Erstellt am: 27. 10. 2016 - 17:57 Uhr
Blitze der Erinnerung
Im Frühling dieses Jahres ist die Gruppe Ja, Panik zehn Jahre alt geworden und macht sich und der Welt entgegen den schönen bandüblichen Verweigerungshaltungen gegenüber Normen und Gebräuchlichkeiten jetzt ein Geschenk. Zum Glück. Ein Buch von, mit, über und durch die Band Ja, Panik.
Es erscheint im verlässlichen Verbrecher Verlag, trägt den schon prächtig gestelzt funkelnden Titel "Futur II" und ist - wir es haben es hier mit der Gruppe Ja, Panik zu tun - nicht die handelsübliche, schnöde Bandbiografie zur Selbstabfeierung geworden. Gefeiert wird in "Futur II" aber schon auch nicht wenig, mit den Dingen, die dazugehören.
Zu weiten Teilen gestaltet sich das Buch als eine Art Briefwechsel zwischen den Bandmitgliedern Sebastian Janata, Andreas Spechtl und Stefan Pabst, in dem sie versuchen, die eigene Vergangenheit zu erinnern. Oder zumindest so tun.
Staatsakt
Die nach dem letzten Album der Band, der Wave-Pop-Platte "Libertatia", zur Gruppe gestoßene Gitarristin und Keyboarderin Laura Landergott interviewt derweil die einstigen Bandmitglieder Christian Treppo und Thomas Schleicher sowie Wegbegleiter von Ja, Panik: Christiane Rösinger und Peter Schachinger vom Flex. Oder sie versucht es immerhin.
Nachlesenswert:
Andreas Spechtl als Autor auf fm4.ORF.at:
- Ein Monat in Ghana
- Als Vorbereitung zum Release von DMD KIU LIDT: Über das Flanieren als Lebens-, Denk- und Liebesform
- Auf Tour in Afrika - Ein Reise-Tagebuch.
Produktionsbedingungen von Musik, das Finden und das ständige Neufinden des eigenen Sounds, Ideen, Attitude. Selbstausbeutung, Existenzängste, das schwierige Ausbalancieren des Verhältnisses zwischen Kunst und Kohle. Man lernt in "Futur II" so einiges über das Leben und Hadern einer coolen Band, die Kritiker-Darling und so mittelbekannt ist. Der frühe, aufbrausende, oft provisorisch zusammengetackerte Tour-Alltag ist dann irgendwann auch nicht mehr ganz so lustig, so erfahren wir von Andreas Spechtl: "Ein Bett zum Schlafen ist schon sinnvoll."
Zwar sind in "Futur II" beispielsweise alle Konzerte ever von Ja, Panik genau datiert in Listenform abgedruckt, eine akkurat ausgemessene, vollständige und wissenschaftlich wie journalistisch verbriefte Bandhistorie ist "Futur II" dabei nicht. Da muss man anderswo nachlesen.
"Futur II" ist ein tiefer Blick in den verbogenen Kosmos dieser seltsamen, rätselhaften, wunderbaren Band. Eine poetische Schnitzeljagd durch die Gedankengänge von Musikern und Menschen. Oft verschwimmen in den Einträgen die Erinnerungen der Erzähler mit voller Absicht.
Erfundenes und womöglich doch ziemlich halbwegs Wahres mischen sich, immer wieder driftet das Buch ins Literarische und Surreale. Insbesondere in den Passagen von Schlagzeuger Sebastian Janata: Er inszeniert sich – oder wird inszeniert? - hier als hochmondäner und hyperhedonistischer Jetsetter und Dandy im Sinne von Christian Kracht.
Party, Glamour, die Zeichen auf Success. In Janatas Episoden wird geflogen und "übergesetzt", von Casablanca über Tiflis, um dann nach ausgiebigem Drogenrausch am heimatlichen Neusiedler See angespült zu werden: "Ich genoss das lauwarme, an verdünnten Kakao erinnernde Wasser des Neusiedler Sees".
Sebastian Janata riecht so gut, so erzählt er selbst, gerne evaluiert er in Hotels das Frühstücksverhalten der anderen Gäste, er hasst den speckigen Mief von Berlin-Tegel und liebt den modernen Glanz des Wiener Flughafens.
Während Janata den Luxus ausstellt, haust Bassist Stefan Pabst im Buch im unwirtlichen Untergrund: Ihn verschlägt es in ein kafkaeskes, klaustrophobisches Szenario - in einem nicht näher erklärten, mysteriösen "Ja, Panik-Archiv" soll er zwischen Aktenordnern, Zettelbergen und Papierkrieg alleingelassen die Geschichte der Band sichten und organisieren.
Pabst richtet es sich dann in diesem Archiv auch gleich häuslich ein, geht mehr und mehr in der unüberschaubaren beamtischen Arbeit auf. Er spricht von einem ominösen "Herrn Magister", nach und nach entgleitet ihm der Verstand.
Staatsakt
Zwischendurch hören wir, dass Christian Treppo in der Band einst nicht selten so etwas wie die Rolle von Vernunft, Finanzbeauftragtem und Fahrer zugekommen ist und dass Thomas Schleicher einen ganz exquisiten Zwiebelrostbraten kocht.
Den größten Teil von "Futur II" machen die Berichte von Frontmann, Sänger, Gitarristen und Texter Andreas Spechtl aus. Sie dürften hier einer Idee von Wahrheit am Nähesten kommen, jedoch auch weniger in Daten und absoluten Zahlen, vielmehr in Überlegungen und Haltungen.
Spechtl findet sich in einer ungenannten Stadt wieder, flaniert, liest, schreibt, hat genau ausgeklügelte Ansichten, Theorien und manchmal bloß Meinungen. Über das Schreiben und die Sprache, über das Erinnern, das Reisen. Über Dilettantismus als Selbstzweck, Gesellschaft und die in künstlerischer Hinsicht oft ungünstige und längst schon überstrapazierte Verzahnung von Popmusik und altehrwürdigem Theater.
Der Gruppe Ja Panik glückt mit "Futur II" eine eigene, neue Form. Hier entsteht ein unfertiges Flickwerk, das den Geist der Band transportiert. Die Verschränkung von Briefroman, mal eitler, mal komischer, mal zerknirschter Selbstbespiegelung und Musikertagebuch. Gedanken, Verwirrungen, Politik, Pathos, Humor, Niederlage und Euphorie. Die zärtliche Umschlingung von Fakt und Fiktion, von History und Mystery.