Erstellt am: 26. 11. 2016 - 17:40 Uhr
Ihr mit euren Workshops die ganze Zeit!
Workshops!
Der ideale Zeitvertreib für Leute, die gerne Workshops besuchen.
Nachdem Marie heute Abend Hip Hop-Yogalates hat, Karina ihren Craniosacral-Scherenschnitt-Workshop besucht, Jan sein Intuitions-Training für Startupgründer abhält und Oliver beim Silent Poetryslam-Kurs ist, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als daheim zu bleiben und diesen Text zu schreiben, der die Fragen
1. Wie fad muss es eigentlich jenen Leuten im Schädel sein, die ständig irgendwelche Workshops besuchen?
und
2. Wie können die sich das eigentlich leisten?
erörtern soll. Die erste kann ich sogleich beantworten:
Sehr!
So mancher Kurs-Schedule ist wirklich beachtlich. Die vernünftigste Freizeitaktivität, nämlich abends ganz einfach Bier zu trinken, ist mit mancheinem, vor allem aber mit mancheiner aus Termingründen kaum mehr möglich, weil täglich irgendein Kurs der Marke “Atmen neu denken” oder “Systemische Beratung am Surfbrett” zu absolvieren ist.
Man möge mir die Betonung dieses gefühlten Gendergaps im letzten Satz verzeihen, ich verfechte statt der stadiontauglichen Aufzählung vermeintlicher Unterschiede zwischen den Geschlechtern stets die wohlwollende Suche nach dem Verbindenden, will aber nicht unerwähnt lassen, dass ich kaum Männer kenne, die permament halbesoterische Quaksalber-Lehrgänge besuchen. Vielleicht irre ich in dieser Hinsicht, dann irre ich gerne.
Niemandem möge abgesprochen sein, in beaufsichtigter Entspannungsgymnastik die Rückenmuskulatur zu stärken oder rumänische Gebärdensprache zu lernen. Wenn Fachkräfte Können'n'Wissen weitergeben, ist das wunderbar.
Die Rede ist vielmehr vom riesigen Reich des Halbseidenen. Vom unüberblickbaren Heer an selbsternannten Experten für Glück, Gesundheit und Transzendenz, die ohne seriöse Referenzen unzähligen Selbstoptimierungs- oder -findungswilligen gegen ausgefüllte Erlagscheine Schwindligstes beizubringen vorgeben.
ORF
Kleiner Erlebnisaufsatz zum Thema: Vor einigen Jahren hatte ich eine junge Nachbarin, die mir an sich gar nicht so z’wider war. Als wir einmal taten, was man mit Nachbarn eigentlich nie tun sollte, nämlich in meiner Wohnung ein Flascherl zu köpfen und uns länger zu unterhalten, berichtete sie mir vom Gewerbe, dem sie nachging. Ein- oder zweimal im Monat lockte meine findige Bekannte wohlbegüterte Geschäftsleute für ein Wochenende auf Berghütten oder Segelschiffe und gab vor, den Burnout-Kandidaten in einem ausgedehnten und sündhaft teuren Workshop dabei zu helfen, ihre eigentlichen Ziele und Visionen zu ergründen.
Das klang nach einer zwar entsetzlichen, aber alles andere als zeitintensiven Arbeit. Ich fragte sie, wie sie denn zu jener Erforscherin von geheimen Manager-Sehnsüchten geworden war. Verblüffenderweise machte die gerissene Nachbarin gar keine Hehl daraus, dass sie überhaupt keine brauchbare Ausbildung dafür hatte. Nicht einmal besonders viel Erfahrung hatte sie. Ihre einzige Referenz war gleichzeitig auch die Geburtsstunde der Idee gewesen: Sie hatte einfach mangels beruflicher Perspektiven selbst ein ähnliches Seminar besucht und sich danach gedacht, ich verkürze zwecks Würze: “Das kann ich auch!”
Gedacht, gemacht. Wordpress-Seite aufgesetzt, potente Firmen zugespamt und zwei Monate später cruiste sie mit ausgebrannten Aufsichtsratsvorsitzenden durch die Weltmeere und kitzelte für höhere vierstellige Summen pro Person die verdrängten Sehnsüchte aus ihren Kunden.
Faszinierend, wie einfach das Leben sein kann, wenn man sich einfach gar nichts scheißt! Als wir uns ein andermal trafen, war die Nachbarin gerade von einem derartigen Edel-Lehrgang zurückgekommen und erzählte mir davon. Dabei hatte ich fast den Eindruck, dass sie wirklich ein bisschen daran glaubte, die Biographien ihrer Auftraggeber pimpen zu können. “In einer Umgebung fern von Terminen und Stress, ganz in der freien Natur, können wir uns gemeinsam darauf besinnen, wer wir eigentlich sind und was wir eigentlich wollen bla bla bla.”
Was sie denn da genau mache mit denen, fragte ich sinngemäß. Die darauffolgenden Floskeln habe ich verdrängt, aber ich wurde lästig und bat sie, “sowas” doch mal mit mir zu machen, am besten jetzt und sofort. Ich war überrascht, dass sie sofort einwilligte und aus ihrer Wohnung ein Blatt Papier holte, das mit einem großen Dreieck bedruckt war.
ORF
Sie bat mich, meinen "Ist-Zustand" in Stichwörtern zu beschreiben. Ich verstand zwar nicht genau, was sie von mir hören wollte und sagte daher einfach irgendwas, damit sie irgendwas in einen Winkel des Dreiecks schreiben konnte. Als nächstes bat sie mich, meinen "Soll-Zustand" zu beschreiben. Das fiel mir noch schwerer, denn ich war mit dem "Ist-Zustand" ja recht zufrieden. Um die Übung aber nicht schon beim ersten von drei Schritten abzubrechen, erfand ich halt ein paar berufliche Ziele. Diese notierte sie im gegenüberliegenden Winkel des Dreiecks. Fehlte also noch ein unbeschriebener Winkel! Diesen sollte ich mit möglichen Maßnahmen füllen, die den Ist- in den Soll-Zustand verwandeln konnten. Ich nannte ein paar Vokabeln wie “Beharrlichkeit”, damit die Übung langsam ihr Ende fand. Das tat sie auch augenblicklich.
Aus, Ende, Dreieck fertig ausgefüllt. Jetzt hatte ich schwarz auf weiß vor mir, was ich zu tun hatte, um meine verborgenen Wünsche in die Tat umzusetzen.
DAFÜR zahlten hochrangie Wirtschaftstreibende also ein halbes Monatsgehalt?!
Wow.
In diesem Moment spekulierte ich kurz mit dem Gedanken, alle Ambitionen auf der Stelle zu begraben und fortan ebenfalls Manager Dreiecke ausfüllen zu lassen.
Indirekt beantwortete die Episode mit meiner Ex-Nachbarin aber die zweite eingangs gestellte Frage. Entweder man verdient gut in der Werbeagentur oder man finanziert sich die exzessiven Ausflüge ins Schattenreich der substanzlosen Freizeit-Lehrgänge einfach quer, indem man das dort erworbene “Wissen” schon am nächsten Tag einfach als Lehrender weiterverbreitet. Man könnte fast von einer Parallelwährung sprechen. Wenn sich nach dem Lachyoga die Doppelstunde “Bearbeitung von hinderlichen Glaubenssätze durch ayurvedisches Maskenschnitzen” nicht mehr ausgeht, bietet man halt einfach einen Kurkuma-Kochkurs für Alleinerziehende in der WG-Küche an. Oder übt sich in der absoluten Königsdisziplin, dem sogenannten “Coaching für Coaches”. Derlei Veranstaltungen sind keine überspitzte Erfindung, sondern finden regelmäßig und gut gebucht statt.
Für die Bewältigung psychischer Defizite oder die Suche nach dem Sinn des eigenen Daseins suchen die einen Psychologen auf, andere wiederum vertrauen auf Engel oder konsumieren dubiose Salze. Zwischen Wissenschaft und eindeutigem Esoterik-Humbug gibt es aber das breite Feld der gefährlichen Mischform. An allen Ecken lockt die gut getarnte Scharlatanerie und hat eine ebenso hässliche Fratze wie der offensichtliche Nepp, bloß ist ihre Verkleidung viel listiger als jene der Glaskugel-Medien und Wünschelrutengänger. Die Argumentationslinie in der Kundenaufstockung ist freilich ident: Von “Einer Freundin hat es total geholfen” bis “Auch DU kannst alles schaffen” bis zu “Auch wenn wir belächelt werden, es ist erwiesen!”.
ORF
Merksatz: Die richtige Lebenseinstellung kann man nicht auf der VHS buchen und Zufriedenheit gibt es genausowenig im Zehnerblock wie Kreativität auf Rezept.
Wer mit einer Schnupperstunde bei der Qi Gong-Familienaufstellung auch nur liebäugelt, muss auf der Stelle einen Satz mit “postfaktisch”, “Filterblase” und “Die sogenannte Wissenschaft” bilden. Wer mir vorwirft, hier polemisch Kraut mit Rüben zu vermengen, weil sich bei mir Yoga mit astrologischer Karma-Schattenarbeit in einem Atemzug ausgeht, dem sei gesagt: Ich bin es eben nicht, der einen üblen Smoothie aus fernöstlicher Medizin, Second-Hand-Erkenntnisgewinn, Feelgood-Ernährungslehre und Erleuchtungs-Sport im Workshop-Standmixer zusammenbraut.
Ich muss jetzt schließen, denn Karina und Jan haben soeben angerufen und wollen am Heimweg von ihren Kursen noch auf einen Karibik-Hugo schauen.
Da lasse ich mich natürlich nicht zweimal bitten! Man sieht sich ja ohnehin viel zu selten. Ich werde die beiden fragen, ob sie es fein hatten im Kurs und einen Teufel tun, auch nur eine Zeile dieses überlangen Hasspostings zu wiederholen. Zu unserem späten Treffen werde ich zu Fuß gehen, das tut nämlich meinem von der Bildschirmarbeit geschwächten Körper gut.
Nett zu den Freunden sein und öfter mal zu Fuß gehen - zwei bewährte Bausteine meines persönlichen Glücks, auf die ich ganz von alleine gekommen bin und die ich hiermit kostenlos weitergebe.