Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Clemens Schick und der Tod"

Pia Reiser

Filmflimmern

22. 10. 2016 - 14:13

Clemens Schick und der Tod

Sterben kostet extra in "Stille Reserven". Ein österreichischer Sci-Fi-Thriller mit Film-Noir-Glasur beweist erneut, dass das österreichische Genrekino blüht. Kühle Wolkenkratzer statt Gemeindebau-Abgründen.

Umsonst ist nur der Tod, sagt man, aber denkste, nicht in der dystopischen Gesellschaft, die Valentin Hitz in "Stille Reserven" aus dem Wiener Boden wachsen lässt. Wer in diesem Wien "der nahen Zukunft" keine Todesversicherung abgeschlossen hat, der wird kurz vorm Ableben künstlich am Leben erhalten. Um als Organ-Ersatzteillager oder Leihmutter die Schulden abzuzahlen.

Der Tod ist zum Privileg der Reichen geworden. Das ist ja schon mal ein erfrischend unverbrauchtes Gedankenkonstrukt und dann wuchert es auch noch in einem österreichischen Film. Als vor fünf Jahren der Filmfonds Wien die Förderzusage des Films - damals noch "Die Ausgezehrten" betitelt - ausschickt, notiere ich hier meine Freude über eine weitere Annäherung ans Genrekino. Damals wurde in der Aussendung noch Alexander Scheer als Todesmakler angekündigt, in "Stille Reserven" folgt man nun Clemens Schick als Assekuranz-Agent Vincent Baumann durch die dunkle und kühle Welt, die sich in fantastischen Szenenbildern von Hannes Salat vor einem ausbreitet.

Clemens SChick in "Stille Reserven"

Filmladen

Glattrasiert und pomadiert ist Baumann systemtreuer Karrierist mit strengem Scheitel, unermüdlich verbreitet er Angst und Drohungen, bis potentielle Kunden die Todesversicherung abgeschlossen haben. Der Tod mag ein Wiener sein, aber jetzt kostet er eben was. In einem riesigen Bau arbeiten Männer im Anzug an kleinen Tischen, darüber wacht Marion Mitterhammer wie eine Bienenkönigin als Konzernchefin. Wer nicht spurt, wird degradiert, das müsste gar nicht so genau ausformuliert werden, wie es im Film passiert, im Grunde spricht die Architektur hier furcheinflößende Bände. Überhaupt ist es eine fantastische Abwechslung, mal Wien als urbanen Alptraum inszeniert zu sehen. Gleich hinter dem Heldenplatz beginnt die Hochsicherheitszone und eine Autobahn später wachsen Wolkenkratzer in den Himmel.

Filmladen

Die Chefin trägt einen "Vertigo"-Knödel

Was genau passiert ist, wie der Staat kollabiert und zu dem menschenverachtenden Ungetüm geworden ist, das erfährt man nicht. Und das ist auch gut so. Alles bis ins letzte Detail erklärende Filme gibt es ohnehin genug, Valentin Hitz besinnt sich mit "Stille Reserven" auf eine Beschwörung der Atmosphäre und es ist vor allem diese Inszenierung einer Zeitlosigkeit, die den Film so reizvoll macht. Eine genaue Jahreszahl wird dem Film nicht vorangestellt, Retina-Scans stehen an der Tagesordnung, jeder Mensch trägt einen Chip im Handgelenk - soweit so Sci-Fi-Grundausstattung.

Dann aber ist da Schicks strenger Scheitel und sein dreiteiliger Anzug und alte Wörter wie Assekuranz oder Degradierung. Und in einer kleinen Bar in den heruntergekommenen Sektoren, da sieht es überhaupt aus wie in einem Jazzclub der 1930er Jahre. Während zwar auf der Außenfassade Graffitis prangen und in Neon der Schrifzug "Casanova" aufleuchtet, so würde es einen nicht wundern, wenn drinnen schnell man Emcee aus "Cabaret" auftreten würde und in einem akuten Anfall von Sarkasmus das Lied vom schnöden Mammon singen würde. Stattdessen singt dort aber Lisa (Lena Lauzemis).

Lena Lauzemis in "Stille Reserven"

Filmladen

Denn: Keine Dystopie ohne Rebellion und Lisa ist Teil einer Widerstandsgruppe, die einen großen Sabotageakt plant. Mit einem Kurzhaarschnitt, roten Lippen und einer Felljacke braust Lisa auf einem Motorrad durch die Nacht. Oder singt in "Blue Velvet"-Manier vor einem Glitzervorhang "Teach me Tiger". Bis ich "Stille Reserven" gesehen hab, hätte ich nicht gedacht, dass die Welt noch eine Coverversion des April-Marchs-Songs braucht. Da sind auch ein paar hölzerne Dialoge schnell wieder vergessen.

Der inzwischen in konzerninterne Ungnade gefallene Baumann soll sich rehabilitieren, indem er die Widerstandszelle ausfindig macht. Lisa hingegen soll den Kontakt zu Baumann nutzen, um an Informationen - und Zugangspässe zu gelangen. Ist aber alles eigentlich gar nicht so wichtig. Wichtig und mächtig sind Bilder von einem riesigen Schwan, von Lagerhallen voll mit Menschen im künstlichen Tiefschlaf, ein Barkeeper im Westernhemd, eine Skyline.

Filmladen

Der wunderbar verschleppte Soundtrack von Balz Bachmann wartet sogar irgendwann mit einem Walzerthema auf, weil wo, wenn nicht in Wien, sollte es walzern. Und da drehen sich dann tatsächlich auch schon Clemens Schick und Dagmar Koller im Dreivierteltakt, während er ihr eine Versicherung aufschwatzt. Eine Walzer tanzende Dagmar Koller in etwas, das nicht "Tohuwabohu" ist, das muss man sich schon auch trauen.

Dagmar Koller und Clemens Schick in "Stille Reserven"

Filmladen

Der Mut von Valentin Hitz geht auf. Wie ein Film-Noir-Held stolpert schließlich Baumann durch diese Welt, die immer wieder so herrlich brüchig zwischen Zukunftsvision und Retroästhetik inszeniert ist. Eine Szene verbeugt sich vor "Tote schlafen fest" und natürlich kann man keiner weiblichen Figur in einem Sci-Fi-Thriller eine Pelzjacke anziehen, ohne dass einem "Blade Runner" in den Sinn kommt, während die Menschen im künstlichen Tiefschlaf Erinnerungen an "Coma" (tatsächlich einer meiner Lieblingsfilme) wecken. Doch "Stille Reserven" ist alles andere als ein Referenz-Fleckerlteppich, sondern ein weiterer höchst erfreulicher Ausflug des österreichischen Films ins Genrekino. Haben sie Wien schon bei Nacht gesehen? So sicher noch nicht.