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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

28. 10. 2016 - 02:00

Desperate Housewives

Das Thriller-Ereignis in diesem Herbst oder doch nur eine mörderische Seifenoper? Notizen zu "The Girl On The Train".

Zumindest der Anfang von "The Girl On The Train" könnte auch von Großmeister Alfred Hitchcock sein. Wir folgen den Blicken und Gedanken der einsamen Protagonistin Rachel, die mit dem Zug zu ihrem New Yorker Arbeitsplatz fährt. Jeden Morgen und Abend verschlingt sie dabei die Umgebung mit ihren Augen, starrt auf die Häuser, die an den Bahngleisen liegen.

The Girl On The Train

Constantin

In einer dieser mondänen Vorortburgen hat die depressive Rachel (Emily Blunt) vor kurzem noch selber ihren Ehetraum gelebt. Jetzt beobachtet sie vom Zug aus eifersüchtig ihren Ex-Mann (Justin Theroux) und dessen neue Frau (Rebecca Ferguson) durch das Schlafzimmerfenster, irgendwo schlummert wohl auch das Baby, das die verheulte Protagonistin nie bekommen konnte. Gleich daneben wohnt ein anderes, jüngeres Paar, das noch am Anfang seiner Beziehung steht, die Verkörperung der reinsten Liebe, zumindest in Rachels Fantasie.

Der fiebrige Voyeurismus, dem sich Rachel hingibt, führt eigentlich direkt zu den Wurzeln des Kinos, zur hemmungslosen Schaulust. In fantastischen Filmen von Mr. Hitchcock ("Rear Window"), Brian DePalma ("Body Double") oder auch David Lynch ("Blue Velvet") wird diese Sensationsgier, die auf uns Zuseher im dunklen Saal verweist, auf herrlich zwiespältige Weise reflektiert. Aber Regisseur Tate Taylor ("The Help") ist von solchen genialen Kollegen Lichtjahre entfernt. Nach dem faszinierenden Beginn folgt ein Film, der unter seiner mysteriösen Oberfläche einen ausgesprochen biederen Kern verbirgt.

The Girl On The Train

Constantin

Drastische Schwarz-Weiß-Zeichnung

Im Mittelpunkt von "The Girl On The Train" steht nicht bloß die Titelfigur Rachel, aus der nach der Trennung eine zittrige Alkoholikerin wurde. Der Film, nach dem immens erfolgreichen Bahnhofsbuchhandlungs-Bestseller von Paula Hawkins, entpuppt sich als Ensembledrama. In Zeitsprüngen entfaltet sich die Geschichte dreier unterschiedlicher Paare. Es geht um Herzenswärme, die in Hass umschlägt, die ewige Sogkraft verbotener Begierden und bald auch um Mord. Die herumdriftende Rachel, maximal schmerzverzerrt gespielt von Emily Blunt, rückt ins Zentrum der Ermittlungen, als ihre junge Ex-Nachbarin Megan (Haley Bennet) erschlagen aufgefunden wird.

Man muss ihn einfach bringen, den Vergleich zu David Finchers inhaltlich durchaus verwandter Romanverfilmung "Gone Girl". Denn das wirkliche Drama von "The Girl On The Train" ist die Plattheit der Inszenierung. Während Fincher in seinem mehr als doppelbödigen Thriller bürgerliche Idyllen seziert und einen bissigen Abgesang an all die Projektionen liefert, die mit Beziehungen oft verbunden sind, präsentiert Taylor Tate diesbezüglich nur platte Stereotypen.

The Girl On The Train

Constantin

Statt moralischen Grauzonen, wie man sie mittlerweile in jedem besseren Film oder in allen angesagten Fernsehserien findet, dominiert drastische Schwarz-Weiß-Zeichnung. Alle Frauen in dem Film sind traumatisierte Wracks, sämtliche Männer laufen als fesche und eventuell fiese Macho-Pinups durch die Designer-Wohnzimmer. Die amerikanische "Victim Culture", wie Brett Easton Ellis, die selbstzerstörerische Opfer zu neuen plakativen Helden stilisiert, hat hier wohl einen ihrer Schlüsselfilme gefunden.

Erst zum blutigen Showdown hin lässt der Film einen giftigen Sarkasmus aufflackern, der bei "Gone Girl" von Anfang an zum Grundton gehört. Wirklich entlassen will uns "The Girl On The Train" aber nicht in mulmiger Stimmung. Denn Tate Taylor ist natürlich kein eisiger Existentialist wie David Fincher, bei dem es kein wirkliches Entkommen aus der bourgeoisen Hölle gibt. Ohne ein Heilsversprechen können bei ihm die Schlusstitel nicht abrollen.

The Girl On The Train

Constantin

fm4.orf.at/film

Kinotipps, Interviews und Rezensionen

Mit seinen finalen Bildern entlarvt sich dieser Film aber endgültig als schwülstige Soap Opera, die sich als engagierter Kommentar zur Geschlechterpolitik verkauft. Dabei wirken sogar manche Folgen von TV-Seifenopern wie "Desperate Housewives" oder "Vorstadtweiber" komplexer, bösartiger, näher am richtigen Leben.