Erstellt am: 9. 11. 2016 - 12:09 Uhr
Zukunftsangst zum Schlafengehen
"Sie würden die Leiche wegschaffen müssen." Der erste Satz in Cordula Simons Roman wirft uns mitten ins Geschehen.
Residenz Verlag
Wir sind in Lightraff, einer künstlichen Stadt nahe einer Ölraffinerie, in der die Straßen im Raster angeordnet sind und Kehrmaschinen steril sauberen Asphalt fegen. "Niemand in Lightraff hat schmutzige Schuhe", heißt es, dafür haben alle eine Chipkarte mit Zahlungs- und Schlossfunktion. Hier teilen sich Barkeeper Koslov, der Fleischerei-Arbeiter Schreiber und Haye, der sich für etwas Besseres hält, weil er einen Posten in der Stadtverwaltung hat, ein Bett. Wenn die Schicht des einen vorbei ist, ist der nächste dran mit Schlafen:
"Schreiber kroch ins Bett. Atmete tief ein und wieder aus. Er konnte Koslovs Wärme noch fühlen. Hörte noch das Abstellen der Kaffeetasse in der Spüle. Hörte, wie Koslov die Wohnung verließ. Früher hätte er sich vor dieser Bettwärme fremder Menschen geekelt. Er war aber so müde. Es war ihm bereits vollkommen egal."
Digitale Revolution und zerstörte Böden
Wolfgang Schnuderl
Cordula Simon, Jahrgang 1986, hat in Graz und Odessa deutsche und russische Philologie studiert, wo sie auch einige Jahre lebte. "Wie man schlafen soll" ist bereits ihr dritter Roman. Nach ihrem Debüt "Der potemkinsche Hund" wurde sie 2013 mit "Ostrov Mogila" zum Bachmann-Preis eingeladen. Der drohende Weltuntergang ist ein immer wiederkehrendes Thema.
Zeitlich liegen wir nur wenige Jahre in der Zukunft, nach einer "digitalen Revolution", und beinahe hätte es auch noch einem "großen Krieg" gegeben. Lightraff ist zu einem der letzten Refugien in einer durch Klimawandel zerstörten Welt geworden. Dürreperioden und genmanipulierte Pflanzen haben die Böden unfruchtbar gemacht. Die meisten Tiere sind gestorben. Am Land lebt fast niemand mehr.
Nur in den künstlichen Städten wird noch versucht, die Illusion einer funktionierenden Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Eine Leiche hat hier also nichts zu suchen und die Begegnungen mit ihr werden zu Cliffhangern durch den Roman, der Alltag und Innenleben der drei Protagonisten schildert. Denn spätestens als Koslov, Schreiber und Haye kurz hintereinander ihren Job verlieren und erstmals im Wachzustand aufeinandertreffen, ist klar, dass etwas vollkommen falsch läuft:
"Unter den Türritzen krochen sie in die Wohnung, sie kamen aus den Rohren im Bad. Zwischen Koslovs Füßen kamen sie aus dem Abfluss. 'Blattella Germanica' (Kakerlaken), flüsterte Koslov und beeilte sich die Hose hochzuziehen, bevor sie hineinkrabbelten."
Dystopie mit Blick auf die Gegenwart
Die Dystopie, die Cordula Simon in ihrem Roman entwirft, wirkt zugleich real und banal. Putzstaubsauger, Lesefolien statt Büchern und die Chipkarte als moderne Stechkarte - so könnte man sich die Zukunft schon vor 50 Jahren vorgestellt haben. Gleichzeitig hat die Autorin einen sehr scharfen Blick auf die Gegenwart: "In dem Roman geht es um Dinge, die jetzt gerade passieren", sagt sie in einem Interview. "Deshalb sollten sie auch einen Platz in der Literatur haben, wenn man diese als Spiegel der Gegenwart sehen will."
Ihre Stärken sind die Figuren und die Dramaturgie ihres Schreibens. Die drei Männer und die beiden weiblichen Nebenfiguren könnten sich in dieser Endzeitstimmung nicht unterschiedlicher verhalten. Geschickte Rück- und Vorblenden machen die Frage immer drängender, wer denn nun diese Leiche sein könnte und vor allem, wer sie zu dieser gemacht hat. Zudem ist ständig von einem Meteroitenfestival die Rede, das der Bevölkerung Lightraffs zwar als einmaliges Spektakel verkauft wird, aber vielleicht eben doch den Weltuntergang bringt. "Wie man schlafen soll" eignet sich daher hervorragend als beunruhigende Gute-Nacht-Lektüre.