Erstellt am: 21. 10. 2016 - 12:17 Uhr
Biedere Fassade, dunkler Kern
Ein Film, der einen Buchhalter portraitiert? Das könnte beispielsweise eine sarkastische britische Komödie sein. Oder ein spröde inszeniertes Drama eines Regisseurs der Berliner Schule, mit diversen Seitenhieben auf den Neoliberalismus. Oder auch eine zeitlupenartige Sozialstudie aus Japan, rund um einen lebensmüden Buchhalter, man kann sich den Text dazu im Viennale-Katalog schon gut vorstellen.
"The Accountant" ist aber ein aufwändiger Hollywood-Thriller mit Ben Affleck. Und es geht darin um einen autistischen Steuerberater, der für internationale Verbrecher-Organisationen Geld wäscht. Ach ja, und dieser Christian Wolff wurde übrigens von seinem hochrangig dekorierten Army-Vater von Kindheit an zu einer Killermaschine trainiert.
Was sich offensichtlich nach gewagtem Edel-Trash und schwarzer Action-Komödie anhört, ist allerdings über weite Strecken sehr ernst gemeint. Ben Affleck, der den "Accountant" mit verbissener Miene spielt, sieht den Film als Plädoyer für das Anderssein und recherchierte, zusammen mit Regisseur Gavin O'Connor, monatelang autistische Verhaltensweisen. Im Interview, dass ich in London mit ihm führen durfte (siehe unten) betont der Schauspielstar die humanistischen Bemühungen, die hinter diesem Filmprojekt stecken.
Warner
Verschwurbelter Genremix mit Comictouch
Ben Afflecks Pochen auf Seriosität wirkt jedoch reichlich absurd, wenn man sich die Story von "The Accountant" näher ansieht. Scheinbar gewissenlos arbeitet die Titelfigur für die Mafia und sämtliche globalen Terror-Gruppierungen, bis die US-Steuerbehörde dem vermeintlich biederen Christian Wolff auf die Spur kommt. Um von seiner Geheimexistenz abzulenken, nimmt das autistische Zahlengenie zur Abwechslung einen normalen Auftrag an. Aber just dieser Job erweist sich als größte Gefahr, als eine junge Buchhalterkollegin (Anna Kendrick) eine ungewöhnliche Entdeckung in den Jahresbilanzen dieser Firma macht.
Im Vorfeld wurde "The Accountant" als überfälliger Thriller für Erwachsene angepriesen, wie es sie im New Hollywood der 70er Jahre immer wieder gegeben hätte. Jedenfalls als Antithese zur Diktatur der Comic-Blockbuster, die in den Multiplex-Kinos regieren. Bei
genauerem Hinblicken ist die abstruse Geschichte von Christian Wolff aber auch ein Superheldenfilm. Der millionenschwere Buchhalter, der im geheimen Wohnwagen lebt und sämtliche Kampfkünste beherrscht, ist nicht weit weg von Batman, der anderen Figur, die aktuell mit Ben Affleck assoziert wird.
Warner
Der Comic-Touch wäre nicht störend und gegen einen verschwurbelnden Genremix könnte man auch wenig einwenden, wenn der Film nicht ein anderes Problem hätte. "The Accountant" entpuppt sich leider als Ensembledrama. Unzählige Figuren mit dunkler Vergangenheit haben in dem überkonstruierten Drehbuch ihren Auftritt, bis am Ende alle Fäden bemüht clever zusammengeführt werden.
Dass auch in Nebenrollen großartige Schauspieler wie J.K. Simmons, Jon Bernthal oder John Lithgow glänzen und die handfesten Gewaltsequenzen im besten Sinn an die prädigitale Ära erinnern rettet den Film nicht wirklich. Ich für meinen Teil hätte mir wohl von Ben Affleck, der vom aalglatten All-American-Boy zu einem Spezialisten für verbitterte, defekte und rabiate Antihelden mutierte, eine eindringliche Psychostudie gewunschen. Wenn die Kamera ganz nahe beim "Accountant" und seinen einsamen Ritualen verharrt, flackert etwas von dem düsteren Potential auf, das in dem Film eigentlich steckt.
Ben Affleck und Anna Kendrick im FM4-Interview über dunkle Geheimnisse, autistische Figuren und "The Accountant"
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