Erstellt am: 20. 10. 2016 - 15:39 Uhr
The daily Blumenau. Thursday Edition, 20-10-16.
#demokratiepolitik
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die bisherige Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
ZUFÄLLIG sagt die ARD ab heute nicht mehr immer "rechtspopulistisch" dazu, wenn es um die AfD geht; weil es mittlerweile "eh klar" sei - und auch weil die Nationalen in der Mitte angekommen sind. Und ebenso zufällig rechtfertigt heute eine bekannte Diskussions-Sendung die Einladung eines Identitären (also eines rechtextremen Gegners der pluralistischen Demokratie) samt Verächtlichmachung der Absagen anderer eingeladener Diskutanten; und auch das erzählt in allererster Linie das Angekommen-Sein von Rechtsaußen/Rechtsextrem in der Mitte.
IN DER MITTE verortet sich selber auch Thomas Glavinic, der mittlerweile hocharrivierte und angekommene österreichische Autor, der immer noch lebensjunge Hemingway seiner Szene. Nicht was die Radikalität dem Leben gegenüber (dicke lines, Benzos und lässige Hells Angels, Kampfsport, Kindheitstristesse und Frauenliebhaberei) oder in seiner Literatur (Der Kameramörder, Das bin doch ich...) betrifft, sondern politisch. Sagt er, hier im aktuellen Fleisch, einem Heft, das fast ausschließlich aus einem langen Gespräch mit ihm besteht (der Rest sind Fotos, Zeichnungen und anderes schmückendes Beiwerk zur Person).
NUN IST EINE derartige Heldenverehrung per se verdächtig; und wegen ihrer Überlänge und Detailgetreue auch nicht interessant - die hier ausgeschilderten Männlichkeits-Mythen hat man allesamt schon prägnanter und auch ehrlicher sowie künstlerisch raffinierter schon anderswo gesehen und gelesen. Das Gespräch wirkt wie eine strudelteigig ausgewalzte Therapie-Sitzung, deren Erkenntnisse erst nach einer nochmaligen Bündelung die Arzt-Patienten-Vertraulichkeit in Richtung Außenwelt verlassen sollten.
INTERESSANT sind die knapp 40 Brutto-Seiten mit Glavinic-Sprech aus einem anderen Grund: als historisches Dokument.
Es kann der Text sein, dessen szenische Aufführung in drei, vier oder fünf Jahren Auskunft darüber geben wird, wie es dazu kommen konnte. Zum disruptiven Wandel einer ansehnlichen pluralistischen Demokratie in ein semiautoritäres Gebilde nach ungarisch/polnischem Muster, oder in ein postdemokratisches Etwas mit ständestaatlichem Flair, oder einen volktribunig daherkommenden Demoskopismus.
ES WIRD EIN Text wie der von Qualtinger erlauschte und Merz aufgeschriebene Der Herr Karl sein, ein Text, der die Positionen jener breiten Schicht an freundlichen Abnickern (in der überwiegenden Mehrheit Männern) der neuen illiberalen Republik erhellt, der die Geisteshaltung einer selbsternannten Mitte erläutert, die nichts dabei finden mag faktenbefreit aufzurechnen oder jenen Visionen und somit Potential zuzuschreiben, die sich darin genügen sich in substanzloser Hass-Sprache zu suhlen.
Das erfüllt zumindest zwei Punkte in der Checklist des Umberto Eco, was seine Definition des Ur-Faschismus betrifft. Davon morgen mehr.
IM FALL VON Glavinic ist es der Glanz des Verbotenen, der Reiz der potentiellen Macht (early adopting macht geil) und - unter den Worten liegend - die Justament-Positionierung von Machismo und Kampf um des Kampfes Willen in einer zu korrekten Gesellschaftsstruktur der unsagbaren Langeweile. Und ein Politik-Verständnis, das spätestens in der Gymnasial-Zeit eingefroren wurde. Sich selber als "in der Mitte" stehend und somit als objektiven Seismographen betrachten, sich als neutral, als weißes Blatt Papier zu stilisieren, ist so erschreckend naiv und so jenseits einer reflektierten Selbsteinschätzung, dass es nicht einmal einem Gebrauchs-Krimi-Autor durchgehen würde.
DAS BEZIEHT sich weniger auf die zahllosen (teilweise im Unter-Minutenabstand aufeinanderprallenden) Widersprüche, die die Personale Glavinic einzig als künstlichen Proto-Text lesbar machen, auch nicht um die von den (insgesamt doch allzu schwach regulierenden, leider nie die Therapeuten-Rolle erfüllenden) Interviewern sofort als umgeformten
newspeak (noch ein Punkt auf der Eco-Liste...) erkannten Phrasen, sondern um eine stolz ausgestellte Unbedarftheit, die privat gewachsene Befindlichkeiten, von einer komplexen globalen Welt angegriffene Männlichkeitsbilder und ein fuck the system-Gefühl dann zu einer nicht mehr nur verbalen, sondern den Aktionismus einfordernden Retourkutsche bündeln.
Fleisch
DASS DAS COVER das Kind Glavinic zeigt, nehme ich als Nicht-Zufall. Es ist immer noch dieses Kind, das sich einer Zukunft entgegentrotzt, in der es alle, die gemein zu einem waren (also viele, praktisch alle, außer Travniceks lauter so Burschen wia I) schlecht haben sollen auf dem Weg nach Visegrad.
IM ÜBRIGEN wird Glavinic, sofern er sich in vier oder fünf Jahren dann nicht auf der Gewinnerseite wiederfinden sollte (und das ist wenig wahrscheinlich, aber möglich, wenn er nämlich überrollt werden sollte wie die Gironde), den Text als bewusst gesetzte und überhöhte, nur für Eingeweihte dekodierbare Literatur bezeichnen und so ausflüchten. Weil er mit diesem Gespräch, diesem abgenommenen Text aber (bewusst) einen gehörigen Teil an Wirklichkeit schafft und somit eindeutig formend und propagierend tätig ist, wird das verdammt schwierig werden.