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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

18. 10. 2016 - 06:00

Holy Cow!

Indien ist ein Paradies für Vegetarier_innen und Menschen, die damit liebäugeln. Woher kommt die Tierfreundlichkeit? Und warum gibt es Cow Protection Units?

Bombay Diaries

Irmi Wutscher in Indien

Indische Speisekarten lassen das Vegetarier_innen-Herz höher schlagen: Seitenweise verschiedene Currys, Eintöpfe oder Fladenbrote anstatt gebackener Emmentaler. Hier fällt es wirklich nicht schwer, auf Fleisch zu verzichten. „Non-veg“ ist eine Bezeichnung, die es wohl nur im indischen Englisch gibt und die auf Restaurantschildern und Speisekarten gleichermaßen zu lesen ist.

Restaurant Schild in Mumbai

FM4/Irmi Wutscher

Schon am Restaurantschild ist zu sehen, ob es vegetarisch ist oder nicht. Family Restaurant heißt meistens, dass hier kein Alkohol ausgeschenkt wird.

Staatsoberhaupt Narendra Modi ist Vegetarier. Und auch meine Kollegin Deborah. „I really love animals a lot“ sagt sie „I couldn't eat anything with a face.“ Während Deborah moralische Gründe hat, warum sie kein Fleisch isst, ist es bei vielen anderen Inder_innen die Religion. „India is very respectful of religions, to put it mildly“, lacht Deborah. Bei den Hindus sind es vor allem die Brahmanen, die höchste Kaste, die kein Fleisch isst. Jainismus und Buddhismus haben Gewaltlosigkeit als Grundlage ihrer Religion und töten keine Lebewesen. Muslim_innen essen kein Schwein, Sikhs dürfen in und in der Nähe ihrer Tempel kein Fleisch konsumieren. Nur beim Christentum scheint es keine Vorschrift zu geben. So weit so kompliziert.

Mit der veganen Küche sieht es in Indien übrigens nicht so gut aus: zum einen schwimmt auf jeder Sauce ungefähr ein halber Zentimeter Ghee, das ist geklärte Butter. Das ist einer der Gründe, der die indische Küche so schmackhaft, aber auch so üppig macht. Und zum anderen kommt fast kein Rezept ohne sonstige Milchprodukte wie Joghurt und Paneer aus. Letzteres ist Frischkäse, für den die Milch mit Zitronensaft oder Essig anstatt Lab (weil das wär ja aus dem Kuhmagen) zum Gerinnen gebracht wird.

Ein Drittel lebt vegetarisch

Anders als oft kolportiert ernährt sich aber nicht der Großteil der Bevölkerung vegetarisch: knapp ein Drittel (29 Prozent) Vegetarier_innen sind es laut indischer Statistik von 2014, und die Zahl war zehn Jahre zuvor sogar noch niedriger (25 Prozent). Das heißt, Vegetarismus ist in Indien sogar am Steigen. Dass immer angenommen wird, dass ganz Indien sich vegetarisch ernährt, kommt daher, dass die Brahmanen, die höchste und damit einflussreichste Kaste sind und ihre Werte und Einstellungen oft als für ganz Indien gültig angenommen werden.

Gemüsegeschäft auf der Straße

FM4/Irmi Wutscher

Im Gemüsegeschäft. Ich bin besonders begeistert von den Mini-Melanzani unten rechts.

Insgesamt hat Indien immer noch eine der niedrigsten Fleischkonsumraten der Welt. Denn auch die Inder_innen, die Fleisch konsumieren, essen es eher selten - allerdings ist der Pro-Kopf-Verbrauch vor allem von Hühnerfleisch in den letzten Jahren gestiegen. Fleischkonsum hängt also nicht nur mit religiösen Vorschriften, sondern auch mit verfügbarem Einkommen zusammen, das mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der letzten beiden Jahrzehnte gestiegen ist.

Holy Cow!

Größte Religionsgruppe sind in Indien jedenfalls die Hindus. Und denen wird ja ein besonderes Verhältnis zur Kuh nachgesagt: Kühe laufen hier frei durch die Gegend, genau wie Straßenkatzen und -hunde. Die Kuh wird im Hinduismus verehrt, so viel steht fest. In Kühen wohnen alle möglichen Gottheiten, sagt ein Touristenführer. Kühe werden als Inkarnationen mancher Gottheiten oder als deren Reittiere angesehen. „The cow is a very revered animal in Hiduism“, sagt Deborah. „They consider harming or disrespecting or in any way hurting a cow sacrilegious.“

"Freiland"huhn

FM4/Irmi Wutscher

"Freiland"huhn in der Gosse. Der hier hat's noch gut, seine Kollegen wohnen meistens in schuhschachtelgroßen Metallkäfigen.

Deswegen gibt es hier in einigen indischen Bundesstaaten „beef bans“, also Prohibition von Rindfleisch. Selbst wenn du nicht Hindu, sondern vielleicht Christ_in oder Muslim_in bist, darfst du kein Rindfleisch verkaufen oder besitzen. Auch hier in Maharashtra, der Bundesstaat, in dem Mumbai liegt, gibt es einen solchen beef ban. Das heißt offiziell dürfen keine Kühe geschlachtet oder verzehrt werden. Auch internationale Restaurantketten müssen sich dem beugen und deshalb gibt es bei der amerikanischen Burgerkette auch nur Chicken- oder Veggie-Burger. „Many of them never had beef in the first place - because it is a very sensitive subject“, sagt Deborah. Ausnahmen gibt es - analog zur Alkohol-Prohibition - angeblich für manche 5-Sterne-Hotels.

Gaurakshaks, die Kuh-Schutz-Einheit

Ich bin als Teil des Medienbotschafter_innen-Programms der Robert-Bosch-Stiftung für drei Monate in Indien. Im ersten Monat in Chennai, am ACJ. Dann für zwei Monate in Mumbai, um bei der Tageszeitung The Hindu mitzuarbeiten.

Ironischerweise gibt es in Indien gleichzeitig eine sehr große Rindfleischproduktion bzw. auch so etwas wie Rindfleisch-Schmuggel. Außerdem leben ganze Bevölkerungsgruppen von der Verarbeitung von verendeten Kühen. Denn vielleicht auch wegen dem Schlachtverbot werden Hauskühe, die keine Milch mehr geben, ausgesetzt. Man sieht sie dann plastikfressend am Rand der Autobahn spazieren. Wenn so eine Kuh stirbt, muss sie beseitigt werden, aber kein Hindu würde diese Arbeit übernehmen. Deswegen gibt es Dalits, also Kastenlose, die die Kuhkadaver häuten, um Leder zu gewinnen und den Rest der Kuh zu beseitigen.

Street Cow in India

CC BY-SA 2.0, Kenneth Lu on Flickr

CC-BY-2.0 Die Kuh als Teil des Stadtverkehrs in Indien.

So weit so gut. Nur ist es leider im Zuge dessen im Juli und August zu Unruhen gekommen: selbst ernannte Gaurakshaks - cow protection units – haben Dalits, aber auch Muslim_innen, vorgeworfen, sie hätten nicht verendete Kühe gehäutet, sondern die Kühe überhaupt getötet und das Fleisch geschmuggelt. Die Kuhschützer_innen agieren wie eine Bürgerwehr und haben einen Mob aufgehetzt, der in einem Fall 4 Jugendliche öffentlich ausgepeitscht und erniedrigt, in einem anderen Fall einen Muslim gelyncht hat. Was folgte, war ein großer Protestmarsch und eine Weigerung der Dalits, sich weiter um die Kuhkadaver zu kümmern. Ein derzeit in Indien heiß diskutiertes Thema, sogar Narendra Modi war wegen des öffentlichen Drucks gezwungen, sich gegen die Kuh-Schützer_innen auszusprechen (sie kommen aus dem militanten Flügel seiner hindu-nationalistischen BJP).

Indien hat übrigens eine große Leder-Industrie. 5,9 Mrd Dollar hat der Leder-Export 2015/2016 laut Indian Express eingebracht. Und nicht wenig davon dürfte von eben diesen Dalits kommen, die dafür da sind, die Kuhkadaver zu beseitigen.