Erstellt am: 24. 10. 2016 - 09:00 Uhr
Irre glücklich - Leben mit psychischen Erkrankungen
Kailash Verlag
Jenny Lawson, auch bekannt durch ihren Blog thebloggess.com, geht sehr offen mit ihren psychischen Problemen um. Dort findet man auch ihren Eintrag vom Oktober 2010, der ihre Perspektive nachträglich beeinflusst hat:
Heute hat mir mein Mann Victor einen Brief in die Hand gedrückt, in dem stand, dass noch einer unserer Freunde unerwartet gestorben ist. Jetzt glaubt ihr vermutlich, dass dies der Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen bringt. Dass ich jetzt unweigerlich in den Abgrund aus Tafil und Regina-Spektor-Songs stürzen werde, aus dem es kein Entkommen gibt. Falsch. Absolut falsch. Denn ich habe verdammt noch mal die Schnauze voll vom Traurigsein. Ich weiß nicht, was mit der Welt in letzter Zeit los ist, aber MIR REICHT'S. ICH WERDE IRRE* GLÜCKLICH SEIN.
*Im englischen Original heißt es "furiously happy", wo noch viel mehr Wut mitschwingt als bei "irre".
Von da an versucht Jenny Lawson, die Phasen, in denen es ihr gut geht, so intensiv zu gestalten und zu genießen wie möglich, und einfach zu tun worauf sie gerade Lust hat: im roten Ballkleid herumlaufen, im Springbrunnen schwimmen gehen oder sich spontan ein Faultier nach Hause holen. Wenn sie dann wieder von der Depression niedergerungen wurde, so schreibt sie, hat sie die Erinnerungen an die schönen Sachen und kann sich daran festhalten, dass sie, wenn sie die schlechte Zeit überwunden hat, auch wieder gute kommen.
In Irre glücklich beschreibt Jenny Lawson sehr offen über ihre psychischen Erkrankungen: Depression, Angststörungen, Zwangsneurosen, Auto-Agressives Verhalten, Sozialphobien. Diese Beschreibungen sind mitunter traurig und berührend.
Wenn mich Zweifel befallen, ob ich dieses ewige Auf und Ab von Medikamenten und Therapie überhaupt wert bin, rufe ich mir all jene ins Gedächtnis, die sich dem Nebel ergeben haben. Und ich zwinge mich selbst, gesund zu bleiben. Ich mache mir wieder und wieder bewusst, dass ich nicht gegen mich kämpfe ... sondern gegen das Ungleichgewicht der chemischen Stoffe in meinem Gehirn ... das ganz real ist.
Aber sie beschreibt auch mit viel Humor und Selbstironie die oft skurrilen Situationen, in die sie sich immer wieder navigiert. Wenn sie versucht zu durchschauen, was ihr Therapeut mit seiner Frage gerade bezweckt, wenn sie bei einem Galadinner plötzlich Panik bekommt und sich unter dem Tisch verstecken muss, oder wenn sie eine kosmetische Gesichtsreinigung abbrechen möchte, damit die armen Bakterien auf ihrem Gesicht nicht gemeuchelt werden.
Mehr Buchtipps:
fm4.orf.at/buch
Ihr Stil ist sehr aufgedreht und oft albern - das trifft nicht alle Geschmäcker. Aber wer ihren Humor mag, kann bei der Lektüre von Irre glücklich Tränen lachen und weinen. Sie schreibt über die Mühsal, die richtigen Medikamente zu finden, über die furchtbaren Nebenwirkungen, darüber wie psychisch Kranke häufig von ihrem Umfeld nicht ernst genommen werden und was das bei ihnen auslöst. Aber ganz gleich wie tief Jenny Lawson uns in die Dunkelheit mitnimmt, sie führt uns immer wieder heraus, indem sie die Methoden erklärt, die sie sich zugelegt hat, um mit den schlechten Phasen, den Krisen und Problemen klarzukommen.
Der Vorteil, "nicht ganz richtig" zu sein
Ihr Buch ist für Menschen, die an psychischen Erkrankungen leiden, um ihnen zu zeigen, dass es vielen so geht wie ihnen und um Strategien aufzuzeigen. Es ist aber vor allem auch für Menschen, die durch die Lektüre vielleicht besser verstehen können, womit Menschen, die an Depression leiden, so zu kämpfen haben.
Ich möchte Menschen zeigen, dass es ein Vorteil sein kann, "nicht ganz richtig" zu sein, wie meine Großmutter zu sagen pflegte. Ich möchte dass meine Tochter begreift, was mit mir nicht stimmt und was schon. Ich möchte Hoffnung schenken. Auch ich möchte die Welt lehren, in vollkommener Harmonie zu singen wie im Coca-Cola-Werbespot - nur ohne Coca Cola. Dieses Buch ist nicht Band 2 meiner Autobiografie, sondern eher eine Sammlung schräger Essays und Gespräche sowie einiger konfuser Gedanken. Sie alle werden nur durch den roten Faden einer verschütteten Flasche Rotwein und den Tränen meiner Lektorin einen inneren Zusammenhalt bekommen, sehr zum Leidwesen meiner entsetzten Verleger, denen nichts anderes übrig bleibt, als sich mit meiner Überzeugung, man könne Wörter durchaus erfinden, wenn es für bestimmte Dinge noch kein passendes gibt, zu fügen.
Jenny Lawson schreibt auf witzige Art über teils traurige Dinge. Das mögen manche, andere nicht. Zu welcher der beiden Gruppen man zählt - und ob man demzufolge das Buch lesen sollte oder nicht - findet man am besten heraus, indem man einfach auf ihren Blog thebloggess.com schaut.