf dem Korpus der Gitarre und mit weichem Timbre singt Martin über das Gefühl, ganz im Moment zu sein und das Leben zu spüren. Es kratzt, knarzt, scheppert und schwingt im Raum, während sich die Stimme über die schönen, knöchernen Akkorde erhebt. Und schon war sie geboren, die lang gehegte Herzensangelegenheit von Martin Rotheneder.
Sex und Kuscheln in einem
Wir haben ihn als Songschreiber und Sänger Ben Martin kennengelernt. Auch mit seiner Elektronik-Pop-Band I Am Cereals, gemeinsam mit Bauchklang-Mann Gerald Huber-Weiderbauer, hat er musikalisches Geschick wie auch harmonischen Geschmack bewiesen. Sein Projekt The Black Riders mit Schlagzeuger Michael Prowaznik war ein Wüstenausritt in staubige Rock- und Country-Gefilde, wobei hier auch schon der Hang zur Reduktion hörbar geworden ist.
Martin Rothenender/Violet Noise Records
Diese ganzen Erfahrungen kommen Martin nun zu Gute, denn obwohl Soulitaire wie eine Band klingt, ist es ein Ein-Mann-und-seine-Gitarre-Projekt. Durch dumpfe Schläge mit dem Daumen auf den Korpus erzeugt Martin eine Bass-Drum, durch Klopfen der Finger auf die Saiten eine Snare-Drum, dazu kommen live eingesetzte Effektpedale wie Hall oder Verzerrung und das ganze kombiniert der Virtuose dann noch mit meisterhaftem Finger-Picking. Dabei gilt die Regel: Alles muss live ohne Computerunterstützung auf der Bühne spielbar sein. Somit hat Martin Rotheneder all sein Können und die Erfahrungen der letzten dreißig Musikjahre genutzt, um sich Stück für Stück - oder besser Ton für Ton und Schlag für Schlag - seine Songideen auseinanderzudividieren und sie im Anschluss durch langes, unermüdliches Üben wieder zusammenzufügen, sodass alles spielbar wird. So ist ein vielschichtiger Sound entstanden, der zwischen akustischer Zerbrechlichkeit und angezerrter Energie pendelt, oder wie es Martin selbst ausdrückt: "Es ist wie Sex und Kuscheln in einem."
Eindrucksvolles und extrem poppiges Beispiel für diese organische Fusion aus Rhythmus, Gitarrenspiel und Stimme ist die Single "One Of Many Parts". Ein Ohrwurm der Extraklasse, nachdenklich und beschwingt zugleich, wobei als furioses Finale Martin auch seine eigenen Trompete ist. Das muss einem erstmal einfallen.
Mut zur vielfältigen Zukunft
Das Stück "One Of Many Parts" ist mit der schönen Zeile I Believe In Rainbows auch der Namensgeber der Platte. Auch inhaltlich gibt der Song eine Grundthematik von Soulitaire vor. Martin singt darin davon, Liebe statt Krieg zu machen und auch wenn das klischeehaft klingt, so ist doch der Glaube an die Bereicherung durch Vielfalt zentral für ein glückliches Leben und eine bessere Zukunft.
Soulitaire live:
Manche mögen ihn einen Weltverbesserer nennen oder sich darüber mokieren, er habe eine rosarote Brille auf. Doch allein dieses Stück nimmt all dieser Kritik den Wind aus den Segeln, wenn man genau hinhört. Denn Martin Rotheneder ist sich der schwer zu lösenden Probleme bewusst, die beim Umgang mit den derzeitigen Flüchtlingsbewegungen zwangsweise auftreten. Mit seiner Stimme vertritt er den Standpunkt, dass wir alle Teil eines großen Ganzen sind, ob wir wollen oder nicht und dass wir nur im Dialog und im Austausch die gegenwärtigen Herausforderungen meistern können.
Sein Song "Start A Movement", ein zartes und berührendes Singer/Songwriter-Stück, war Startschuss für ein Benefiz für Flüchtlinge in St. Pölten. So erzählt auch der Song "I Follow You To Everywhere" in schnellerem Tempo und einer unterschwelligen Dringlichkeit von den Entbehrungen einer Flucht und dem Mut, sich ganz in die Hände des geliebten Partners oder der Familie zu begeben. Inspiriert wurde der Song durch Martins Freundschaft zu einem syrischen Musiker, der auch nach Österreich fliehen musste. Es scheint, dass gerade der reduzierte, ehrliche und eindrückliche Sound von Soulitaire mit diesen großen Themen eine stimmige Resonanz eingeht und so auch uns alle berühren kann.
Christoph Haiderer
Mach das, was dich unverletzbar macht
Schon im balladesken und ergreifenden Eröffnungsstück "Everytime" - eines der Highlights von "I Believe In Rainbows" - wiederholt Martin die Zeile I'm in for love... viele Male. Er sieht es als Mantra für ein erfülltes Leben, schließlich sollten wir alle genau das machen, was wir lieben, denn genau das mache uns unverletzlich. Und wie Martin meint:
"Dabei kann man nicht verlieren. Klar, wenn du davon nicht leben kannst, musst du dir einen Brot-Job nebenher suchen - bei mir ist es auch nicht anders - aber du kannst trotzdem deine Leidenschaft im Leben behalten und dich zum Ausdruck bringen. Und damit ein glückliches Leben führen, was auch auf die anderen und die Umgebung generell abfärbt."
Überhaupt scheint die Liebe ein zentraler Lösungsansatz in Martins Werk zu sein. Die Liebe zu der Verschiedenheit der Kulturen und Menschen, aber auch die Liebe zu sich selbst, zu seinen ungeliebten Teilen. So ist auch Vergebung ein Thema, wie etwa bei dem Stück "Embrace", das der Aussöhnung mit der eigenen Vergangenheit gewidmet ist. So ist es nicht verwunderlich, dass Soulitaire mit dem Stück "Let Loose" die musikalische Reise leise und unsentimental zu einem vorläufigen Ende kommen lässt. Erweist sich doch das Loslassen oft als schwierigste Übung. Loslassen von alten Mustern, lang gehegten Überzeugungen, übernommenen, fremden Grundsätzen und auch von Gewohntem und Geliebtem.
Eine Übung, mit der wir alle im Leben öfters konfrontiert werden. Und ein derart schönes, stimmiges und positives Album wie "I Believe In Rainbows" kann uns ein bisschen dabei helfen, innezuhalten, uns auf unsere Stärken zu besinnen und uns mit Altem auszusöhnen, um Energie für Neues zu haben.