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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

17. 10. 2016 - 17:53

Breite Wand

Die Kings of Leon wollten mit ihrem 7. Album „Walls“ zurück zu ihren Anfängen. Die Musik war damit aber nicht gemeint.

Es war einer dieser Momente, die man mit dem Blick auf das Gesamtbild ironisch nennt. Sonst würde man einfach Panne dazu sagen. Es war nämlich so, dass der Aufzug feststeckte. „Schon wieder!“, verzweifelte die PR-Dame, während sie mit einer Chipkarte am Lesegerät des High-Tech-Lifts herumfingerte. Sie erklärte, dass das schon den ganzen Tag so ginge. Man könne kaum zu Suite der Kings of Leon vordringen.

Ironisch war das deshalb, weil die Band mit fünf Bodyguards angereist kam, die vor dem Interview-Zimmer herumlümmelten und wohl die vermuteten Fanmassen in Schach halten sollten. Bloß, da war niemand vor und im Luxushotel, den man in Zaum hätte halten müssen. Gut, am Vortag residierte der berüchtigte Hells-Angels-Boss Aygün Mucuk ebenfalls im Waldorf Astoria gegenüber vom Zoo Palast in Berlin. Aber der war für ein Begräbnis eines Rockerkollegen angreist und liegt mittlerweile selbst unter der Erde.

Kings Of Leon 2016

Jimmy Marble

Die Bodyguards trugen eine Art Uniform: Schwarze T-Shirts, schwarze Anzughosen. Sie sprachen einen unverständlichen, vermutlich britischen Akzent. In ihren massigen Händen sahen die Mobiltelefone, in die sie gelangweilt reinstarrten, aus wie Streichholzschachteln. Vielleicht fürchteten sich die Kings of Leon ja vor uns Journalisten? Aber auch dazu gab es nur wenig Anlass. Die Interviewzeit war mit 15 Minuten so knapp bemessen, dass man kaum in die Tiefe gehen konnte. Gefährliche Fragen ausgeschlossen! Nach 7 Minuten erschallte schon der Ordnungsruf der Managerin vom Nebenraum: „3 Minutes!“ Dass man keine Fragen zum Privatleben stellen durfte, musste man bei einer Familienband natürlich ignorieren. Jetzt weiß ich immerhin, dass die Oma das „Spanking“ übernimmt, falls mal wieder dicke Luft herrscht zwischen den Followills. Bestimmt ein Witz.

Walls und Mauern

Walls Kings of Leon 2016

Sony Music

Neues Kings of Leon Album "Walls" (Sony Music)

Die Cousins Matthew (Leadgitarre) und Nathan (Schlagzeug) Followill waren dabei nett und redebereit. Der eine ganz der sonnige Indie-Boy, der andere der bärtige Bandprediger mit Breitkrempenhut. Die beiden erzählten das, was sie wahrscheinlich vorher mit einem Team von Beratern besprochen hatten: Trotz der Reibereien 2011 dachte man nie daran, sich zu trennen. Das Album sei das ambitionierteste ihrer Karriere. Jetzt könnten sie endlich die Musik machen, die sie wollten, weil sie niemanden mehr etwas beweisen müssten.

Für die Aufnahmen seien sie samt Familien zurück zu den Anfängen gegangen und zwar nach Los Angeles, wo sie die ersten Alben aufgenommen hatten. Man hätte mit dem neuen Produzenten Markus Dravs (u.a. Arcade Fire, Coldplay) eine Platte gemacht, die frei von Kunstkniffen sei. Kurz: auf „Walls“, was für „We Are Like Love Songs“ steht, bekomme man die besten Kings of Leon aller Zeiten.

All das ist Routine und völlig normal im Popzirkus. Die Band und das mit ihr befasste professionelle Umfeld versuchen in Bezug auf ein neues Album bestimmte Narrative zu etablieren, die sich dann hoffentlich in vielen Reviews wiederfinden. Dazu gehört selbstverständlich auch die Hoheit über die Bilder. „Keine Fotos!“, hieß es von Seiten des Managments. Erlaubt waren nur gemeinsame Selfies mit den Journalisten.

Aber natürlich ist das mit "back to the roots" Bullshit. Nichts an „Walls“ erinnert an die ersten zwei/drei Alben des aus Tennessee stammenden Familienclans. Alle Regler wurden auf Breitwandrock im Stadionformat aufgezogen. Jeder Ton eines jeden Songs ist ein akustischer Blockbuster - so gefüllt mit warmer Luft, dass er noch zu den hintersten Rängen im größten Oval des Planeten aufsteigen kann. Je öfter man das Album anhört, desto mehr verschwinden die guten Restideen in Stücken wie „Around The World“ mit seinem Calypso-Rhythmus oder dem im Refrain aufbrausenden Song „Reverend“.

Nur einmal leistete sich Nathan Followill in unserem Interview einen Offenbarungseid: Er wünsche sich, dass die Band endlich den Respekt bekommt, der ihr zustehe. Und dass man als Albumband wahrgenommen werden möchte und „nicht nur als die Truppe, die „Sex On Fire“ oder „Use Somebody“ gemacht hat.“ Und damit wären wir beim Trauma dieser Band, die einmal einen magischen Spark hatte.

Als Anfang der Nullerjahre Gruppen wie The Strokes oder The White Stripes die Popmusik nach vorne schossen, indem sie diese um mehrere Jahrzehnte zurückkatapultierten, wurden die von den Kings of Leon in Richtung Southern Rock gespielten Indie-Riffs von der US-Rockkritik verpönt. Das hatte sicher auch mit den burschikosen Lyrics der Landeier zu tun, die man in progressiven Zirkeln eher nur im Hip Hop goutiert. Aber auch der Massengeschmack verweigerte sich in der Heimat den Alben „Youth & Young Manhood“ (2003), „Aha Shake Heartbreak (2004)“ und dem bereits etwas breiter angelegten „Because Of The Times“ (2007), die in Europa, Australien und Japan große Heuler waren.

Wo bleibt die Anerkennung?

Der kommerzielle Durchbruch in den USA gelang 2008 mit dem Album „Only By The Night“. Die nerdigen Schlaghosenträger mit dem Indie-Blues waren über Nacht zu einem Pop- und Stadion-Act irgendwo zwischen U2, Coldplay und den Killers geworden. Wo genau sie hinwollen, wissen sie vermutlich bis heute nicht. Während sich etwa Coldplay in ihrer kunterbunten Popvilla pudelwohl zu fühlen scheinen, dürsten die Followills bis heute nach künstlerischer Anerkennung, wo es keine zu holen gibt.

Das zeigt sich nicht nur an den seltsamen Rockstar-Posen und Possen, die wie aus einer Rock-Doc über die siebziger Jahre wirken, oder an einem weiteren völlig belanglosen Album wie „Walls“, sondern auch an den einst gerühmten Live-Auftritten der Band aus Nashville.

Kings of Leon live at Lollapalooza Berlin 2016

Christian Lehner

Kings of Leon live at Lollapalooza Berlin 2016

Am Tag nach dem Interview absolvierten die Kings Of Leon den Hauptact am ersten Tag des Lollapallooza Festivals in Berlin. Doch es wollte sehr lange Zeit keine rechte Stimmung aufkommen unter den Fans. Wie versteinert quälten sich die Followills durch ein Mid-Tempo-Set der Kompromisse. Das hatte schon etwas von den Eagles im Herbst ihrer Karriere. „Waste A Moment“, der einzige neue Song, irritierte durch seine Verwandtschaft zu „Sex On Fire“ und wurde mit einem etwas verunglückten Riffing leicht in den Sand gesetzt, was der Band hochpeinlich erschien, anstatt den kleinen Lapsus einfach zu ignorieren.

Selbst das Geburtstagsständchen für Gitarrist Matthew war eine eher verkrampfte Sache. Später fuhr man mit den Hits aus „Only By The Night“ doch noch die Ernte ein, aber von dort will man mit dem neuen Album ja angeblich weg. Fazit: Die Kings Of Leon haben mit „Walls“ keine Mauern eingerissen, sondern die bestehenden weiter hochgezogen. Lockerungsübungen wären jetzt angesagt. Die Generationskollegen Jack White und sogar The Strokes bekommen das aktuell ganz hervorragend hin.