Erstellt am: 25. 10. 2016 - 09:10 Uhr
Wie kommt das Kreuz ins Klassenzimmer?
FM4 Auf Laut
Wie viel Religion braucht die Schule?
Wir stoßen in öffentlichen Räumen immer wieder auf Religion. Eine Diskussion über Ethik, Glaubensfreiheit und die Kontroverse um die Trennung von Kirche und Staat mit Elisabeth Scharang in FM4 Auf Laut.
Am Dienstag, den 25. Oktober, 21 bis 22 Uhr und im Anschluss für 7 Tage im FM4 Player.
In Österreich war in der vorrepublikanischen Zeit die katholische Kirche die längste Zeit die Trägerin des Schulwesens. Erst mit den Schulreformen 1774 (unter Maria Theresia), 1869 und schließlich 1918 setzte sich schrittweise das staatliche Schulwesen durch. Der Katholizismus behielt aber für die Dauer der Kaiserzeit den Rang einer Quasi-Staatsreligion, und auch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein identifizierten sich mehr als 90% aller Österreicherinnen als Katholikinnen.
Diesem Umstand meinte der austrofaschistische Ständestaat unter Engelbert Dollfuß Rechnung tragen zu müssen, als er 1933 ein Konkordat mit dem Heiligen Stuhl abschloss, das unter anderem vorsah, dass in sämtlichen Klassen einer Schule, für deren Erhaltung der Bund verantwortlich zeichnete, und in der die Mehrheit der Schülerinnen dem christlichen Glauben angehört, ein Kreuz anzubringen sei. Diese Regelung wurde in das Religionsunterrichtgesetz von 1949 übernommen, und mit dem sogenannten Schulkonkordat von 1962 noch einmal bestätigt. Seither bildet es die bis heute gültige Grundlage für das Versehen von vom Bund finanzierter Schulen mit christlichen Symbolen, es steht jedoch, anders als andere Teile der Konkordate, nicht im Verfassungsrang.
APA/dpa/Karl-Josef Hildenbrand
Ausnahmslose Bundesländer
Schulen, die in den Zuständigkeitsbereich der verschiedenen Bundesländer fallen, unterliegen in dieser Hinsicht teils noch rigoroseren Vorgaben. Die diesbezüglichen Klauseln in den Landesschulgesetzen von Wien, Niederösterreich, Kärnten und der Steiermark decken sich mit der an der Konfessionsmehrheit orientierten Richtlinie im bundesweiten Religionsunterrichtsgesetz; in Vorarlberg, Tirol, Salzburg, Oberösterreich und dem Burgenland hingegen ist das Anbringen eines Kreuzes ausnahmslos in jeder Schulklasse, unabhängig von den Konfessionsverhältnissen, verfügt.
Unzulässiger Umkehrschluss
Dennoch ziehen das Religionsunterrichtsgesetz und die verschiedenen Landesschulgesetze für den Fall, dass an einer Schule die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler nicht dem christlichen Glauben angehört, nicht den Umkehrschluss, dass deshalb automatisch allfällig bereits vorhandene Kreuze wieder abgehängt werden müssten. Dies kann nur auf ausdrückliche Initiative eines Erziehungsberechtigten, eines religionsmündigen Schülers oder einer am Lehrbetrieb beteiligten Person geschehen, die hierbei die Darlegungslast zu tragen haben, auch tatsächlich nachzuweisen, dass es eine nicht-christliche Mehrheit an Schülerinnen und Schülern gibt.
Die statistisch ermittelte Gretchenfrage
Die Frage der anzuwendenden Methodologie bei der Durchführung dieser statistischen Erhebung sowie der Auskunftspflicht bei der Kommunikation der diesbezüglichen Ergebnisse hat in der Vergangenheit zu Irritationen geführt, zum Beispiel im Fall einer Volksschule in Wien-Neubau. Eine in Gemeinschaft mit vier anderen Eltern handelnde konfessionslose Mutter sah sich dort im Jahr 2013 gezwungen, rechtliche Schritte in den Raum zu stellen, um von der Schulleitung Aufschluss über das Verhältnis von Christen zu Andersgläubigen und Konfessionslosen zu erhalten.
Als Reaktion auf diesen Fall legte der Wiener Stadtschulrat im darauffolgenden Jahr eine Anleitung vor, wie die Anzahl der sich zum Christentum bekennenden Schüler erfasst werden solle - und zwar nicht, indem die Zahl selbsterklärtermaßen christlicher Schüler summiert werden solle, sondern indem von der Gesamtschülerzahl Anhängerinnen nicht-christlicher Konfessionen und offiziell Bekenntnisloser abgezogen werden sollten. Wenn eine nicht-christliche Mehrheit nachgewiesen werden kann, hat theoretisch die Schulleitung dafür Sorge zu tragen, dass einem etwaigen Antrag auf Entfernung der Kreuze entsprochen wird. Darüber, ob, und wenn ja, wie viele Kreuze in der betroffenen Schule im siebten Wiener Bezirk nach erfolgtem einschlägigen Nachweis tatsächlich abgehängt wurden, herrschen widersprüchliche Angaben.
(Kein) Kleinkinderkram
Das für Schulen gültige Paradigma erstreckt sich auch auf Kindergärten. Im Jahr 2008 beispielsweise wurden in Linz nach einer kurzzeitigen Kontroverse rund um die ablehnende Haltung des damaligen Bürgermeisters Franz Dobusch gegenüber Kreuzen dann doch pauschal alle der 90 städtischen Kinderbetreuungseinrichtungen, die noch kein Kreuz aufwiesen, mit einem bestückt.
2011 legitimierte der Verfassungsgerichtshof diese Vorgehensweise, indem er in einem Erkenntnis festhielt, dass das Anbringen eines Kreuzes in einem öffentlichen Gebäude nicht als „Präferenz des Staates für eine bestimmte Religion“ zu werten sei, und die religiöse Neutralität des Staates beziehungsweise die Trennung von Kirche und Staat damit nicht kompromittiere.
Mit dem Kontinent ums Kreuz
Die Frage, wo Festhalten an schützenswerten Traditionen aufhört, und staatlich begünstigte religiöse Indoktrination anfängt, wird nicht nur in Österreich diskutiert. Die Debatte um den Einfluss etablierter Kirchen und anderer religiöser Strömungen auf staatliche Gesellschaftsleistungen hat eine gesamteuropäische Dimension, in deren Kontext Österreich sich im Mainstream befindet. In Irland zum Beispiel überlässt der Staat nach wie vor größtenteils der katholischen Kirche die Verwaltung des Schulwesens. In Polen wird die Diskussion über die Einführung der Teilnahmepflicht am Religionsunterricht für ausnahmslos alle Kinder in Gang gehalten, und es hängt ein Kreuz im Plenarsaal des polnischen Parlaments.
Der Fall Lautsi
Rund um die letzte Jahrzehntwende befasste sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit dem Thema Kruzifix im Klassenzimmer, nachdem Seile Lautsi, eine finnisch-italienische Mutter, mit ihrer Klage auf Entfernung desselben aus den Klassenzimmern ihrer beiden Söhne in Italien erfolglos den gesamten Instanzenweg ausgeschöpft hatte. Zunächst entschied die Kleine Kammer des EGMR 2009, dass das Kreuz tatsächlich gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoße, weil es die Klägerin in ihrem Recht, ihre Kinder konfessionsfrei zu erziehen, einschränke. (Zu diesem Zeitpunkt meldete sich auch der damalige sozialdemokratische österreichische Bundeskanzler Werner Faymann mit der Absichtsbekundung zu Wort, das Kreuz im Klassenzimmer angesichts dieser juristischen Gefährdung notfalls auch in den Verfassungsrang heben zu wollen.)
Nachdem daraufhin die italienische Regierung zusammen mit einer Koalition aus zehn weiteren europäischen Staaten Einspruch gegen das Urteil einlegte, vollzog die Große Kammer des EGMR zwei Jahre später eine Kehrtwendung, und befand, dass das Vorhandensein eines Kreuzes, das ein "passives Symbol" darstelle, nicht mit einem Akt religiöser Indoktrination gleichzusetzen sei. Was den EGMR betrifft, bleibt es den europäischen Staaten damit auch weiterhin freigestellt, gegebenenfalls das universelle Anbringen von Kreuzen ohne Erwägung der spezifischen Umstände zwingend zu verordnen.
Einzig das auf einer laizistischen Staatsordnung beruhende Frankreich nimmt in der Riege der mehrheitlich christlichen europäischen Länder eine Sonderstellung ein. Dort ist, was als Kehrseite der Diskussion um die Beschneidung der Freiheitsrechte von Anhängern religiöser Minderheiten hinsichtlich der Wahl religiös konnotierter Kleidungsstücke betrachtet werden kann, die Kennzeichnung öffentlicher Gebäude auch mit Symbolen der Mehrheitsreligion gesetzlich untersagt.
FM4 Auf Laut - Wieviel Religion braucht Schule
Am Dienstag, 25.10.2016 diskutiert Elisabeth Scharang in FM4 Auf Laut von 21-22:00 mit Gästen und Anruferinnen das Verhältnis von Religion und Staat.
Anrufen und mitdiskutieren kannst du ab 21 Uhr.
- Die Nummer ins Studio: 0800 226 996