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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

28. 10. 2016 - 18:48

Küssen erlaubt, Pakistanis verboten

Das internationale Filmfestival Mumbai hat gerade Filmflair in die Stadt geholt. Dabei ist Mumbai als Sitz von Bollywood sowieso schon die city of dreams. Aber warum wurde ein pakistanischer Film nicht gezeigt?

Bombay Diaries

Irmi Wutscher in Indien

Nicht nur in Wien mit der Viennale, auch in Mumbai eilen die Menschen von Kino zu Kino, um möglichst viele ausgefallene Filme aus anderen Ländern zu sehen. Es ist Filmfestivalzeit: Bis gestern hat MAMI (Mumbai Academy of Moving Image), das internationale Filmfestival Mumbai stattgefunden.

Ich habe zum Beispiel einen saudi-arabischen Liebesfilm, einen Hindi-Film über einen Schönheitssalon, eine Doku über boxende Mädchen in einem muslimischen Grätzel in Kalkutta und Ulrich Seidls "Safari" gesehen. Letzterer hat das indische Publikum übrigens nicht über die Maßen schockiert , nur ein wenig durch Seidls monumentale Bildsprache überwältigt.

Mein Kollege Kennith ist Filmredakteur beim Hindu und hat eine sehr stressige Woche hinter sich. "It was a hectic week at MAMI. All in all it was quite a good week, I discovered some interesting cinema. My favourite movie was 'Under the shadows', an Iranian feminist horror film."

Filmredakteur Kennith im Büro des "Hindu".

FM4/Irmi Wutscher

Filmredakteur Kennith in der Hindu-Redaktion.

Bollywood Schmollywood

Neben Bollywood gibt es noch eine sehr große Tamilische Filmindustrie - genannt Kollywood. Eine in Kerala, genannt Mollywood. Eine in Kannada - genannt Sandalwood. Usw. usf., you get the picture.

Wie sicher bekannt ist, hat Indien insgesamt die größte Filmindustrie der Welt. Und deren größter Zweig ist wiederum der Hindi-Film, welcher in Mumbai beheimatet ist. Bei uns ist er besser bekannt unter Bollywood-Film. Mittlerweile sind aber bei weitem nicht mehr alle Bollywood-Filme schwülstige Schmonzetten, bei denen im Regen getanzt wird.

Doch ein bisschen Masala weil's so schön ist: ein klassischer Hero-Song.

"The Western notion that we have just melodramatic films is definitely not true anymore", sagt Kennith. "Of couse what really sells are still Masala-Movies (ANM: die indische RomCom quasi), but unlike the late 90s or early 2000s there is more cinema available now."

Bollywood als Label beinhaltet mittlerweile genauso Action-Filme wie Thriller oder soziale Dramen. Die machen vielleicht weniger Gewinn, aber bekommen vielleicht umso mehr Aufmerksamkeit der Kritik. Jüngstes Beispiel ist "Pink", ein Gerichtsdrama, das sexuelle Gewalt anspricht und in Indien viel Aufmerksamkeit erregt hat. Bei gleichzeitig vollen Kinosälen.

Fetter Knutsch statt Kuss auf die Wange

Filmfestivals sind eine aufregende Zeit für InderInnen, denn sie sind Gelegenheit, ausländische filme unzensiert und in voller Länge zu sehen. Denn sonst gibt es hier relativ strenge Zensur. "There is a censorship board, and it suggests cuts or rather it gives ratings: 'for adults' or 'universal' based on several aspects, some would be sexual content, or violence", erklärt Kennith.

Vieles bei der Zensur ist daher Selbstzensur der Produktionsfirmen. Denn man möchte ja, dass viele Menschen, ja ganze Familien ins Kino gehen - und dafür müssen die Filme familienfreundlich sein. Als ich Kennith frage, ob es immer noch so ist, dass im Bollywood-Film nicht geküsst wird, muss er lachen. "Kissing exists and it is no more a little peck on the cheek but a proper smooch, which was not just rare but unthinkable in the 90s or the 80s. Now the problem is, that they go beyond kissing!"

Cast von Pinky Beauty Parlour

FM4/Irmi Wutscher

Mit Hauptdarstellerinnen und Regisseur von "Pinky Beauty Parlour", ein Film über die große Bedeutung heller Haut in Indien.

Patriotismus funkt ins Kino hinein

Trotz aller Freizügigkeit wurde ein Film bei MAMI schlussendlich nicht gezeigt: ein alter pakistanischer Film. Nicht weil er anstößig wäre, sondern weil ein solcher Film die patriotischen Gefühle des Publikums verletzten könnte.

Dass Kino in Indien eine patriotische Angelegenheit ist, merkt man bei jedem Besuch. Vor jedem Film wird nämlich die indische Hymne gespielt, zu der man sich erheben und tunlichst nicht schlecht auffallen sollte. Ich habe mir in diesem Zusammenhang schon zwei große Fauxpas geleistet: Einmal kam ich zu spät und sah Sportler_innen auf der Leinwand und nahm an, das sei Werbung und hastete weiter anstatt ergriffen stehen zu bleiben. Und einmal musste ich das Telefon zücken um dieses Ritual festzuhalten. Bitte, gerne:

Im Kino wird die indische Hymne gespielt, auf der Leinwand flattert eine animierte indische Fahne.

FM4/Irmi Wutscher

Im Kino wird die indische Hymne gespielt, auf der Leinwand flattert eine animierte indische Fahne.

Aber zurück zum pakistanischen Film und den patriotischen Gefühlen: Seitdem der indisch-pakistanische Konflikt im September wieder aufgeflammt ist, gibt es verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen, die einen Boykott nicht nur von pakistanischen Filmen, sondern auch von indischen Filmen mit pakistanischen Schauspieler_innen fordern. Und sie scheinen erfolgreich zu sein. In Mumbai ist es eine Untergruppe der Shiv Sena Party, die übrigens für die Aufwiegelungen der Hindus bei den Bombay Riots 1992-1993 verantwortlich gemacht wird. Die Shiv Sena bzw. deren Untergruppen sind immer wieder mit Stimmungsmache gegen Filme oder KünstlerInnen aufgefallen. Jetzt geht es gegen Filme mit pakistanischer Beteiligung.

Blockbuster on Hold

Das ist für MAMI mit seinem einen pakistanischen Film vielleicht weniger tragisch. Aber tatsächlich sollte gestern, pünktlich zum Diwali-Wochenende ein großer Blockbuster starten: "Ae Dil Hai Mushkil". Darin spielt der pakistanische Schauspieler Fawad Khan eine Nebenrolle (der Film wurde weit vor Aufflammen des Konflikts gedreht). Bis letztes Wochenende war nicht klar, ob der Film tatsächlich ins Kino kommen wird. Für die Produktionsfirma und den Regisseur sind da mehrere Millionen Dollar auf dem Spiel gestanden, denn die MNS, diese Untergruppe der Shiv Sena, hat gedroht, Kinos auseinanderzunehmen, die es wagen, den Film zu zeigen.

Ich bin als Teil des Medienbotschafter_innen-Programms der Robert-Bosch-Stiftung für drei Monate in Indien. Im ersten Monat in Chennai, am ACJ. Dann für zwei Monate in Mumbai, um bei der Tageszeitung The Hindu mitzuarbeiten.

Letztes Wochenende gab es dann ein Treffen des Regisseurs von "Ae Dil Hai Mushkil" mit der MNS. Vermittelt hat das der Ministerpräsident von Maharashtra, jenem Bundesstaat, in dem Mumbai liegt. Liberale Kommentator_innen sind entsetzt, dass der Ministerpräsident vermittelt, anstatt den Einschüchterungsversuchen entgegen zu treten. Der Kommentar im Hindu spricht sogar von Erpressung.

Und es gibt tatsächlich so etwas wie Lösegeld dafür, dass der Film gezeigt wird: Die Produktionsfirma muss dem Wohlfahrtsfonds der indischen Armee 50 Millionen Rupien spenden und vor jedem Vorführung des Filmstudios ein Insert in Gedenken an die im September getöteten Soldaten einblenden. Und die producers guild hat sich verpflichtet, keine pakistanischen SchauspielerInnern mehr zu engagieren. Alles wegen der patriotischen Gefühle.