Erstellt am: 23. 10. 2016 - 01:51 Uhr
"Out There"
Ständig gibt es Neues zu entdecken. So viele Dinge sind interessant, und so wenig Zeit steht dafür oft nur zur Verfügung. Die limitierte Zeit ist zwar einerseits etwas bedauerlich, doch das Wissen um die vielfältigen Möglichkeiten an sich ist in vielen Fällen schon Geschenk genug. Arm sind die, denen fad ist. Glücklich jene, die neugierig sind und es bleiben.
Die Neugierde ist auch eine der wichtigsten Antriebskräfte der inspirierenden Vortragsreihen TED bzw. TEDx, also unabhängig von der US-Muttermarke organisierte Veranstaltungen auf der ganzen Welt. In Wien hat nun wieder eine solche TEDx stattgefunden, ganztägig, unter dem Motto: "Out There". 20 internationale Gäste haben im Volkstheater zu unterschiedlichen Themenbereichen vorgetragen. Sie haben über ihre Lebenserfahrungen gesprochen und von ihren jeweiligen Unternehmungen berichtet. Eröffnet hat die Veranstaltung der junge Chor "Neue Wiener Stimmen", der nach ein paar Medleys auch gleich das Publikum zum Mitsingen aufgefordert hat. "Bring out your voice, open up your heart, and you will understand!" - Warum auch nicht?
Robert Glashüttner
Kirche der Inspiration
Zugegeben: Ein bisschen etwas Religiöses hat eine TED- bzw. TEDx-Veranstaltung ja schon an sich. Oder zumindest was von Jungscharlager. Es wird gemeinsam gesungen und gezeichnet, es werden Gedichte aufgesagt und ein Gedankenleser erkennt mit der Kraft seines Geistes (oder so) die Wünsche, Urlaubsdestinationen und Telefonnummern mancher BesucherInnen – zumindest gab es all das bei "Out There".
Inspiration, Motivation, gegenseitiger Austausch. Mehr aus sich machen, sein Umfeld verblüffen, die Welt verändern. Dieser große Ansporn schießt zwar immer wieder mal übers Ziel hinaus, sorgt aber zumindest bei der TEDxVienna auch für ein bemerkenswertes und unkonventionelles Line-up an Gästen – vor allem aus dem Bereich der Naturwissenschaften. Nehmen wir etwa die Astrophysikerin Katherine Freese, die dunkle Materie erforscht. Abstrakt, aber faszinierend: Nur 5% der Galaxien bzw. des Universums besteht aus der "normalen" Materie, wie wir sie kennen. Der Rest bleibt buchstäblich im Dunklen. Auch interessant: Die Erforschung Dunkler Materie ist von weiblichen Forscherinnen geprägt, die Dunkle Energie hingegen eine Männerdomäne. Bringt aber alles nichts, denn: MACHOS haben ausgedient, die Forschung hat bewiesen, dass die WIMPS zu mehr Erkenntnis führen.
Robert Glashüttner
Back in time
Robert Glashüttner
Gleich im Anschluss spricht Ronald Mallett, ein theoretischer Physiker, dessen Lebenswerk die Entschlüsselung von Zeitreisen ist. Der Ansporn dazu ist eine persönliche Geschichte, die ihn seit seiner Kindheit begleitet: Malletts Vater ist sehr früh verstorben. Die für ihn einzige logische Schlussfolgerung, wie es möglich ist, mit ihm wieder in Kontakt treten zu können, ist eine waschechte Zeitreise. Theoretisch ist das mittlerweile auch alles bewiesen und von ihm durchgerechnet, sagt Ronald Mallett. Nur die notwendige Energie, um das Ganze auch tatsächlich durchführen zu können, ist derzeit noch nicht aufwendbar.
Ronald Malletts Zeitreiseforschungen basieren auf den Erkenntnissen Einsteins – gleichzeitig wirken sie wie wahrgewordene Träume aus der Science Fiction. Das Prinzip dahinter: Licht kann Schwerkraft erzeugen und damit den Raum in Bewegung bringen. Und weil Raum und Zeit laut Einstein immer gekoppelt sind, wird die Zeit damit zwangsweise mitbewegt bzw. -manipuliert. Aber was ist mit dem Großvaterparadoxon, fragt ihr euch? Für Ronald Mallett ist die Sache klar: Wer aus seiner Dimension in der Zeit vor- oder zurückreist, steigt (ohne Retourticket) in eine Paralleldimension ein, die von der eigenen unabhängig ist. Viele-Welten-Interpretation nennt man das, und Star Trek-EnthusiastInnen wissen das selbstverständlich schon längst.
Entertainment und Partizipation
Die zweite Session (von insgesamt vier) von "Out There“ bei der TEDxVienna ist als Ausgleich zu Zeitreisen und Dunkler Materie wieder unwissenschaftlicher. Hier geht es um Entertainment und Motivation: ein 11-jähriges Wunderkind namens Joshua Beckford erzählt, was es alles kann, ein Snowboarder (Jamie Barrow) berichtet von seiner Willenskraft und ein Poetry Slammer (Harry Baker) lernt Deutsch. "Wie viele Falafel sind zu viele Falafel?" - "Vier Löffel Falafel sind zu viele Falafel!" - Ernst Jandl hätte seine Freude.
Robert Glashüttner
Auch gezaubert wird viel: Der eingangs schon kurz erwähnte "Mentalist" (Harry Lucas), der Gedanken liest, bittet am Anfang seines Auftritts das Publikum aufzustehen, um eine Art Eid zu schwören. Später lassen sich die Gäste von einem zweiten Zauberer (Kyle Eschen) munter weiter bluffen. Irgendwie passt diese Abwechslung besser zu den Talks als man glauben möchte: da und dort geht es ums Staunen.
Sonification
In der dritten Session am späten Nachmittag sind die Talks dann bunt gemischt. Besonders gelungen ist der Vortrag der Programmiererin Hannah Davis. Sie ist Expertin in der Vertonung von Daten. Wie der Wirtschaftsabschwung oder zumindest das Einbrechen der Aktienwerte eines Großkonzerns klingt, kann man auf ihrem Twitter-Profil sehen und hören. So klingt zum Beispiel die generierte Musik einer TV-Debatte zur US-amerikanischen Präsidentschaftswahl.
Davis hat sich mit ihrer Software bzw. ihrem Algorithmus darauf spezialisiert, Texte und dabei in erster Linie dramaturgische Abläufe und Emotionen in Musik umzuwandeln. Interessant ist das vor allem in Bezug auf die Diskussion darüber, ob es denn sein kann oder darf, dass Computer automatisiert Musik machen, die uns berührt. Machine Learning, ick hör dir trapsen!
Eineinhalb Kilo Kram
Die TEDxVienna, mittlerweile 80 Personen groß, wächst von Jahr zu Jahr. Der inhaltliche und organisatorische Umfang ist beachtlich. Weil die Non-Profit-Organisation mit der Start-Up-Szene verbandelt ist, sind die MacherInnen das Ärmelaufkrempeln und Anpacken gewohnt. Das zeigt sich unter anderem in der erfolgreichen Akquise an Sponsoren. Das Merch- bzw. Goodie-Bag von "Out There" ist dieses Mal sage und schreibe 1,5 Kilo schwer geworden. Kein Schmäh, ich hab's abgewogen.
Robert Glashüttner
Übertreiben die es nicht ein bisschen? Möglicherweise. Aber besser mit etwas Übereifer ein gutes Vorbild sein als zu lange in der Lethargie verharren. TEDxVienna, wir freuen uns auf ein Wiedersehen im kommenden Jahr!