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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

27. 10. 2016 - 15:22

The daily Blumenau. Thursday Edition, 27-10-16.

Der Strache will eh keinen Bürgerkrieg. Über eine geschickt-implizite Themensetzung, die ungeschickte politische Kommunikation nutzt und die Basis der 2. Republik ankratzt.

#demokratiepolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die bisherige Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Siehe dazu auch...

The daily Blumenau. Friday Edition, 21-10-16. Wie der Faschismus - ganz ohne Keule - und der strenge Vater den aktuellen politischen Diskurs prägen.

The daily Blumenau. Thursday Edition, 20-10-16. Der neue Herr Karl. Die heftgewordene Thomas Glavinic-Personale von "Fleisch" kann in ein paar Jahren als ikonischer Text zum Thema "wie es dazu kommen konnte" gelesen werden.

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Ich verzichte auf den Konsum von Sonntagsreden; also hab' ich auch Straches Vortrag zum Nationalfeiertag nicht gesehen. Um dann einiges darüber zu lesen, entsetzte Reaktionen und harsche öffentliche Kritik. Alles durchaus gerechtfertigt, schließlich hatte sich der FPÖ-Chef eines symbolpolitischen Vergehens schuldig gemacht, indem er einen Begriff in die Debatte einbrachte, der in einschlägigen Runden nationalistischer, identitärer, rechtsextremer Hypothetisierer als Wunschvorstellung kursiert, den des Bürgerkriegs.

So wurde Strache zitiert: "Durch den ungebremsten Zustrom von kulturfremden Armutsmigranten, die in unsere Sozialsysteme einsickern, wird aber unser von Solidarität und Zusammenhalt getragenes gesellschaftliches Gefüge in seinen Grundfesten erschüttert und macht mittelfristig einen Bürgerkrieg nicht unwahrscheinlich".

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Nun ist der Krieg bekanntlich der Vater aller Dinge und der König aller. Der Bürgerkrieg von 1934 jedoch ist der Vater aller österreichischen Dinge und der König der 2. Republik. Nicht weil er zum Ständestaat, der einzigen europäischen Diktatur, die jemals von Christdemokraten unternommen wurde, führte, sondern weil die Angst vor einer Wiederholung die Beziehung der beiden großen Lager nach 1945 bestimmte. Die 2. Republik ist auf der heiklen Balance zwischen SPÖ (Arbeiterschaft, Intellektuelle, Linke) und ÖVP (Bürgertum, Bauern, Klerus, Wirtschaft, Rechte), die langwieriges Aushandeln von Kompromissen vor jede Konflikt-Kultur stellt, gegründet; eine Basis. die aktuell erodiert ist.

Das ist ein verdammt tiefgreifender symbolpolitischer Akt, innerhalb eines wichtigen, bewusst nur ganz schwach aufgearbeiteten Themenbereichs.

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Bevor ich da also in die Tiefe gehen kann, muss ich mir aber Straches Rede zur Gänze anhören. Und, schau an, ich kann das zugeschriebene Zitat gar nicht finden. Strache sagt viel mehr das: und macht mittelfristig, ja auch, Konflikte nicht unwahrscheinlich, bis hin auch zu Terror, bis hin auch zu bürgerkriegsähnlichen Szenarien, die wir nicht wollen in unserem Heimatland und auch nicht in Europa - Zitat bei etwa 27:30.

Ich möchte nicht behaupten, dass durch die korrekte Zitierung und den differenzierteren Kontext das Prinzip der Sagbarmachung des Unsagbaren (also das Heraufbeschwören eines Bürgerkriegs als Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit) nicht gegeben ist.
Trotzdem ist da ein Unterschied. Der vor allem deutlich macht, wie die FPÖ nlp-mäßig ihre Themen setzt, und wie sie den im Übermaß vorkommenden nützlichen Idioten in Medien und Politik und deren dilletantisches framing benutzt, um ihre Ideen noch deutlich weiter zu treiben.

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Redenschreiber Kickl muss gar nicht explizit von "Bürgerkrieg" sprechen, es reicht ihm die Andeutung von "ähnlichen Zuständen", um mit einer gewissen Sicherheit (und wenn nicht dieses, dann das nächste Mal) davon auszugehen, dass es schon jemand aufgreifen und in einem Sinne aufbauschen wird, der der FP mehr bringt als den Aufbauschern. Die setzen dann die Agenda, indem sie den politischen Wortschatz erweitern, den Begriff des Bürgerkriegs sagbar machen und so eine neue Tür in ein nächstes Zimmer öffnen, die Sprache quasi eskalieren.

Diesmal half sogar der unter die Buchautoren gegangene Ex-Bundespräsident mit. Aber auch wirklich schlaue politische Beobachter beißen sich am Bürgerkrieg fest oder arbeiten sich an Straches nächsten Erweiterung, der Zitierung einer alten deutschnationalen Hymnen-Textes eines späteren Nazi-Autors ab.

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Alles okay, aber: das, was an Straches Rede wirklich interessant war, bleibt außen vor; nämlich seine Grundsatzaussagen zur Social-Media-Strategie, die seltsam ungeskriptet, improvisiert, teilweise stammelig (Kickl muss vor Ärger gekocht haben) daherkamen.

Strache referiert lange über seine Verwendung von Social Media und Facebook, redet sich beim Thema Verantwortung und Hass-Postings in einen echten Wirbel und benennt sogar eine deutsche Stiftung, vor deren Wirkungsmacht er sich ängstigt - an sich eine klassische Auflage, eine Einladung, eine derartige Plattform auch für Österreich zu gründen.

Bloß: Das Wissen um die Nutzung von Social Media scheint für Mainstream-Medien und Politik immer noch eine Geheimwissenschaft zu sein - derlei überlässt man dem Vice oder eigenen, sattsam unbeleckten SM-Teams. Dabei macht Strache in diesem Bereich in aller Offenheit eine ganze Flanke auf.
"Unser Denken wird in eine bestimmte Richtung gelenkt", sagt er in seiner Rede, es würden "Begriffe dämonisiert, um ihren Gebrauch zu ächten".

Die FPÖ fürchtet keinen Krieg der Worte, was die großen Themen wie Fremdenhass oder den Handlungs-Stillstand betrifft, sie fürchtet auch keinen Bürgerkrieg oder "ähnliche Zustände", sie fürchtet einzig das Aufkommen einer gleichwertigen Debatten-Kultur im Internet, auf Social Media.

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Den Ball nehmen die Strache-Gegner nicht auf, sie stürzen jetzt auf das fehlzitierte Zerrbild eines diffusen Bürgerkriegs, laden den Begriff reflexartig mit enormem emotionalem Kapital auf, und legitimieren so ein Szenario bis hin zu seiner Denk- und Umsetzbarkeit.

Das ist angesichts der Tatsache, dass es eben die Lehren aus dem Drama von 1934 waren, die die erste langfristige Demokratie in Österreich (und das ist die 2. Republik; die 1. mit ihren faktisch nur 14 Jahren, von 1919 bis '33, war bestenfalls eine lose Skizze davon) möglich gemacht haben, natürlich ein Treppenwitz. Und raubt der pluralistischen Demokratie ab '45 (die Strache in seiner Rede mit einer Referenz an seine Vorfahren, die sich 1848 ihre Freiheitsrechte blutig erkämpften, irgendwie doch erst ab 1955 beginnen lässt) ein weiteres Standbein symbolischer Legitimierung.