Erstellt am: 21. 10. 2016 - 15:52 Uhr
The daily Blumenau. Friday Edition, 21-10-16.
#demokratiepolitik
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die bisherige Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Dieser Text ist auch wieder dem von der BR-Zündfunk-Redaktion entwickelten Münchner Netzkongresses zu verdanken.
"It's just a classic tool, tactic to try to undermine the Democratic process" sagt der New Yorker Bürgermeister Bill De Blasio gestern über Donald Trumps Wahlanfechtungs-Sprüche: We've seen this before. This is what fascists do.
Uh, da ist er, der Gottseibeiuns, der Faschist, dieser Begriff, den man - wegen allzu großer Verseuchung, wegen Verwässerung, wegen der sofort eingesetzten Faschismus-Keule - so gar nicht verwenden darf, vor allem im deutschsprachigen Raum.
Hände weg!
Oder doch nicht?
De Blasio bezichtigt niemanden ein Faschist zu sein, sondern erkennt Tools aus dem klassisch-faschistischen Instrumentarium. Ist das so? Und wenn ja, welche Leitsätze wären da noch?
Der wie De Blasio vergleichsweise unverdächtige Umberto Eco hat in einem Essay von 1995 die 14 Kennzeichen des Ur-Faschismus definiert - der Blick darauf lohnt sich zwanzig Jahre später mehr denn je.
Ecos Merkmale sind...
1) der Traditionskult
Es kann daher keinen Fortschritt der Erkenntnis geben. Die Wahrheit ist ein für allemal verlautbart. Basis des Irrationalismus.
2) die Ablehnung der Moderne
tarnt sich als Ablehnung kapitalistischer Lebensweise.
3) der Kult der Aktion um der Aktion willen
Denken ist eine Form der Kastration. Daher wird Kultur verdächtig, sobald sie mit kritischen Einstellungen identifiziert wird. Misstrauen gegenüber der Welt des Intellekts.
4) Dissens, fehlende Übereinstimmung ist Verrat.
Gegenpol zur Wissenschaft, die mangelnde Übereinstimmung als bereichernd lobt.
5) die natürliche Angst vor Unterschieden ausbeuten und verschärfen
Auf der Suche nach breitem Konsens richtet sich der erste Appell gegen Eindringlinge; Beginn von Rassismus.
6) individuelle oder soziale Frustration
Appell an eine frustrierte Mittelklasse, die unter einer ökonomischen Krise oder der Empfindung politischer Demütigung litt und sich vor dem Druck sozialer Gruppen von unten fürchtete.
7) das einzige Privileg ist im selben Land geboren zu sein
Das Narrativ, seiner gesellschaftlichen Identität beraubt zu sein, die Obsession einer Verschwörung, Belagerungsgefühl - ist am leichtesten mit einem Appell an den Fremdenhass zu erreichen.
8) Feinde sind gleichzeitig zu stark und zu schwach
Die Anhänger müssen sich vom offensichtlichen Reichtum und der Macht ihrer Feinde gedemütigt fühlen.
9) Leben um des Kampfes willen
Pazifismus ist daher Kollaboration mit dem Feind. Versprechen eines neuen goldenen Zeitalters.
10) Elitedenken
Jede reaktionäre Ideologie hat eine grausame Verachtung des Schwächeren im Gefolge. In hierarchisch organisierten Gruppen verachtet jeder Führer seine Untergebenen - das verstärkt massenhaftes Elitebewusstsein.
11) Erziehung zum Heldentum
Heldentum als Norm, Todeskult.
12) Übertragung des Willens zur Macht auf die Sexualität
Machismo, Frauenverachtung, gewalttätige Intoleranz gegenüber ungewöhnlichen Sexualgewohnheiten. Spiel mit Waffen als phallische Ersatzübung.
13) Selektiver, qualitativer Populismus
Keinerlei Rechte für Individuen, das Volk (als theatralische Fiktion) ist eine monolithische Einheit, die den Willen aller zum Ausdruck bringt, mit Führern als Deutern. "In der Zukunft erwartet uns ein TV- oder Internet-Populismus, in dem die emotionale Reaktion einer ausgewählten Gruppe von Bürgern als Stimme des Volkes dargestellt und akzeptiert werden kann." Gegenmodell zu "verrottetem" Parlamentarismus.
14) Neusprech
Newspeak im Orwell'schen Sinn. Verarmtes Vokabular und Syntax ersticken komplexes und kritisches Denken im Keim.
"Der Urfaschismus kann in der unschuldigsten Verkleidung wieder auftreten. Wir haben die Pflicht, ihn zu entlarven und jedes seiner neueren Beispiele kenntlich zu machen." Umberto Eco, 1995
Hier wird anhand seiner Thesen der urfaschistische Kern der AfD untersucht. Für die FPÖ steht eine solche Analyse noch aus - darüber hat sich die österreichische Intellektuellen-Elite nicht drübergetraut.
Und jetzt noch der strenge Vater...
Im dieswöchigen Falter findet sich ein Gespräch mit dem Linguistik-Professor George Lakoff, dessen Lectures über Sprachbilder bzw. framing die politische Kommunikations-Landschaft verändert haben. Lakoffs Grundthese: Sobald man die sprachlichen Frames der Gegenseite übernimmt, transportiert man automatisch deren (und keinesfalls mehr das eigene) Wertesystem.
Lakoff spricht auch über Frank Luntz, den legendären Spin-Doctor, der etwa aus der "globalen Erderwärmung" den viel harmloser klingenden "Klimawandel" gemacht hat - ein framing, dem die gesamte Welt blind gefolgt ist.
Luntz hat das strict-father-model in den politischen Diskurs gebracht, eine These, die besagt, dass nur derjenige, der eine strenge (natürlich väterliche) Erziehung genossen hat, die Moral und innere Disziplin besäße, die Erfolg garantieren würde. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass alle nicht erfolgreichen Menschen keine Disziplin, also auch keine Moral besitzen würden und keine Unterstützung verdienen würden.
Dieses reaktionäre, von politisch Erzkonservativen gern in verharmlosenderen Formen (Stichwort: Leistung) verwendete Lehre vom moralisch Überlegenen dockt hautnah an den Urfaschismus an. Vor allem das Angebot an die (noch) nicht Erfolgreichen, die Modernisierungsverlierer und kriselnden Mittelschichten, innerhalb der Hierarchien ihren Platz zu finden (der sie moralisch dann immer noch über einige andere, auszugrenzende Gruppen stellt), stimmt perfekt überein.
PS: In diesem Lichte sind die sicherlich von gutem Willen getragenen, ganz frischen Versuche österreichischer Parteien sich eine neue Gefolgschaft oder ein neues Programm zu suchen, nicht viel mehr als ein Kratzen an der Oberfläche und im Vergleich zur ganz bewussten Anbiederung an das postfaktische Lebensgefühl völlig unwirksam.