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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

21. 10. 2016 - 19:35

Nach der Post-Internet-Kunst

Ein Besuch am "3hd Festival" und damit verbundene Post-Internet-Erfahrungen in Theorie und Praxis. Future mit Fragezeichen.

Wer in Berlin wohnt, hat ja das Glück, dass er sich nicht selbstständig um neue Ausgehmoden, Musikstyles und aktuelle Diskurse kümmern muss. Denn es gibt hier gleich mehrere Institutionen, die schon mal alles sichten, vor-kuratieren und den interessierten BerlinerInnen und Auswärtigen eine handliche Auswahl in Festivals und Themenabenden präsentieren.

Zu diesen Institutionen gehören das Festival ctm (club transmediale), aber auch die Berliner Theater HAU (Hebbel am Ufer), Gorki und die Volksbühne. Am letzten Wochenende lud man im HAU zu „Creamcake 3hd Festival: There is nothing left but the Future? Acting under capital“.
Das Programm kündigte viele KünstlerInnen aus der ganzen Welt an, ich kannte kaum jemanden, was aber nichts zu heißen hat.

Eine Freundin meinte, das wäre eine tolle und sehr coole Veranstaltung, man müsse unbedingt hingehen. Was es eigentlich genau sei, konnte sie auch nicht sagen. Denn das Programm war so geheimnisvoll, dass uns auf den ersten und zweiten Blick nicht klar war, welcher Kunstformen man sich jetzt bei dem Festival bedienen würde.

Sujet 3hd Festival rosa

3hd Festival

Auf der Seite des Theaters war zu lesen, dass man sich in der zweiten Ausgabe des 3hd Festivals mit der Setzung des Fragezeichens hinter „Future“ dem Trend verweigere, über die Zukunft zu spekulieren und sich stattdessen potentiellen Lösungen für Probleme der Gegenwart widme. Dieser Gedanke sollte während des zweitägigen Programms erkundet werden.

Ein Bekannter stellte die gewagte These auf, es würden bei diesem Festival eventuell Formen gezeigt, die es so noch gar nicht gäbe. Er hatte nämlich in der „Spex“ gelesen, es ginge bei dem Festival um neue und hybride Sound- und Performanceprojekte aus dem Internet.

Ich gab zu bedenken, dass es ja schon irgendwie performativ sein müsse, wenn es auf einer Bühne stattfindet. Und schließlich konnte ich in dem Programm: AGF, COOL FOR YOU, Inga Copeland / Lolina, Nile Koetting, Soda Plains mit Negroma doch einige Musikerinnen identifizieren. Also muss es ja doch was mit Musik sein!

Aufklärung brachte dann ein Interview mit den Macherinnnen von Creamcake im „Missy Magazin“. Creamcake ist also eine regelmäßig stattfindende queerfeministische elektronische Club-Nacht in Berlin. Die Macherinnen präsentieren dabei Neuentdeckungen aus dem Bereich der digitalen Szene – von bahnbrechenden Musikproduzent*innen und DJs zu multidisziplinären Acts – und vernetzen Künstler*innen und Zuschauer*innen weltweit.

Mit dem Festival soll nun zeitgenössischer Clubsound aber auch der Online Underground präsentiert werden. Es sollen musikalische, diskursive und visuelle Ebenen zusammengebracht werden. Das alles in einem Mix aus Live-Veranstaltungen und Online-Inhalten, darunter Performances, Gespräche, eine Ausstellung, exklusive Online-Projekte und Interviews. Dabei stehen Projekte im Vordergrund, in denen es um Androgynität, neue Formen der Geschlechterinszenierung und queere Geschlechterpolitik geht.

Im Missy Interview hieß es weiter:

“Es geht um Post-Internet-Themen wie digitale Identitäten, Posthumanismus, Queer Theorie, Informationsüberflutung .Uns interessiert die untrennbare Beziehung zwischen Audio und Visuellem: Die Künstler*innen, mit denen wir arbeiten, sind nicht nur Musiker*innen, sondern auch Medienkünstler*innen. Sound, Bild und Identität entwickeln sich abhängig voneinander. Das Internet ermöglicht eine interaktive audiovisuelle Erfahrung. Post-Internet-Musik ist nicht mehr nur ein Musikphänomen.“

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nichts von Post-Internet Music gehört, forschte weiter und erfuhr Folgendes: Post-Internet bedeutet nicht, dass bald das Netz abgeschaltet wird und es dann eine Nach-Netz-Kunst gibt. Post-Internet Music heißt, dass für die digital sozialisierte Generation das Netz Alltag und selbstverständlicher Teil der künstlerischen Praxis ist. Das Internet wird bei der Kunst- und Musikproduktion eben einfach immer mitgedacht. Aber nicht im Sinne davon, dass etwas für das Internet produziert wird oder später runtergeladen wird, sondern dass etwas in einem "Internet State of Mind", einem internetgeprägten Geisteszustand produziert wird.

First Aid-Performance

Creamcake

First Aid-Performance

„Hochinteressant“ dachte ich, erfuhr aber gleich danach, dass die Post-Internet-Kunst auch schon wieder ein alter Hut ist. Die meisten Post-Internet-Künstler, so schrieb etwa der New Yorker Kritiker Brian Droitcour in seinem Pamphlet "Warum ich Post-Internet Art hasse" seien Karrieristen und ihre Kunstmethoden schwer zu unterscheiden von Werbung und Produktplatzierung.

Der Artikel bescherte mir das tröstliche Gefühl, dass auch vielen anderen Menschen der Drang zur dauernden Selbstvermarktung auf Facebook, Twitter, Instagram oder Tumblr total auf die Nerven geht.

Der Festivaltag an sich im HAU war dann leicht anstrengend. Zuerst bewegten sich in einer quälend langen postapokalyptischen Performance verschiedene Performer am Tropf, am Wasserspender und im Rollstuhl über die Bühne, während eine Stewardess nonstop ihre typischen Hand- und Armbewegungen vollführte und eine Geigerin im Clochard-Mantel verträumt geigte.

Über den nächsten Act- die Künstlerin und Autorin Vika Kirchenbauer - wusste ich nichts. Das Programmheft sagte, dass sie in ihren Arbeiten das Opake, Undurchsichtige in der Repräsentation des „Anderen“ untersucht. Und dabei bewusst widersprüchliche Verfahren wie übertriebene Explizitheit, exzessive Formen des (Mit-)Teilens und Pervertierungen des Partizipatorischen benutzt.

Ihr Auftritt war dann aber überraschend kurzweilig und interessant. Sie stellte am Elektronikpult mit Soundschnipseln, Krach und Gesampeltem eine ansprechende Soundkulisse her, die Zuhörerinnen wurden gleichzeitig mit einer Wärmebildkamera gefilmt und im Gruppenbild mit ihren mehr oder weniger orange verfremdeten Umrissen konfrontiert.

Höhepunkt des Abends war der Auftritt von Inga Copeland. Sie ist Eingeweihten als Teil des Duos Hype Williams bekannt, das für einen Sound aus Dub, Goth Synthesizer und Metalsamples steht - alles natürlich clever zitiert und geschickt miteinander verwoben. Ihr Elektronik-Pop-Debut trägt den Titel „Because I‘m Worth it“. Frei nach L‘Oreal: Weil ich es mir wert bin. Zu den Visuals, Bilder einer kanadischen Stadt am See mit viel Vegetation außenrum, sang sie die Hits ihrer Platte: „Advice to young girls“ und „The city is yours“.

Das war sehr schön. Auf dem Heimweg überlegten wir, ob das nun das bahnbrechende neue Konzept wäre: Drei Musikproduzentinnen auf der Bühne mit Visuals und vorher eine Performance, und ob das ganze Festivalprogramm nicht etwas überdeterminiert wäre.
Andererseits- die Recherchen waren ja sehr interessant, teilweise interessanter als das Bühnenprogramm - und das wiederum ist in der Post-Internet-Kunst angeblich oft genauso.