Erstellt am: 24. 10. 2016 - 16:05 Uhr
The daily Blumenau. Fußballwoche KW 42/16.
#fußballjournal16
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die bisherige Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Auch mit wöchentlichem Fußball-Update.
Warum der Weg der österreichischen Fußball-Frauen unaufhaltsam nach oben führen wird. Warum das Wiener Derby kein seriöser Gradmesser sein kann. Und warum Damir Canadi der mit Abstand beste Coach im heimischen Liga-Fußball ist.
1) Die Frauen spielen eine bessere Euro als die Herren
Im Sommer 2017 wird sie stattfinden, in der niederländischen Provinz. Und sie wird einen 3. Gruppenplatz bringen. Und das ist mehr als die Herren diesen Sommer zustande gebracht haben.
Wieso sich das jetzt schon sagen lässt? Weil Dominik Thalhammer im samstäglichen Testspiel gegen Deutschland, den Olympiasieger, die Nummer 2 der Welt, schon eine Variante jener Matchplan-Ideen, die sein Team für die Begegnungen gegen die Großen ausbaldowert hat, herzeigen konnte. Und gegen den Titelverteidiger ein 0:2 aufholen konnte, sich auf Augenhöhe bewegte und den Titelfavoriten in ernsthafte Troubles stürzte.
APA/dpa/Armin Weigel
Das ist deshalb noch viel bemerkenswerter als es jetzt klingt, weil das DFB-Team unter der neuen Führung von Steffi Jones (plus Markus Högner und Verena Hagedorn) bereits merklich auf dem Quantensprung zur strategisch noch deutlich verbesserten Weltklasse-Mannschaft ist. Jones kann für die deutschen Frauen das sein, was Klinsmann/Löw bei den Herren waren/sind.
Dominik Thalhammer ist seinerseits zumindest der Marcel Koller des heimischen Frauen-Fußballs. Thalhammer war vormals Akademie-Leiter bei der Admira, den Chef-Trainer traute man ihm dort dann aber nicht lange zu: zu intellektuell, zu nachhaltig/langfristig denkend. Für den ÖFB sollte er ab 2011 eigentlich das nationale Zentrum für Frauenfußball in St. Pölten aufbauen, bekam dann aber im April 2011 (wegen eines Notstands) auch gleich den Trainer-Posten umgehängt. Seitdem wird kontinuierlich aufgebaut; vieles von dem, was Thalhammer und sein Team anpackten, wurde später/zeitgleich auch bei den Männern umgesetzt. Das bissige Angriffs-Pressing etwa, das die meist jungen, schnellen Spielerinnen beherrschen, der Ehrgeiz so viele Akteurinnen wir möglich in die starken Ligen (am besten nach Deutschland) zu kriegen, ausgefeilte Matchpläne, taktische Schulungen, ein gut eingespielter Stamm etc.
Mittlerweile sind Österreichs Frauen im Vorzimmer zur europäischen Klasse angekommen. Kleine Turniere wie den Cyprus-Cup gewinnen sie sicher, Platz 2 (hinter den jeweils Großen) in den Quali-Gruppen zu den Großereignissen ist mittlerweile fix abgesichert.
Die Euro-Töpfe (in Klammer der aktuelle Weltranglisten-Platz)
Pot 1: Titelverteidiger Deutschland (2), Frankreich (3), England (5), Ausrichter Niederlande (12)
Pot 2: Schweden (6), Norwegen (11), Spanien (14), Schweiz (15)
Pot 3: Island (16), Italien (17), Dänemark (20), Schottland (21)
Pot 4: Russland (22), Österreich (25), Belgien (26), Rumänien (36) oder Portugal (40).
Die Mittelklasse (Finnland, Tschechien...) wird (durch gut organsierten Offensiv-Fußball samt gediegener Absicherung) sicher besiegt, auch Russland oder Italien hat man bereits hinter sich gelassen. Vorneweg stehen noch etwa zehn bis zwölf europäische Teams, die höhere Qualität haben. Thalhammers mittelfristiger Plan sieht wohl vor, sich - auch durch eine schlau gespielte Euro - in den nächsten zwei, drei Jahren in die Top 8 vorzuarbeiten. Denn soviel Teilnehmerinnen stellt Europa dann für die WM 2019. Und realistisch ist dieses Vorhaben allemal.
Der nötige Zwischenschritt wird gerade vorbereitet: bei der Euro (wo man aus Topf 4 gegen drei nominell stärkere Gegnerinnen gelost wird) mit scharfem, angriffigem Pressing, aus der Abwehr herausgespielten Kontern, schnellem Kurzpass- und Umschaltspiel eine gute Rolle abgeben. Team Deutschland war beeindruckt und wankte fast eine halbe Stunde lang (Minute 46 - 75) erheblich. Gegen eine Mannschaft aus Pot 2 kann man so bestehen, das hat auch das 2:2 in Norwegen (im April dieses Jahres) gezeigt, gegen die Teams aus Topf 3 werden andere Strategien wirksam werden. Thalhammers Team tüftelt schon.
Wer sich zum Thema österreichischen Frauenfußball weiterbilden will, kann das hier umfassend tun.
2) Das Wiener Derby ist ein Spiel ohne große Aussagekraft
Nichts gegen medial hochgepimpte Erwartungshaltungen. Etwas an sich Ödes wie das viel zu zeitig hingesetzte Ski-Weltcup-Opening in Sölden (die nächsten Rennen sind am 12. und dann erst wieder am 26. November und erst dann kriegt der Bewerb die Kontinuität, die ihn medienbeherrschend und spannend macht) durch Fragen wie "Ist Hirscher überhaupt in Form?" oder "Wer macht uns denn jetzt die Fenninger?" anzuheizen, ist legitim. Sofern man's spielerisch nimmt.
Dass die Rapid-Fans das sonntägliche Spiel gegen die Austria, eine nicht gerade aufregende Begegnung auf Augenhöhe, die durch zufällige Dynamiken, nicht aber durch einen Klasse-Unterschied entschieden wurde, zum Anlass nahmen um den Abgang von Coach und/oder Sportchef zu fordern, zeugt von einem schlimmen Kurzzeit-Gedächtnis: das, was am Euro-League Donnerstag ins Positive kippte und entsprechend belobigt wurde, unterscheidet sich von dem, was gestern in der Liga schlecht ausging, nur in Nuancen.
Rapid ist unter Coach Büskens ein paar Zentimeter weiter als in den letzten Barisic-Monaten - das belegen auch diese Zahlen; ob das an den derzeit höherklassigen Spielern oder doch an einer substanziellen Idee liegt, lässt sich noch nicht wirklich sagen. Und: nur weil der Stadion-Neubau blitzeblanke Europa-Klasse suggeriert, bedeutet das nicht, dass sich auch das Team im gleichen Maße steigern muss/kann. Die Aufgeregtheit rund um Rapid erzählt viel mehr über die Fans, das (auch mediale) Umfeld und die vielen Reinplauscher (von Johann "Leberwurst" K. angefangen) als über den aktuellen Zustand des Teams. Es erzählt eine Geschichte von Großmanns-Sucht und (durch zu große Architektur bedingte) Selbstüberschätzung.
Ein Fehler, den der direkte Konkurrent aktuell auch deswegen nicht begeht, weil er im für den Liga-Alltag ungeeigneten, grauenvollen Happel-Stadion residieren muss, weil Coach und Vereinsführung weiter das Motto der Tiefstapelei ausgeben und so Platz 4 gut aussehen lassen. Das ist dann die Basis auf der sich dann eben auch eine Leistung wie die in Rom am Donnerstag ausgeht, wo die Austria es den ÖFB-Frauen gleichtat und gegen einen Weltklasse-Gegner einen Zwei-Tore-Rückstand aufholte.
3) Damit Canadi ist der beste in Österreich tätige Trainer
Apropos AS Roma. Deren Coach, der stets schick gekleidete Taktik-Fuchs Luciano Spalletti warnte vor der Begegnung mit der Austria explizit vor zwei Spielern: Kayode und Tajouri.
Zurecht. Nach seiner späten Einwechslung legte Tajouri Kayode den Ausgleich auf.
Nun ist Ismael Shradi-Tajouri, in der Schweiz geborener Lybier mit auch österreichischer Staatsbürgerschaft, aktuell nur als Joker im Einsatz. Volle Spielzeit und die Möglichkeit sich derart zu entfalten, dass er einem Coach einer Spitzenmannschaft auffällt, bekam Tajouri in Altach. Bei einem anderen Spitzen-Coach, der dieses sein Potential auch erkannt, geschärft, zugespitzt und genutzt hat: Damir Canadi.
Um da auch einmal die jungen Kräfte in den Regionalligen vor den Vorhang zu holen: das was Andreas Moriggl (Gleisdorf/Mitte) und Thomas Hofer (Anif/West) aktuell leisten, sollte größere Klubs, die nicht bloß einen abgetakelten Ex-Teamspieler verpflichten wollen, neugierig machen.
PS: Am Mittwoch wurde diese Reihe durch Goran Djuricin (Ebreichsdorf) ergänzt.
Canadi ist mit dem SCR Altach nicht nur der einzige österreichische Chefcoach in den Top 5 der Liga, seine Leistung die Vorarlberger auf Rang 2 zu halten und auch dort oder zumindest in der oberen Hälfte zu überwintern. ist aber die bei weitem beste aller Coaches im heimischen Profi-Fußball.
Canadi bekommt - siehe Tajouri, oder auch Oberlin - bestenfalls überzählige Jungkräfte oder abgelegtes Personal auf Leihbasis, muss sich sowohl seine Legionäre (wie Ngamaleu) als auch seine Stammkräfte selber schnitzen und zu einer Einheit formen.
Canadi hat frühere (Netzer, Schiling) und aktuelle (Jäger, Dovedan, Zivotic) Junioren-Teamspieler. Er hat Zugriff auf gute Vorarlberger Talente (von Zech/Zwischenbrugger bis Müller) und auch eine Ahnung von jenen in Wien (Luxbacher, Harrer); er holt Spieler, die eine zweite oder dritte Chance brauchen (Prokopic, Lukse, Pat Salomon, Mahop).
Canadi hat Andreas Lukse in den Teamkader gebracht (wo er derzeit gar die Nummer 2 ist) und Andreas Lienhart auf die Abrufliste.
Und vor allem: Canadi kann mit diesen Spielern etwas anfangen, er kann sie in seine Matchpläne setzen, er kann ihnen Strategien und Ideen vermitteln, die dabei helfen als Zwerg im Konzert der Großen mitzuspielen. Canadi kann nämlich Taktik wie sonst nur Hütter, Stöger/Schmid oder Hasenhüttl.
Und, noch vor allemer: er macht das zum bereits zweitenmal. Mit Altach, mit der Mannschaft, die er aus Liga 2 in die Bundesliga geführt hatte: Schon 2014/15 war man als Dritter hinter Salzburg und Rapid nach Europa gegangen.
Canadi kann also alles: aufsteigen, konsolidieren, abwägen und zulegen. Und das alles mehr als einmal. Und das mit deutlich geringerem Etat als der Großteil der Konkurrenz.
Der Wiener Canadi war ein Mittelklasse-Spieler, bekam dann auch nur bei kleinen Wiener Vereinen (Fortuna, Donau, FAC, Simmering...) eine Chance aufs Traineramt. Auch als er mit Rashid Rakhimov nach Russland zu Lok Moskau mitging (gemeinsam mit Alfred Tatar oder Gerhard Hitzel) und dort ein Jahr internationale Luft schnupperte, reichte das den heimischen Vereinen nicht. Canadi musste sich über den FC Lustenau, mit dem er Unmögliches erreichte, hochhackeln, ehe es dann die Chance in Altach gab.
Canadi ist nämlich nicht Teil einer Partie, einer Seilschaft, küngelt nicht mit Medien. Er ist einfach gut. Und, bringt man die Mittel und Möglichkeiten in Relation, der Beste.
Canadi könnte demnächst von der Schweiz entdeckt werden, wo man gerade auf Coaches, die in Österreich gut gearbeitet haben, steht: nach Adi Hütter mit YB hat jetzt auch Peter Zeidler mit Sion einen Erfolgslauf. Oder ein Süd-Verein der deutschen 2. Liga schlägt zu.
Verpasst haben ihn die heimischen Groß-Clubs, von denen die Mehrzahl lieber mit Coaches arbeiten, deren taktische Variationsbreite so schmal ist wie das entsprechende Wissen ihrer Funktionäre.