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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

6. 11. 2016 - 11:37

"Suada in Sachen Moral im Internetzeitalter"

Jarett Kobek greift mit seinem Projekt, einen schlechten Roman über das Internet zu schreiben, die Internetgiganten frontal an. Sein langer Rant "Ich hasse dieses Internet" wird zum Welterfolg.

Es ist schwer, Aussagen über das Internet als Ganzes zu machen, wo doch das Internet für jeden seiner UserInnen etwas anderes darstellt. Der US-amerikanische Autor Jarett Kobek nimmt darauf keine Rücksicht. Eine Differenzierung gibt's nur im deutschen Titel seines Debütromans "I hate the Internet", der zu einem "Ich hasse dieses Internet" mutiert ist. Kobek greift das Ganze an:

Buchcover: Jarett Kobek - "Ich hasse dieses Internet"

S. Fischer Verlag

Jarett Kobeks "Ich hasse dieses Internet" ist in der Übersetzung von Eva Kemper im S.Fischer Verlag erschienen.

"Das Internet war eine wunderbare Erfindung. Es war ein Computernetzwerk, das Menschen dazu nutzen, andere Menschen daran zu erinnern, dass sie ein mieses Stück Scheiße sind", schreibt er etwa auf den ersten Seiten seines Romans und als Beleg dafür lässt er seine Protagonistin Adeline eine Nachricht empfangen: "Liebe Schlampe, ich hoffe, du wirst von einer Gruppe illegaler Einwanderer mit Syphilis vergewaltigt."

Die "Fehler" im Netz

Adeline, eine Comic-Zeichnerin Mitte 40, hatte mit dem Netz an sich nicht viel am Hut abgesehen von dem beruflichen E-Mail-Verkehr und den Verkaufszahlen ihrer Bücher auf Amazon. Sie gerät eher zufällig in die Untiefen des Web 2.0 und seine Social-Media-Plattformen, wo sie dann allerdings - laut Kobek - einige "Fehler" begeht: eine Frau zu sein etwa, in einer Kultur, die Frauen hasst, ein gewisses Maß an Berühmtheit erlangt zu haben und mit diesen Voraussetzungen unbeliebte Ansichten geäußert zu haben. Das hat zur Folge, dass sie quasi die ganze Welt gegen sich aufbringt: Linke, Rechte, FeministInnen, VerteidigerInnen der Meinungsfreiheit, vor allem aber Fans von Beyoncé und Rihanna. Den Shitstorm, der daraus folgt, muss man erstmal ertragen können.

Vom Shitstorm beflügelt

Doch Adeline hat einen Vorteil, den nicht alle Menschen im Netz haben. Sie hat ein Produkt zu verkaufen, und je stärker der Shitstorm auf sie niedergeht, desto besser verkaufen sich ihre Comics.

"Die einzigen Menschen, die im Internet ohne Macht sind, sind die, die nichts zu verkaufen haben", sagt Jarett Kobek im FM4 Interview. Auch diese Perspektive greift Kobek im Roman auf. Während Adeline nicht nur glimpflich aus ihren Internet-Scharmützeln hervorgeht, sondern sogar von ihnen profitiert, wird anderen Figuren im Roman böswilligst die Existenz zerstört, und sie haben keine Mittel, etwas dagegen zu unternehmen.

Der Kapitalismus ist schuld

Jarett Kobek nutzt das Internet selbst nur mehr für E-Mail und ein wenig Recherche. Dafür hat er sich aber genug Gedanken über das Netz selbst gemacht. Dass das Geschäftsmodell der Internetplattformen etwa daran schuld ist, das Schlechte in den Menschen hervorzukehren. Dass es keine Regeln für den Diskurs gibt und die UserInnen zu einem möglichst scheußlichen Verhalten verführt werden, um mehr und mehr Schwachsinn ins Netz zu schreiben, weil man dadurch Profit machen kann.

Dass die Social-Media-Firmen und auch die UserInnen vor diesem Hintergrund noch immer argumentieren, das Netz würde die Meinungsfreiheit und Kreativität insgesamt fördern, kann Kobek nicht verstehen. "I think it's really hard, when your expression of self is someone else's business model", sagt er etwa und Aktivismus, der auf technologiebasierten Plattformen stattfindet, die allein für Werbung geschaffen wurden und deren erklärtes Ziel möglichst hohe Gewinne seien, findet er seltsam.

Vom demokratischen oder demokratisierenden Potential, das dem Netz immer wieder zugesprochen wird, etwa beim Arabischen Frühling, hält er auch nichts: "I think there's no evidence that democracy has flourished in the era of the Internet. It seems to be the slow lurge to the hybrid of fascism and feudalism."

Wie schreibt man einen Roman über das Internet?

Jarett Kobek beschreibt in "Ich hasse diese Internet" die Funktionsweise des Internets aus seiner - sehr sarkastischen - Sicht: als ein ausbeuterisches, rassistisches und sexistisches Konstrukt, das den Schaden, den jemand anstellen kann, ins Grenzenlose steigert. Von all den anderen amerikanischen AutorInnen, die nicht über das Internet schreiben könnten, weil sie keinen Tech-Background hätten und das Netz nur als Marketing-Tool einsetzen würden, will sich Kobek abgrenzen, inhaltlich und stilistisch.

Kobek will keinen guten, sondern einen schlechten Roman schreiben, weil der gute Roman nur Status-Literatur sei, Propaganda für den Upper-Middle-Class-Lifestyle, "dependend on a lack of thought or analysis about the power structures that create that lifestyle".

Und um seinen schlechten Roman authentisch zu machen, muss er die Strukturen des Webs kopieren. Kobek nutzt viele Aufzählungen, schweift immer wieder ab, lässt sich quasi von Link zu Link treiben, hält Erklärungen für alles bereit.

Ein langer, scharfer Rant

Die "Suada in Sachen Moral im Internetzeitalter", die dabei herauskommt, ist über lange Strecken sehr unterhaltsam, wird aber auch redundant, und dass er sein ästhetisches Programm den LeserInnen bis ins Detail erklärt, macht es nicht besser. Dass er ohnehin nie vorhatte, eine "großen" Roman zu schreiben, ließ er die LeserInnen ja schon relativ früh im Roman wissen, das Kapitel, wo er dann sein Scheitern daran ausfürt, hätte er sich also auch sparen können.

Dennoch scheint Jarett Kobek mit "Ich hasse dieses Internet" einen Nerv der Zeit getroffen zu haben, denn der ursprünglich im Selbstverlag erschienene Roman ist auf dem Weg zum internationalen Bestseller.

Obwohl Jarett Kobek das Internet anscheinend hasst, ganz abschaffen würde er es übrigens trotzdem nicht, nur zu einer früheren Version zurückkehren, als es den Unis und Regierungen gehörte und der Wissensaustausch über das Netz befördert wurde. Eines aber ist für ihn klar: "I would delete capitalism from the Internet."